Hemmungsloses WildernArtistin

AMPE Geusau macht Theater dort, wo nicht "Theater" draufsteht

AmpeGeusau.jpgMit Polkadots funktionierten AMPE Geusau vor sieben Jahren eine Wiener Abbruchswohnung für einige Tage zur Theaterbühne um. Oliver Hangl, Spezialist für Umsetzungen von Alltagskultur in öffentlichen Räumen, lud kürzlich die Theatergruppe zur Wiederaufnahme einer skurrilen Neurosen-Versammlung in seinen k48 in Neubau.

Gerade nicht genutzte Plätze oder auch Baustellen zur Bühne zu erklären und für Performances zu adaptieren, hat auch in einer verordnungswütigen Stadt wie Wien eine gewisse Tradition. Man erinnere sich an diverse Baustellenfeste in den clubbingverseuchten 90ern oder Kurt Palms innerhalb kürzester Zeit zum Hype auflaufende Nette Leit Show, mit der er den brachliegenden Globus Verlag zu neuem Leben erweckte. Auf Zeit natürlich nur. Denn irgendwann kommt dann doch entweder ein Sicherheitsargument seitens der Stadt, warum etwas eigentlich nicht in ein (Kultur-)Konzept passt, oder es kommt der ORF. Wien ist auch sicher nicht der erste Ort, der einem einfällt, wenn man an die Hausbesetzerszene denkt. Riecht alles ein bissl zu sehr nach Anarchie.

Darum ist es besser, künstlerische Aktionen in Abbruchshäusern zeitlich zu begrenzen, und bevor irgendeine Behörde zum Nachdenken kommt, ist der Spuk auch schon wieder vorbei Festwochen und sonstige großkulturelle Veranstaltungen ausgenommen. Die brechen ja auch meist spukartig, aber regelmäßig über Jahre vorausgeplant, über uns herein und spielen mit dem Reiz, Kultur u. a. überall dort stattfinden zu lassen, wo man nicht damit rechnet. Wer da wohl von wem abkupfert? Es hat aber etwas, wenn so genanntes Theaterpublikum in Edelpanier über Schutthalden balanciert.

Genüsslich inszeniert wurde das zum Beispiel anno 1997, als das W. U. T. (Wiener UnterhaltungsTheater) im ehemaligen Rondell-Kino in der Riemergasse das Theaterstück Brabant zu Füßen aufführte. So weit, so einleuchtend. Dahinter stand gewissermaßen eine Aktion gegen die Wiener Kulturförderung. Erstens wollte das Stück, das von einem der Theaterbeiräte stammte, uraufgeführt werden. Zweitens stand das Rondellkino schon jahrelang leer und sollte nach langen Diskussionen der IG Freie Theaterarbeit zur Verfügung gestellt werden, um den freien Theatergruppen (sic!) einen geeigneten und vor allem zentralen Platz in Wiens bester Lage als Aufführungsort zu bieten. Das Problem war nur, dass der tief im Keller liegende Raum nicht gerade kostengünstig zu adaptieren war und keine Behörde der Welt, geschweige Wiens, eine Theatergenehmigung erteilt hätte. Und so legte die IG ein paar Jahre lang monatlich fünfzigtausend Schilling allein an Miete ab für eine Baustelle. Und das stank Michael Aichhorn vom W. U. T. dann einfach zu sehr.

Diese Gruppe, die immer schon gut war für Theater, wo es sonst keines gibt, nahm sich von der MA 7 gefördertermaßen des etwas sperrigen Stückes an und spielte in der Schutthalde, die heute ein sehr feiner Jazzclub ist. Das funktionierte nur, weil eine mitinszenierte Kamerafrau jeden Abend mitfilmte und die Zuschauer am Schwedenplatz in einen verdunkelten Bus eingesammelt wurden und, während sie nicht wussten, wo die Reise hinging, einzeln Komparsen-Verträge unterschreiben oder aussteigen mussten. Man ahnt, worauf das ganze hinauslief: W. U. T. erklärte das Unterfangen zum Film, um rechtlich abgedeckt zu sein. Man hätte durchaus länger als zwei Wochen spielen können, aber wer weiß schon, wie lange Behörden echtes Kulturschaffen wirklich verschlafen und dann vielleicht doch noch den Kunstgriff durchschaut hätten.

Leer stehende Wohnung als öffentlicher Raum

Solch wienkulturpolitische Überlegungen sind nun nicht die Sache der Gruppe AMPE Geusau, die 1997, also in dem Jahr, in dem sich soeben beschriebene Dreharbeiten zutrugen, von Andreas Erstling, Marisa Growaldt, Peter Kozek und Elinor Mora in der Geusaugasse im dritten Wiener Bezirk gegründet wurde. Die vier jungen Leute kamen aus allen Windrichtungen der Theater- und Performancelandschaft zusammen und stoben und stieben seit damals immer wieder auseinander, bis sie ihr organisch gewachsenes Flechtwerk an Ausdrucksformen der Theaterarbeit, ihr Rhizom, wie sie es bezeichnen wieder aufnehmen, weiterentwickelt neu inszenieren und auf theatralem Neuland, meist leer stehenden Wohnungen, hemmungslos in Alltags- und Hochkultur umherwildern. Dabei drehen sie zuweilen das Private ins Öffentliche und umgekehrt, machen zum Beispiel in Berlin eine dürftig bewohnte Wohnung zum öffentlichen, zum Publikumsraum, indem sie vor den Zuschauern, meist durch Mundpropaganda aus dem Freundeskreis rekrutiert, Alltagsgeschehen geschehen lassen.

Unaufgeregt, aber dennoch inszeniert haben plötzlich (halb-)fremde Menschen Anteil an einem solchen Raum, wissen nicht, aber spüren vielleicht, dass auch sie Gegenstand des Stückes sind. 2001 wurde Polkadots der Name stammt vom E der AMPE, der aus New York stammenden Musikperformerin (Mora & Fur), die ein gepunktetes Fußbodenmuster so bezeichnete in Wien in einer Abbruchwohnung in der Schleifmühlgasse entwickelt und etwa zehn Mal aufgeführt. Während der Aufführungen haben Viktor Jaschke, Michaela Mück und Gerhard Veismann aus unterschiedlichen Perspektiven gefilmt und aus dem Material eine Dokumentation entstehen lassen, die so aufmerksam die Spuren eines seltenen Hybrids festhält, als gälte es, dieses vor dem Aussterben zu retten. Hier kommt nun Oliver Hangl, der rührige Performer und Funk-Disco-Erfinder, ins Spiel. Er kannte die Protagonisten von AMPE schon von gemeinsamen Aktionen. Irgendwie hat es mir Leid getan, dass dieses tolle Polkadots-Video einfach in der Versenkung zu verschwinden drohte. Ich will aus der Retrospektive solchen Sachen Raum geben, die unterbewertet sind, meint Hangl und beschloss kurzerhand, den aufwendig produzierten Videofilm in seinem k48-Studio öffentlich zu zeigen.

Der Geist von 68 fehlt den jungen Performern

Dazu kamen die beiden mittleren AMPE-Buchstaben, Marisa Growaldt und Peter Kozek, nach Jahren wieder zusammen und entwickelten parallel zum Screening in Hangls Projektraum eine dazu passende Performance vor zirka 60 Menschen, die dem Geschehen mit einem gewissen Schmunzeln in der Magengrube folgten. Für Oliver Hangl sind solche Aktionen ebenso wichtig, wie er aus dem White Cube rausgeht, weil es die neutralen Bedingungen eh überall gibt. Mich interessieren Settings, die man nicht so kontrollieren kann, sprich: im öffentlichen Raum, so sein Credo. Mit seinen Funkkopfhörer-Aktionen zum Beispiel, wo es auch sehr viel um Wahrnehmung geht, ist man in keiner Disco, wo es vorfabrizierte DVDs gibt oder irgendwelche Visuals laufen und eine Bühne mit etwas Geplantem. Außerdem finde ich es wichtig, leer stehende Häuser zu reklamieren, nicht der Spekulation freizugeben und einen Bedarf anzumelden so ist die Arena entstanden und das WuK. Zwei wichtige und mittlerweile als selbstverständlich genommene Kulturorte, wo ursprünglich keine vorgesehen waren.

So gesehen fehlt den jüngeren Performern im öffentlichen Raum vielleicht ein wenig der Geist der 68er, aber irgendwie sollte sich die Szene vielleicht wieder in diese Richtung hand/teln. Denn mittlerweile hat sich die Wohnung umgedreht. Wir müssen verdammt aufpassen, dass nicht dort, wo Kulturinstitutionen sich seit geraumer Zeit abmühen, Öffentlichkeit zu erreichen, mit einem Schlag zur Privatwohnung erklärt werden, damit sich die so genannte Hochkultur nicht mit dem gemeinen (Augarten-)Volk anpatzen muss.

Info:

Der Wiener Künstler Oliver Hangl hat mit k48 Offensive für zeitgenössische Wahrnehmung (Kirchengasse 48/Lokal 2, 1070 Wien) einen neuen Projektraum in seinen Atelierräumen eröffnet, die 2008 mit einer Reihe von temporären Interventionen in loser Folge künstlerisch bespielt werden. (www.olliwood.com/k48.html)

Webtipp:

www.morafur.com

2 Konzerte demnächst von Mora & Fur:

22. Mai

WIRR

Burggasse 70

1070 Wien

15. Juni

Wiener Festwochen mit Hans Kulisch