Geld ist ein Mittel zweiter Ordnungtun & lassen

Eine Doppeldeckerbusladung voller Oligarchen oder:

Im Literaturzentrum Alte Schmiede startete die vom Schriftsteller Ilija Trojanow konzipierte Gesprächsreihe mit dem Titel «Weltbefragung». Erster Gesprächspartner war Christian Felber, Attac-Aktivist der ersten Stunde und Mitbegründer der «Bank für Gemeinwohl». Die Reihe – nächster Termin: Gespräch mit K. P. Liessmann am 23. Juni – ist ein «Geburtstagsgeschenk» Trojanows an den 20 Jahre alt gewordenen Augustin.

Trojanow: Ich erinnere mich an eine Frau in Tansania, die am Bahnsteig Erdnüsse verkaufte. Sie waren in Zeitungspapier verpackt, und es gab kleinere und größere Packungen. Ich fragte sie, was die kleine koste. Zehn Shilling, sagte sie. Dann wollte ich den Preis der größeren wissen. Zehn Shilling, antwortete sie. Wer nimmt dann die kleine Packung, fragte ich verdutzt. Leute, die weniger gierig sind als Sie, sagte sie. Mit anderen Worten, es fällt uns beim Thema Ökonomie, beim Thema Wohlstand sehr, sehr schwer, mit Phantasie Alternativen zu entwickeln. Es herrscht ein extremer Phantasiemangel. Es herrscht das Diktum, Alternativen kann es nicht geben – und wenn, dann sind sie absurd, schädlich oder utopisch. Dabei ist Ihre «Utopie» extrem bodenhaftend: Sie entwickeln ja immer wieder etwas, was auf Fundament existierender Überlegungen basiert. Sie schütten ja nicht das Kind mit dem Bade aus, Sie behaupten nicht, alle Inhalte der bisherigen Wirtschaftswissenschaften seien völliger Unfug.

Felber: Es gibt in allen Kulturen die gleichen Verfassungsziele. Das Gemeinwohl ist kein abendländischer Wert, sondern ein zeitloser, universeller Wert – auch die Solidarität, die Gerechtigkeit, die Nachhaltigkeit.

Trojanow: Das Konzept des Wettbewerbs, damit verbunden die Bewunderung des Siegers, die Vorstellung, es müsse immer einen Sieger geben, zählt wohl nicht zu den universellen Werten. Bei den Lakota-Indianern hab ich den Satz gehört: Wer dreimal hintereinander siegt, ist ein schlechter Mensch. Das ist ja eine Art zu denken, die uns völlig abhanden gekommen ist.

Felber: Ich denke, dieses Sieges-Ethos ist ein Erbe des Patriarchats, in das der Kapitalismus so wunderbar hineinpasst. Ich glaube, die Ökonomen haben das nicht alleine geleistet. Das hätten sie in der kurzen Zeit nicht schaffen können. Im real existierenden Freihandel haben wir weltweit das «Recht des Stärkeren» wieder eingeführt. Der Kapitalismus konnte das erreichen, weil es das Patriarchat gibt. Die Konkurrenzgesellschaft, die Fortsetzung der Kriegsgesellschaft, ist das späte Erbe des Patriarchats. Die ökonomischen Termini sind verräterisch. Es ist völlig legal, mit einer randvollen «Kriegskasse« eine «feindliche Übernahme» zu tätigen, den Konkurrenten zu «fressen». «To kill the competitor» ist Managementsprache. Kannibalismus ist auf allen Feldern ein schweres Verbrechen, aber in der Wirtschaft kommt nicht der Strafrichter, wenn ein Unternehmer den anderen frisst, sondern das Business-Magazin. Es fragt, ob sie aufs Titelblatt wollen.

Es gibt immer alles gleichzeitig und überall


Trojanow: Erstaunlich ist, dass alle Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit mit dem kapitalistischen System unzufrieden ist. Alternativen sind ja nie völlig untergegangen, es gab immer Parallelwelten und Leute, die sich völlig anders als die Mehrheit organisiert haben. Auch in Österreich gibt es Menschen, die innerhalb des bestehenden Systems Keime eines anderen setzen.

Felber: Es gibt immer alles gleichzeitig und überall. Es war für mich selbst eine Überraschung, als ich hörte, dass in den Genossenschaften dieser Erde hauptamtlich mehr Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen als in allen transnationalen Konzernen zusammengerechnet. Selbst in den USA wünscht sich eine Mehrheit der Bevölkerung, dass Werte wie Kooperation und Solidarität durch Gesetze gefördert werden, aber die gleiche Mehrheit ist nicht bereit, sich politisch dafür einzusetzen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht. Warum? Weil sie fest davon überzeugt ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung Werte wie Solidarität und Zusammenarbeit nicht teilt. Diese ideologische Indoktrination halte ich für den genialsten Triumph des Kapitalismus.

Trojanow: Es ist ein nicht so einfach zu erklärendes Phänomen, dass selbst Menschen, die marginalisiert und ausgegrenzt sind, Parteien wählen, die diesen Zustand perpetuieren.

Felber: Die Wahl von Parteien ist die sinnloseste, wirkungsärmste Form der Demokratie. Alle Entscheidungen – von der Agrarpolitik über die Friedenspolitik bis zu Finanzpolitik – werden auf ein Kreuzerl reduziert. Von den USA wissen wir: Wenn die Menschen sachpolitische Vorschläge, bei denen sie nicht wussten, welche Partei dahinter steht, zu beurteilen gehabt hätten, wäre Ralph Nader (grün/linker Gegenkandidat gegen Republikaner und Demokraten, Red.) der Wahlsieger geworden.

Von der Grätzlversammlung zum Welt-Konvent


Trojanow: Das zeigt, was Manipulation und Propaganda vermögen. Ist es nicht so, dass auch in Situationen einer verstärkten direkten Demokratie die Menschen manipuliert werden können, sich gegen ihre Interessen zu entscheiden – solange die Machtverhältnisse so sind, wie sie sind?

Felber: Alle Mittel der Manipulation werden auch bei der direkten Demokratie eingesetzt werden, nur glaube ich, dass es schwieriger ist, die ganze Bevölkerung auf Dauer in die Irre zu führen, als 360 Abgeordnete zu korrumpieren. Ich habe keine Heilserwartungen an die direkte Demokratie, aber es wird ein bisschen gerechter zugehen. Wenn wir an die Freiheit und Gleichheit der Menschen glauben, müssen wir ihnen das stärkste demokratische Beteiligungsinstrument in die Hand geben, das Prinzip der Souveränität. Das bedeutet: über allem stehend. Es muss partizipative Versammlungen auf allen Ebenen geben, von dezentralen und kommunalen Verfassungskonventen bis zum Welt-Konvent.

Trojanow: Es gab in London ein starkes Plakat, auf dem ein typischer englischer Doppeldeckerbus dargestellt ist. Er bietet, wie die Londoner wissen, Platz für genau 81 Fahrgäste. Und unten stand: 81 Menschen, also nur einer Busladung, gehört die Hälfte des Vermögens der Menschheit. Das ist von einer Unfassbarkeit sondergleichen. Wie erklären Sie sich, dass es wenig Widerstand gegen solche Verhältnisse gibt?

Felber: Der Grund dafür sind mehrere Formen der Ohnmacht und intellektuelle Faulheit. Eine Form der Ohnmacht ist, dass das System dir sagt, du musst die richtige Partei wählen. Im Grunde haben wir es mit mangelndem Freiheitswillen zu tun.

Trojanow: Wenn dem so ist – und Ihre Analyse überzeugt mich – wird das Projekt der Überwindung der inhärenten Untertänigkeit ein generationenlanges Projekt sein.

Felber: Wir können vom Entwicklungsweg des Menschen zu sich selbst sprechen.

Trojanow: Viele Krisen werden sich verschärfen, parallel dazu wird es eine Verstärkung der repressiven Maßnahmen des Staates geben und einen Abbau bürgerlicher Rechte. Ist die Krise ihrer Ansicht nach eine Chance, dass die Menschen früher zu sich selbst kommen? Dringen Leute, die Alternativen anbieten, dann besser durch?

Felber: Wir können nicht d e n Menschen zu mehr Freiheit verhelfen. Das funktioniert nicht. Was wir tun können, ist, die Alternativen, die wir vorschlagen, auch wirklich vorzuleben: die Gemeinwohlökonomie oder die souveräne Demokratie. Dadurch können wir bzw. unsere Ideen attraktiv werden. Ich glaube, dass heute sehr, sehr viele Menschen auf dem Weg zu sich sind. Sie nehmen wahr, dass das, was das System verspricht, sich bei ihnen nicht erfüllt. Jeden Tag steigen Menschen aus dem System aus, selbst aus den Eliten, weil sie spüren, dass die Grundbedürfnisse der Menschheit durch dieses System nicht befriedigt werden können. Und schon stellen sich die ersten Erfolge einer Orientierung nach Gemeinwohlökonomie ein. Es gibt die ersten Banken und Börsen, die nach diesem Prinzip arbeiten. Die Zielsetzung dieser alternativen Banken ist nicht die Maximierung der Profite, sondern, einen möglichst großen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Wenn wir Geld auch in Zukunft verwenden – Geld ist ein Mittel zweiter Ordnung, weil sie ein Mittel der Wirtschaft ist, die an sich schon ein Mittel ist – sollte es zu einem öffentlichen Gut erklärt werden, als Infrastruktur, ausschließlich von der Zentralbank ausgegeben. Alle Banken müssen gemeinwohlwirtschaftlich orientiert sein, alle Kredite dürfen nur für realwirtschaftliche Projekte fließen. Ich bin mittlerweile relativ leidenschaftslos, was die Fragestellung betrifft, ob die Banken der Gemeinwohlökonomie öffentlich sein müssen oder ob sie auch privat sein können. Es wird die Möglichkeit geben, das private Unternehmen vollkommen dem Gemeinwohl dienen, und es gibt die Möglichkeit, dass sich öffentliche Unternehmen wie Kannibalen verhalten. Alle Banken, die staatliche Unterstützung nehmen, müssten als Gegenleistung am Gemeinwohl orientiert sein. Das heißt: keine Gewinnausschüttung, keine Sparzinsen, Überprüfung der Kredite auf ihre ethischen Auswirkungen und eine demokratische Struktur.

Das Gespräch wurde von der Redaktion gekürzt und teilweise zusammengefasst.