Werner Vogts Buch «Mein Arztroman - ein Lebensbericht»
Als aus «Narren» Patienten wurden war einer der Überschriften, die mir als Titel für eine Geschichte über Werner Vogt und sein neues Buch «Mein Arztroman – ein Lebensbericht» (Edition Steinbauer, 320 Seiten, € 22,50) eingefallen war; ich überlegte, ob «Milliardengewinne für Implantate-Industrie und das Hundstorferdeutsch» passender wäre, dachte an einen Aufmacher wie: «Chirurgen sind keine Fleischermeister, sondern Uhrmacher» und schließlich «Als die «Kritische Medizin» vergessen wurde …» oder «Von Naziärzten und deren Nachfolgern».
Das sind nur einige Hinweise auf die Erinnerungen des aus einer Tiroler Proletarierfamilie stammenden ehemaligen Volksschullehrers, der sich schon nach eineinhalb Jahren mit dem Schulinspektor in Vorarlberg zerkrachte (die Streitursache wäre auch für die aktuelle Lehrerdiskussion ein Schulbeispiel!), und beschloss, in Wien zu studieren. Aber was? Bei der Buchpräsentation erzählt er: Sein Großvater hatte gemeint, Ärzte könnten nur Kinder von Ärzten werden, denn um diesen Beruf zu erlernen, bedürfe es erst Leichen, an denen man üben könne, und Leichen wären sehr teuer. Dann traf Vogt einen Freund aus alten Tagen, der ebenfalls aus proletarischen Verhältnissen stammte und Medizin studierte. Und erst da erfuhr er, dass Leichen zwecks Studiums nichts kosten …
Er begann mit Hilfe von Stipendien zu studieren, musste aber daneben am Bau oder als Nachtwächter in der Zentrale der ÖVP arbeiten. Als es in der ÖVP später wieder einmal eine Obmanndiskussion gab, bewarb er sich – als Nichtparteimitglied – um die Obmannstelle, denn er hatte als Nachtwächter immer die Post auf den Schreibtischen der Spitzenfunktionäre gelesen und war sicher, die intriganten Parteistrukturen wie kaum jemand anderer zu kennen …
Früher war die Unfallchirurgie ein unbeachtetes Nebenfach in der Ausbildung der Ärzte. Es ist u. a. dem Chirurgen Lorenz Böhler (1886-1973) und dessen Sohn Jörg Böhler (1917-2005) zu danken, dass es zur Gründung eines eigenen Unfallkrankenhauses kam. Beide leisteten unbestritten viel für die Entwicklung der Chirurgie. Vogt wurde deswegen zu den Bewunderern dieser beiden Primar-Ärzte und dann vom Krankenhauschef Jörg Böhler auch einige Zeit gefördert. Bis Vogt Unstimmigkeit im Krankenhausbetrieb auffallen und er darüber auch publiziert. Es ist das, was damals wie heute von der Politik bestritten wird, aber von allen Betroffenen überall wahrgenommen wird: Die «Zweiklassen-Medizin». Zum kleinen Trost: Die Betuchten kaufen sich mit den Honorarern für ihre Primarärzte zwar kürzere Wartezeiten in den Spitälern und angenehmeren Aufenthalt, aber deswegen nicht unbedingt bessere medizinische Behandlung, denn an den Spitzen der Abteilungen stehen möglicherweise nicht immer die besten Ärzte ihres Fachs, sondern oft nur die besten Karrieristen.
Bei Brüchen oder Meniskusverletzungen empfiehlt der Chirurg Dr. Vogt das traditionell bewährte Einrenken, Schienen und Gipsen und Ruhen der verletzten Stelle. Das dauert länger, ist jedoch wirksamer als das – vor allem bei (Spitzen-) Sportlern – in «Mode» gekommene mit Platten, Nägeln und Schrauben riskantere Heilverfahren. Aber neben Uhren und Pharmazie hatte nun die Schweiz mit der Implantate-Industrie – von der konservativen Medizin nie hinterfragt – ein weltweites Milliardengeschäft eröffnet.
Rede-, Schreib- und Auftritsverbot: Nicht mit Vogt!
Vogt räumt mit der Propagandalüge der «weltweit besten medizinischen Versorgung» auf: In Tel Aviv sagt ihm ein Taxifahrer, dass er einen Österreicher sofort am schlechten Zahnersatz erkenne …
Vogt entdeckt, dass die von ihm verehrten Ärzte Böhler sen. und Böhler jun. eine Nazivergangenheit haben und dass die Nazi-Ideologie der Menschenverachtung sich auf ihre medizinische Qualität auswirken musste. Zunächst kritisiert Vogt nur die Allmachtsphantasien seiner (überwiegend männlichen) Kollegen. Von den Mächtigen der Universität, Ärztekammer und diversen Spitälern erhält er Rede-, Schreib- und Auftrittsverbot. Woran er sich nicht hält, denn (am Beispiel Universität): «Alle Obrigkeit gibt sich als Eigentümerin der Institution aus, die ihr weder gehört noch geliehen ist. Alle Obrigkeit leidet unter Aneignungszwang …»
Die «Ära Kreisky»: Einerseits existierten zwar die Seilschaften von Nazis, die im BSA (Bund sozialistischer Akademiker) im Gesundheitssystem – zumindest in Wien – ihre reaktionären «Heil»-Methoden und Privilegienpolitik weiterbetrieben, doch andererseits erhielten engagierte Junge vom «Alten» den Auftrag, eine Studie über das Gesundheitssystem zu erarbeiten, deren Hauptschlussfolgerung dann war: Krankheit ist nicht – wie gegenwärtig wieder alltäglich in den Medien nachzulesen oder im ORF von naseweisen Medizinern verbreitet – Ursache individuellen Fehlverhaltens (weniger rauchen, saufen und Ungesundes fressen), sondern hat soziale Ursachen mit der schlichten Bezeichnung «Armut». Von den engagierten Jungen wird gefordert, dass die Gesundheit nicht länger dem abgehobenen Ärztestand allein anvertraut bleiben dürfe, sondern dass nicht nur ALLE im Gesundheitsbereich Tätigen, sondern auch die Betroffenen, die Patient_innen, ein Mitspracherecht haben müssten: Eine «Gesundheitskammer» anstatt der Ärztekammer!
Es bildete sich die Bewegung der «Kritischen Medizin», aus der heraus sich die «Kritische Psychiatrie» entwickelte, was zu nachhaltigen Veränderungen führte, etwa dem (europaweit modellhaften) Psychosozialen Dienst (PSD) Wien: Raus aus den Gitterbetten-Kasernen hin zu kleinen örtlichen Ambulanzen und mobiler Betreuung. Vogt ist auf dieses «Ergebnis» stolz, doch die Betroffenen wissen auch üble Lieder über die arge Unterversorgung dieser Einrichtungen zu singen … Dennoch: Seither ist die Suizidrate in Wien drastisch gesenkt worden!
Nach den berüchtigten Lainz-Skandalen wurde eine Ombudsmannstelle geschaffen: Vogt wurde der Ansprechpartner für alle, die mit dem Pflegesystem unzufrieden waren. Frau Stadträtin Renate entledigte sich bald dieser unbequemen, unabhängigen Kontrollinstitution.
Krankenstand wirkt immer und hat keinerlei Nebenwirkungen
Überraschende Bündnispartner wie ORF oder «Kronen Zeitung» holten die «Kritische Medizin» aus dem alternativen Eck heraus und wurden zu Foren für eine andere Herangehensweise medizinischer Behandlung: «Das beste Rezept ist der Krankenstand. Der wirkt immer und hat keinerlei Nebenwirkungen. Wütender Protest. Oder: Meiden Sie berühmte Ärzte. Die haben noch weniger Zeit als der kleine Hausarzt, aber sie nehmen wesentlich mehr Geld. Protest …»
Einige weitere Stationen im Leben des Dr. Werner Vogt: Bereits 1978 wirkte er mit «Ärzte ohne Grenzen» in den Flüchtlingslagern in Honduras und Costa Rica während des Befreiungskampfes der Sandinist_innen gegen die Somoza-Diktatur in Nicaragua; nach dem Sturz Ceau?escus in Rumänien war er gemeinsam mit Primarius Poigenfürst und anderen am Aufbau des Spitals Casa Austria in Temeswar beteiligt; während der Besetzung der Stopfenreuther Au 1984 war er Teil des Ärzteteams, das täglich morgens um vier Uhr früh zu den Besetzer_innen fuhr, um sie medizinisch zu betreuen. Vogt musste pünktlich zur Morgenvisite zurück sein.
In kollektiver Erinnerung bleibt Vogts Rolle in der Auseinandersetzung mit dem berüchtigten Gerichtsgutachter Primarius Heinrich Gross, der als junger Arzt am Spiegelgrund (Steinhof) nachweislich hunderte Kinder quälte und tötete und dennoch – als BSA-Mitglied – später Karriere machen konnte. Als eines der Spiegelgrund-Kinder, Friedrich Zawrel, Gross wiedererkannte, als dieser 1975 ein Gutachten über ihn verfassen sollte (das zum Ziel hatte, Gross‘ Opfer von einst für immer in einer Psychiatrie verschwinden zu lassen), platzte der Skandal: Der frühdemente NS-Arzt, der sich nie an ein Schuldverhalten erinnern konnte, ließ sich später von Psychiatrie-Kollegen und Gerichtsgutachtern die Demenz als Schutz vor weiterer Verfolgung diagnostizieren, eine Demenz, die ihm nach Belieben so viel Zurechnungsfähigkeit gestattete, um Medien erfolgreich zu klagen, mit deren Berichterstattung er nicht einverstanden war.
Bei der Buchpräsentation schloss Werner Vogt mit der Feststellung, dass er aus zwei Gründen sich immer noch glücklich fühle: Erstens habe er die Gnade erlebt, in zwei guten medizinischen Teams (Spital und «Kritische Medizin») arbeiten zu dürfen. Und zweitens: er habe sich nie irgendwem angepasst …