Rechtsanwalt Binder: Im Asylverfahren trennt sich das Recht von der Gerechtigkeit
Die Routine, das Alltägliche ist eigentlich das Bösartige, sagt Rechtsanwalt Lennart Binder, der sich seit Jahrzehnten für Flüchtlinge und andere aussichtslose Fälle einsetzt. Seine große Enttäuschung betrifft das Verhalten des Verfassungsgerichtshofes.Bei einem Brand in einem Klagenfurter Flüchtlingsheim während der EM starb ein Afrikaner. Im Prozess blieb im Endeffekt niemand übrig, der schuldig wäre. Brave Bürger stellen sich unter dem Rechtssystem oft eine Art Gerechtigkeitssystem vor. Stoßen Sie oft an die Grenzen dieses Rechtssystems?
Eine Situation, in der man das Gefühl hat, dass Recht gar nicht mehr Recht ist, sondern Unrecht? Da stößt man regelmäßig an. Die obersten Gerichtshöfe sind in Österreich offenbar gar nicht der Meinung, dass sie für Einzelfallrechtsprechung zuständig seien. Es geht ihnen nur um eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung. Sie überprüfen in der Instanz dann auch nicht die Gerechtigkeit, sondern nur ob die Entscheidung der üblichen Norm entspricht. Insofern haben Recht und Gerechtigkeit eigentlich wenig miteinander zu tun. Nachdem das Innenministerium keine Anzeichen für einen Brandanschlag fand, bewies erst ein steirischer Gutachter ein Jahr später, dass das Feuer gelegt worden war. Ich weiß nicht, ob der Brandstifter jemals gesucht wurde. 2004 privatisierte das Land Kärnten die Unterkünfte für Asylwerber. Das Vergabeverfahren für dieses Heim leitete eine Wiener Rechtsanwaltskanzlei. Wer trägt nun die Verantwortung für die mangelhaften Brandschutzvorrichtungen? Der Freispruch erfolgte, weil man sagte, die Wiener Rechtsanwaltskanzlei habe im Zuge des Vergabeverfahrens zu prüfen gehabt, ob die Brandschutzeinrichtungen gegeben waren, und nachdem diese Kanzlei meinte, das passe, könne man Flüchtlingsreferent Steiner und Heimbetreiber Rapatz keinen Vorwurf für den Todesfall und die 19 Schwerverletzten machen. Der Wiener Rechtsanwältin, die das Vergabeverfahren durchführte, wurde von Landeshauptmann Dörfler verboten auszusagen, ob sie auch wirklich für den Brandschutz zuständig war mit dem Argument der Verschwiegenheitspflicht einer Anwältin. Man privatisiert also nicht nur die Heime, sondern auch öffentliche Aufgaben wie die Kontrolle von Brandschutzvorrichtungen. Am Schluss bleibt nur Leere. Die Opfer wollten Schmerzensgeld für Rückgratbruch und schwere Kopfverletzungen haben, aber die, die ich vertrat, konnten bedingt durch ihre Illegalisierung nicht einmal aussagen.
Ein junger Mann aus Gambia gibt an, dass er in der Schubhaft vergewaltigt wurde. Falls dieser schwere Vorwurf stimmt, wird er nicht der Erste und der Letzte gewesen sein. Welche Möglichkeiten haben Sie ihn zu unterstützen?
Der Mann wurde heute sang- und klanglos aus der Schubhaft entlassen, wohl wegen des Selbstmordversuchs des 16-jährigen Afghanen. Wir machten, was man machen kann. Es läuft eine Strafanzeige gegen unbekannte Täter in der Rossauer Lände und eine Beschwerde beim Unabhängigen Verwaltungs-Senat gegen die Polizeidirektion. Der Vorteil ist, dass man nicht den konkreten Täter nennen muss, sondern sagen kann, die Polizeidirektion Wien sei verantwortlich für die Vorgänge in der Schubhaft. Dann machten wir eine Schubhaftbeschwerde, dass er überhaupt in Schubhaft genommen wurde. Er war gerade dabei, freiwillig von Linz nach Gambia zurückzukehren. In Wien übernachtete er nur im Polizeigefängnis, wegen des Transports nach Schwechat in der Früh. Er war im Prinzip nicht in Haft. Dann ist das mit Vergewaltigung und Selbstmordversuch passiert, und am nächsten Morgen wurde er in das Flugzeug nach Gambia gesetzt. Beim Umsteigen in Brüssel sah ihn der Flughafenarzt blutüberstömt, befand, dass er nicht tauglich sei für den Weiterflug und schickte ihn nach Wien zurück. Dann verhängten sie die Schubhaft über ihn. Voraussetzungen für Schubhaft waren nicht gegeben, er versteckte sich ja nicht. Deswegen gibt es nun in der Beschwerde beim UVS das witzige Gegenargument der Polizeidirektion Wien, die ich als verantwortliche Behörde empfunden habe, dass sie nicht verantwortlich seien, sondern die Linzer Behörden, die sich Salzburger Beamter bedient hätten. Es ist pervers, jemanden, der in Haft vergewaltigt wurde, wieder in ein Gefängnis zu stecken. Er saß dann am Hernalser Gürtel. Jemanden, der angemeldet ist, hätte man zu seiner Lebensgefährtin mit dem gemeinsamen Kind lassen können. Der Menschenrechtsbeirat kritisiert, dass im konkreten Fall niemand mitgeflogen sei, dem sein Schockzustand hätte auffallen können.
Wieso sind überhaupt Jugendliche aus Afghanistan in Schubhaft?
Man sollte Jugendliche überhaupt nicht in Schubhaft nehmen. Bei diesem Fall mit dem afghanischen Jungen, der Selbstmord beging, stand nur «Dublin-Verfahren» dabei. Wenn es bei dem Jungen um Griechenland ginge, dann wäre das besonders bösartig. Man hätte ihn eigentlich nicht abschieben dürfen, weil es jetzt vom deutschen Verfassungsgerichtshof etabliert ist, dass nicht nach Griechenland abgeschoben wird. Dann hätte er überhaupt nichts verloren gehabt in der Schubhaft. Früher sagte man beim Verwaltungsgerichtshof dem Fremdenpolizisten, der mit der Entscheidung über die Ausreise kam, dass es aber noch eine Beschwerde gebe. Dann sagte er: Na, da warten wir halt noch die zwei bis drei Wochen, ob er aufschiebende Wirkung gibt oder nicht. Warum machen wir uns diesen Stress? Die Verfahren dauern jahrelang und dann soll es auf zwei Wochen ankommen? Dieser Abschiebedruck hat derartig zugenommen.
Was bringt Sie eigentlich dazu, dass Sie sich jahrzehntelang weiterhin für Flüchtlinge einsetzen?
Das Auge ist schon hin, die Hand ist schon hin. Das ist jetzt wirklich nur noch Gewohnheit (lacht). Nein, die Situation ist unerträglich geworden in jeder Richtung. Die Umwandlung vom UBAS als Behörde zum Asylgerichtshof ist völlig daneben gegangen. Der Asylgerichtshof benimmt sich von der Szenerie her nicht wie ein oberstes Gericht, sondern führt eigentlich Polizeiverhöre durch. Zwei Richter das Bundesasylamt als Behörde kommt nie, die lassen sich immer entschuldigen sitzen dem Asylwerber gegenüber, und dann kommen sofort die Textbausteine, dass der Asylgerichtshof an den Entscheidungen von den weisungsgebundenen Beamten nichts auszusetzen hat und daher der Asylwerber auf jeden Fall unglaubwürdig sei. Der Verfassungsgerichtshof ist die Schlüsselstelle und die größte Enttäuschung für mich. Er lässt zu, dass Entscheidungen vom Asylgerichtshof, schlampig wie sie sind, durchgehen. Der Unabhängige Verwaltungs-Senat führte wenigstens Verhandlungen durch, während jetzt Verhandlungen praktisch nicht mehr existieren. Es ist ein Fehler des Verfassungsgerichtshofes, dass er zuließ, dass der Asylwerber in solch wichtigen Fragen über Leben und Tod keine Möglichkeit hat, beim Asylgerichtshof seine Sache vorzutragen, Beweisanträge zu stellen, sich darzustellen wobei es doch ganz zentral auf die Glaubwürdigkeit ankommt. Der Verfassungsgerichtshof sagte eben, dass der Artikel 6 «Faires Verfahren» mündliche Verhandlungen müssen stattfinden in solchen Situationen und die Menschenrechtskonvention im Asylverfahren nicht gelten. Er blockte diese möglichen Verhandlungen ab, jetzt sind die Entscheidungen nur noch Textbausteine. Der Asylwerber ist unglaubwürdig. Punkt.
Traiskirchner Farce: die imaginären Flüchtlingsberater
Das Innenministerium macht Länderberichte über sichere Drittländer, an die sich der Asylgerichtshof zu halten hat. Nun sagt der Staat, Kosovo sei ein sicheres Land. Punkt. Diese so genannten Richter, die keine Richter sind für mich, haben wenig Spielraum. Der Verfassungsgerichtshof ließ auch einreißen, dass es trotz EU-Richtlinie keine Rechtsberatung gibt. Die in Traiskirchen nennen sich zwar Rechtsberater, die schreiben aber keine Beschwerden, die Fristen sind ja auch sehr kurz. Beim Asylgerichtshof soll also der Asylwerber, der nicht Deutsch kann und das Rechtssystem nicht kennt, sich selber vertreten. Er hat keinen Anspruch auf Verfahrenshilfe durch einen Rechtsanwalt wie im Zivilverfahren jeder normale Mensch. Flüchtlingsberater sollen anwaltliche Funktionen haben. Ich schrieb Briefe an das Innenministerium, ich würde gerne einen Flüchtlingsberater kennen lernen, damit ich ihm Fälle schicken kann. Rechtsberater in Traiskirchen meinten, das sei eine Art Witz, es gibt ein Büro mit dem Türschild «Flüchtlingsberater, Sprechstunde Montag von acht bis zehn», aber leibhaftig hat keiner einen gesehen. Mit dem neuen Gesetz haben sie den Flüchtlingsberater umbenannt, um die Verwirrung zu vergrößern. Jetzt gibt es Rechtsberater in zwei Kategorien. Der Verfassungsgerichtshof weiß das alles ganz genau, aber tut so, als ob ihn das nicht weiter berühren würde das wäre eben das Problem des Innenministeriums. Er schickt nur Vordrucke zurück und greift keine wirklichen Asylfragen an. Die Besetzung der Richter erfolgt nach der Parteipolitik.
Sie selbst sind ja in Schweden geboren, da ihre Eltern vor den Nazis flüchten mussten. Ihr Vater war ein jüdischer Sozialist, oder?
Mein Vater Otto Binder war schon jüdisch, die Mutter nicht. Er saß in Dachau und Buchenwald ein. Nach dem Krieg ging er zur Kultusgemeinde und zahlte, weil er das Gefühl hatte, er müsse solidarisch sein. Die jüdische Religion spielte bei ihm keine Rolle, die Religion war der Sozialismus (lacht). Was ich gelernt habe aus dem Buch*, an dem er lang arbeitete, sind schon die Gründe für dieses Schweigen. Wo ich innerlich zergehe, ist, wenn beim Asylgerichtshof von Folterungen, Misshandlungen oder Vergewaltigungen die Rede ist. Dann wird gesagt: Warum erzählen Sie das nicht? Mein Vater, dem eigentlich nicht sehr viel passiert ist, hat praktisch 80 Jahre alt werden müssen, bevor er davon erzählen konnte. Das Buch war eine Selbsttherapie. Er starb mit 96. Diese ganze Generation, auf welcher Seite auch immer, die redete jahrzehntelang nicht. Bei meinem Vater war das zum Teil schon verhängnisvoll. Er kommt zurück aus Schweden, macht Karriere, dann wurde er bei Diskussionen gefragt, was er dazu sage, dass er Tür an Tür mit Tätern wohnt, die seine Mutter und seine Schwester umgebracht haben, und er sagt, Vergangenheit Schwamm drüber. Das war natürlich als Lebenshypothese nicht zum Durchhalten. Ein paar Jahrzehnte später brach es dann wieder heraus. Ich erinnere mich, da gab es eine Diskussion mit dem Huemer, ob Östereich nicht zu wenig getan habe, um Emigranten zurückzuholen? Und mein Vater: Aber bitte! (lacht) Er hatte das nicht notwendig, er war einfach wieder da. Vielleicht ist es wirklich ein Männerproblem, das man das so kraftlackelmäßig sagen muss.
Buchtipp:
Otto Binder: Wien retour. Bericht an die Nachkommen, Böhlau, Wien 1997