Schwarze Pädagogiktun & lassen

Die Maßnahmen des AMS. Oder: Fußfesseln für Arbeitslose, erster Teil

tun_AMS_Kritik__GalinaToktalieva.jpgWer früher ohne Job war, war ein Versicherungsfall und wurde am Arbeitsamt wie ein Versicherungskunde behandelt im Großen und Ganzen höflich, zuvorkommend, jedenfalls ohne Repressalien. Heute aber wo sich das Arbeitsamt Arbeitsmarktservice (AMS) nennt und die Arbeitslosen großspurig als Kunden tituliert werden, begegnet man ihnen als Schuldigen, als Renitenten, die zur Räson gebracht werden müssen, die gegängelt werden dürfen.

Heute, wo Arbeitslosigkeit mehr denn je gesellschaftliche Ursachen hat, wird diese Tatsache wenn es um den einzelnen Arbeitslosen geht geleugnet: Der Arbeitsmarkt ist zwar schwierig, aber Sie brauchen nur von der Schattenseite in die Lichtseite treten! Und ,lächle mehr als andere, das hat schon Götz von Berlichingen gesagt!1 So absurd dies ist, in Zeiten der Auflösung der Arbeit wird die Arbeitslosigkeit individualisiert, also auf persönliches Versagen des Einzelnen, auf zu wenig Anstrengung, zu wenig Bildung oder die nicht richtige Ausbildung zurückgeführt. An jedem Arbeitslosen wird ein Makel diagnostiziert: das Defizit. Aus dem Versicherungsfall ist jemand geworden, dessen Mängel und Schäden behoben werden müssen. Also wurde die Pädagogisierungsmaschinerie hochgefahren.

Das Arbeitsmarktservice gebärdet sich jedoch mehr wie eine Institution Schwarzer Pädagogik denn wie eine Service-Einrichtung. Als ich im Jahr 2000 arbeitslos wurde, war ich nicht nur über den im Vergleich zu den späten 1980er Jahren und frühen 1990er Jahren völlig veränderten Umgangston und die Zwangsmaßnahmen perplex, sondern noch mehr darüber, dass in der Öffentlichkeit nichts über diese Erniedrigungsrituale bekannt war.

Mit dem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit haben sich die Ausgaben der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik, also die für Kursmaßnahmen, von ca. 120.000 Euro im Jahr 1999 auf jährlich ca. 900.000 Euro seit 2005 erhöht. Auch die Zahl der Arbeitslosen in Kursen steigt noch immer an: 2006 waren es um 18,3 Prozent mehr als im Jahr davor. Bei Frauen gab es sogar eine Steigerung um 24,9 Prozent. Ständig werden ca. 60.000 Personen geschult, gecoacht, gebildet, aktiviert.

Das AMS hält für seine Kunden ein auf den ersten Blick reichhaltiges Angebot an Integrationsmaßnahmen bereit. Damit sind verschiedene arbeitsmarktpolitische, sozialpädagogisch unterstützende Kursmaßnahmen gemeint, deren Ziel die Eingliederung der Teilnehmer in den regulären, den so genannten ersten Arbeitsmarkt ist. Auf den zweiten Blick unterscheiden sich die Angebote jedoch nicht wesentlich voneinander. Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung, der Berufsorientierung und der Unterstützung der Arbeitsvermittlung bzw. Aktivierung werden unter dem Überbegriff Qualifizierung für Arbeitslose subsumiert. Sie alle haben die Aktivierung der Teilnehmer zum Ziel (vgl. Wolfgang Iro 2005, S. VI).

Immenser Aufwand, lächerliches Resultat


Dass die meisten Maßnahmen aber mitnichten dazu dienen, wieder einen Job zu bekommen, diese schmerzliche Erfahrung machten Hunderttausende im Lauf des vergangenen Jahrzehnts. Vor allem für ältere bzw. hoch qualifizierte Arbeitslose entpuppen sich all die Wiedereingliederungsprozeduren als reinste Chimäre. Als ob es an ihren mangelnden Fähigkeiten oder ihrem fehlenden Engagement läge, ohne Job zu sein. Gleichwohl werden sie behandelt, als ob sie etwas verbrochen hätten. Aber Maßnahmen schaffen ja keine neuen Jobs! Dies gestand denn kürzlich auch Frau Dr. Ingeborg Friehs, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des AMS Wien, ein: Damit würden nur die Chancen auf einen Arbeitsplatz gesamtgesellschaftlich ein bisschen gerechter verteilt. Welch ein immenser Aufwand, nur um die Arbeitslosigkeit ein bisschen umzuschichten?

Die einen bugsiert man in den Arbeitsmarkt hinein und auf der anderen Seite fallen dafür wieder welche raus. Könnten die enormen Kosten für dieses Nullsummenspiel nicht besser verwendet werden? Aber diese gerechtere Verteilung der Arbeitslosigkeit dient wohl einerseits dazu, ein soziales Ungleichgewicht bzw. das Aufbegehren einer bestimmten sozialen Gruppe zu verhindern, und andererseits alle Berufs-, Alters- und Gesellschaftsgruppen spüren zu lassen, wie entwürdigend Arbeitslosigkeit ist. Der dadurch erzeugte Druck erhöht dann die Bereitschaft, Jobs unter den miesesten Bedingungen anzunehmen, enorm.

Das Gros der Kurse sind keine fachlichen Aus- oder Weiterbildungen, sondern verschiedene Arten des Bewerbungstrainings, der Job-Suche intensiv und der Motivation, die Arbeitslose jährlich oder halbjährlich absolvieren müssen. Die Dauer variiert von sechswöchigen Kursen, die einmal die Woche zu besuchen sind (z. B. die so genannten Einzelcoachings) bis zu solchen, die zwischen sechs Wochen und mehreren Monaten täglich zu besuchen sind. Die Auswahl der Kurse die Kriterien bleiben meist im Dunkeln und die kurzfristige schriftliche Einberufung dazu erfolgen durch die einzelnen BetreuerInnen. Die Maßnahmen werden außerdem selten mit den Kunden abgesprochen.

Dass Absolventen der Wirtschaftsuniversität einen dreimonatigen Wirtschaftsgrundkurs besuchen müssen, deutschsprachige Jugendliche einen Kurs Deutsch als Fremdsprache, EDV-Experten einen EDV-Einführungskurs, Personalchefs ein Bewerbungstraining, zeugt von pauschalen Massenzubuchungen anstatt von persönlicher Betreuung. Die Landesgeschäftsführerin des AMS Burgenland, Mag. Helene Sengstbratl, rechtfertigte in einem ORF-Interview solche Praktiken mit dem Hinweis, dass das hohe Budget ausgegeben, also genug Interessenten für die Angebote gefunden werden müssen. Was für ein Euphemismus für Zwangsrekrutierung!

Wer es nicht selbst erlebt hat, kann sich meist keine Vorstellung machen vom demütigenden Umgang der AMS-BetreuerInnen und KursleiterInnen mit den Arbeitslosen. Wobei diesen kein böser Wille zu unterstellen ist, sie erfüllen ja lediglich ihre Pflicht. In den Stunden, Tagen und Wochen dieser, von den Betroffenen bezeichnenderweise Sinnloskurse genannten, Maßnahmen wird viel Zeit totgeschlagen, weil davon wesentlich mehr zur Verfügung steht, als es zu schulen, motivieren und coachen gibt. Die TrainerInnen lösen einander ab. Wobei der nächste die Art und Weise des vorigen, Bewerbungsschreiben und Lebensläufe zu verfassen, verwirft und seine eigene als die einzig zielführende präsentiert. Es wird etwa Stunden lang doziert, wie viele Leerzeilen wohin gehören. Ein Hinterfragen oder das Verweigern der jeweiligen allein gültigen Methode eines Trainers kann als Vereitelung ausgelegt und mit einer Bezugssperre geahndet werden. Freie Meinungsäußerungen sind in Zwangsmaßnahmen also riskant; und sei es nur das Berichten seiner (erfolglosen) Erfahrungen bei der Arbeitssuche es darf nur positiv gedacht und gesprochen werden!

Ein Teil ansonst Arbeitsloser schult den anderen


Oft gibt es viel zu wenige PCs für die Online-Jobsuche. Das meiste könnte zu Hause viel schneller und effektiver erledigt werden. Überdies kommen in den Maßnahmen mehr oder weniger brauchbare Anleihen aus der Gruppendynamik genauso wie dubiose Psychotests und Psychospielchen zum Einsatz, ferner zahlreiche esoterisch verbrämte Techniken wie Meditation, NLP, Aufstellungen nach Bert Hellinger und vieles mehr. Die hochtrabend klingenden Maßnahmen wie Betreuungs-, Ausbildungs- und Berufspläne schmieden, Orientierungs- und Aktivierungsphasen durchlaufen, die Jobsuche intensivieren sind selten von Erfolg gekrönt. All diese Pflichtübungen sind blanker Zynismus vor dem Hintergrund der weit auseinander klaffenden Zahl der Joblosen und jene der offenen Stellen. (Das viel gepriesene aktuelle Jobwunder ist ja schlicht ein blaues. Zahlreiche Jobs wurden in zwei bis drei McJobs aufgeteilt und fertig ist die wundersame Jobvermehrung.2)

Wolfgang Iro schreibt in seiner Diplomarbeit über einen Großteil von Arbeitslosen: Die Maßnahmen stellen … eine weitere Stufe des mit öffentlichen Transferleistungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) verbundenen Zwanges zur permanenten Zurschaustellung ihrer Arbeitswilligkeit dar, auch wenn sich ihnen de facto gar keine realisierbare Arbeitsmöglichkeit bietet (Wolfgang Iro, 2005, S. 10).

Auch die Tatsache, dass es oft bloßer Zufall ist, ob jemand als Trainer oder aber als Trainierter eine Maßnahme zu besuchen hat, wirft ein bezeichnendes Licht auf dieses potemkinsche Dorf. Ein Teil ansonst Arbeitsloser schult den anderen. Wir simulieren Vollbeschäftigung!3

Anmerkungen

1 Zitat vom legendären Bewerbungs-Impulstag, den jahrelang alle Arbeitslosen in Wien zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit jeweils mit über 500 anderen im Messe-Kongresszentrum am Rande des Wiener Wurstel-Praters zu absolvieren hatten (vgl. Wölflingseder, Maria, 2005a).

2 Vgl. Lohoff, Ernst (2007): Unser blaues Jobwunder. In: Streifzüge Nr. 40, S. 3, www.streifzuege.org.

3 Ausführliche Berichte über Maßnahmen in: Wölflingseder, Maria, 2005a; Werner, Christine, 2007; sowie auf www.soned.at; www.wettinfo.co.at/AMS_Kurs.htm; www.bildungsmafia.at.

Die Maßnahmen

Die Faulen werden geschlachtet,

die Welt wird fleißig.

Die Hässlichen werden geschlachtet,

die Welt wird schön.

Die Narren werden geschlachtet.

die Welt wird weise.

Die Kranken werden geschlachtet,

die Welt wird gesund.

Die Alten werden geschlachtet,

die Welt wird jung.

Die Traurigen werden geschlachtet,

die Welt wird lustig.

Die Feinde werden geschlachtet,

die Welt wird freundlich.

Die Bösen werden geschlachtet,

die Welt wird gut.

Erich Fried


Maßnahme

Eine Maßnahme ist das hoheitliche Handeln, das in die (Grund-)Rechte einer Person eingreift und gegen deren Willen vollzogen wird. Maßnahmen können nur von zuständigen Amtsträgern angeordnet und durchgeführt werden. Der Rechtseingriff durch die Maßnahme ist rechtmäßig, wenn sie auf einer gesetzlichen Eingriffsermächtigung beruht (Rechtfertigungsgrund). Maßnahmen können mittels Verwaltungszwangs oder mittels unmittelbaren Zwangs durchgesetzt werden. Sobald der Betroffene die Freiwilligkeit des Vollzugs einer (ursprünglich) hoheitlichen Tätigkeit einräumt, spricht man nicht mehr von einer Maßnahme.

Bei der Polizei wird zwischen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung unterschieden. Maßnahmen, die beide Gebiete tangieren, sind doppelfunktionale Maßnahmen.


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