Intersexualität – zwischen Normalität und Negierungtun & lassen

Auf dem Weg zu einem anderen Umgang mit Geschlechtszugehörigkeiten

Im November 2015 fand unter dem Titel «intersex solidarity days» in Wien Österreichs erste Intersex-Tagung statt: zur Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit und zur Vernetzung von Intersex-Personen. Intersexualität erklärt der Duden mit dem «Vorkommen von männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen in einem Individuum». Janina Henkes hat sich umgehört, was jenseits einer binären Geschlechterordnung denkbar und wünschenswert wäre.

Illu: Lina Walde

Seit in unseren Breitengraden ein dichotomes Modell von Zweigeschlechtlichkeit konstruiert wurde, gibt es Menschen, die aus diesem Muster fallen; Personen, die intergeschlechtliche Merkmale aufweisen und keiner binären Geschlechtszugehörigkeit zugewiesen werden können. An und für sich ist das ja kein Problem, hätte da nicht ein Normierungsprozess eingesetzt, der einhergeht mit der Anforderung, jeweils einer zuordenbaren Genderschablone entsprechen zu müssen.

 

Geschlechter flexibilisieren

 

In Österreich wird mensch unmittelbar nach der Geburt entweder als «weiblich» oder als «männlich» eingeteilt. Sollten schon beim Ultraschall oder gleich nach der Geburt Abweichungen festgestellt werden, werden systematisch Operationen und Hormontherapien eingesetzt, die oft zur Behinderung der Fertilität führen und somit einer physischen sowie psychischen Verstümmelung gleichkommen. Im August 2015 hat auf Malta eine Gesetzesänderung Einlass gefunden, die für Aktivist_innen einen Meilenstein bedeutet: Tobias Humer von VIMÖ, dem Verein Intersexueller Menschen Österreich, und PIÖ, der Plattform Intersex Österreich: «In dem Gesetz geht es um Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung und Geschlechtsmerkmale. Bezüglich Intersex ist es sehr spannend, weil Operationen und Behandlungen an Intersex-Kindern verboten sind. Der Geschlechtseintrag findet statt, es gibt aber die Möglichkeit, männlich, weiblich oder eine dritte Option zu wählen. Das besonders Gute daran ist, dass der Geschlechtseintrag verändert werden kann, dass er also flexibel bleibt. Dies gilt nicht nur für Intersex-Personen, sondern auch für alle anderen. Das heißt: Die Operationen sind verboten, die Behandlungen sind verboten und der Geschlechtseintrag ist flexibel.»

Gorji Marzban (VIMÖ + PIÖ) formuliert klare Forderungen. Gorji geht davon aus, dass das Konzept geschlechtlicher Binarität Nährboden für Stress und Diskriminierung ist. Diese wiederum können zur Traumatisierung betroffener Personen führen. Aus diesem Grund «fordern wir die Einstellung aller medizinischer Interventionen am kindlichen Körper, insbesondere bei nicht-mündigen Kindern und Jugendlichen. Wir wollen den Ärzten und Eltern die Entscheidungshoheit entnehmen und an den Menschen übergeben, damit er entscheiden kann, was für ihn richtig ist.» Weiters: «Das ist unsere erste Forderung, und wir glauben, wenn diese in Erfüllung geht, dann werden auch alle anderen Forderungen hinsichtlich der Pathologisierung, Depathologisierung, hinsichtlich des Zugangs zu den vollen Menschenrechten, zur Bewusstseinsbildung, zur Forschung und auch Selbsthilfe verwirklicht werden.»

 

Wohin, wenn man nicht weiterweiß?

 

In Wien gibt es mehrere Anlaufstellen für betroffene Menschen; darunter die bereits erwähnten PIÖ und VIMÖ, die vornehmlich politisch und wissenschaftlich zu Intersexualität arbeiten, aber ebenso Selbsthilfegruppen von und für betroffene Menschen anbieten. Weiters gibt es als Magistrat der Stadt Wien die Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen, «die überall dort auf den Plan tritt, wo Menschen aufgrund eines gewissen Merkmals, sei es real oder angedichtet, ausgegrenzt, diskriminiert, marginalisiert werden. Überall dort wo Menschen in ihrem Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt werden, tritt die Antidiskriminierungsstelle dafür ein, dass Selbstbestimmung uneingeschränkt wahrgenommen werden kann. Das Anderssein wird als Abweichung von der Norm gesehen; die Norm, die immer noch sagt, es gebe zwei binäre Geschlechter: männlich und weiblich, und dazwischen ist möglichst ein großer Graben zu sehen, der ja auch in einer patriarchalen Gesellschaft Mechanismen absichert und den Machterhaltungsstrategien dienlich ist», so Wolfgang Wilhelm, Leiter der Antidiskriminierungsstelle. In dem Magistrat werden übergriffiges Verhalten und Vorkommnisse von sexualisierter Gewalt dokumentiert. Mitarbeiterin Angela Schwarz definiert die Abteilung auch als «Beratungsstelle für Eltern, die bei ihrem Kind erst nach einigen Jahren herausfinden, dass das Kind intergeschlechtlich ist». Darüber hinaus gibt es für Erwachsene, die für die Geschlechtseintragung Rechtsberatung brauchen, eine kostenfreie und anonyme Beratung. «Wir sind mit dem Rechtsverband und der Gleichberechtigungsanwaltschaft vernetzt, die unmittelbar an die Gleichbehandlungskommission herantreten können, was einen Riesenvorteil bedeutet.»