Kulturzone Aspern?vorstadt

Zwischen Gemeinschaftsgarten und Baustelle wird Kunst gepresst

Endstation U2: Seestadt Aspern. Der 22. Bezirk verspricht einen Wohn- und Kulturhotspot. Hier ist nichts, nur Zement, beschreibt Nina Prader.

Foto: Christian Bauer

Ein Container mit der Aufschrift: ««Salotto Vienna» bringt Kultur in die Seestadt». Salotto Vienna, initiiert und kuratiert von Jürgen Weishäupl, Raimund Deiniger und dem italienischen Architekt Giovanni Damiani, lockt mit Club, Medienkunst und Cocktail. Seit Neujahr und bis Ende März veranstaltet der Salon ein Kunst-Programm mit Promis und Newcomer_innen. Wiens urbane Kunstszene bekommt eine neue Grenze. Es gibt aber noch mehr Kulturen vor Ort.

Schon zu Silvester war Salotto Viennas Lichtershow ein Versuch, Wiens Kunstzentrum nach außen zu schieben. Im Sommer 2014 entstand der Salon im kleinen, alten Triest. Nun ist die Seestadt der zweite Stadtrahmen in Zusammenarbeit mit dem MAK. Rund 800 Bewohner_innen sind schon da. Mehr als 20.000 kommen noch. Drum herum rausgeschmissener «Gänseblümchen»-Wohnwagentrupp, Permakultur, Feminismus, Zwischennutzung und ein windiges Flugfeld, früher für NAZI-Flugzeuge. Alle Wohnungen und Büros sind mit UPC- und Metro-Connection zum Leben, Wohnen, Arbeiten und «Kulturmachen» verkauft. Welche Kultur nimmt den Raum? Das Verhältnis von Kultur und Stadt ist eine eigene Besiedlung.

Kritiker_innen der Seestadt raunzten «Vorstadtghetto» und «Stadtentwicklungsflop». Das Kulturprogramm nimmt viele Positionen ein und wirkt wie Spülmittel, Aspirin, Boxhandschuh oder Droge, um die vorhergesagte «Problemzone» zu blocken. Mitgestaltung ist angesagt, denn die Seestadt ist ein großes offenes Versprechen. Sie begreift sich als soziales Experiment, hochgelobt von Stadt und Land als Europas urbanstes Entwicklungsprojekt neuer angewandter Lebensqualitäten, Brüssel unterstützt. Ausgestattet mit Lifestyle, fast wie ein College-Campus, check dir Tierarzt, Mini-Markt, Fahrradshop, Haarschnitt und Lollipop nebenan. Die soziale Architektur der Seestadt gibt nicht nur aktive Werte für Work-Life-Balance vor, sondern auch Party. Die Kunst im Salotto ist das «Herzstück», sagt Giovanni Damiani. Die Aufgabe der «Good Guys», Künstler_innen und Kurator_innen, ist es, «die Seele» der Stadt zu bewahren, quasi gegen Gotham City vorzubeugen.

Natur vs. Kultur

Zoom ins Grenzgebiet Aspern Nord: DIY-Hütten und Gemeinschaftsgarten ecken mit dem Beton und den Baubergen des Stadtprojekts an. Bettina Fabian ist für ökologische Kultur. In ihrem mobilen Atelier und Werkstattwagen «Lehmspur und Feuerton» in Kooperation mit dem Verein United Creations wird das «Sprungbrett Aspern» zwischengenutzt. «Wichtig für das Kulturverständnis ist, dass es in der Natur umgesetzt wird, auch wenn es heißt, den Masterplan ein Stück weit abzusetzen. Kultur heißt, nicht nur Bauwerken die Macht zu geben.» Kultur-Natur zum offenen Nutzen befindet sich unter Druck vom Stadtkonzept. Eigenverantwortliche und autonome Handlungen, wie künstlerisches Ausprobieren oder Gärtnern, sind somit eingeschränkt. Kultur-Landschaft braucht ein Make-over, und ist somit ständig in Verhandlung mit der Ästhetik der Seestadt. Problem: Das Ideengut von Subkulturen wird für Stadtkultur verpulvert. Jede kann im ehemaligen Hippie-Geodom heute Gösser bechern, während die Kiddys auf der Schneepiste zu «All about that Bass» rutschen. Anderer Inhalt ist gleich anderer Kontext. Nicht alle sind wegen der Seestadt dort, sondern auch wegen dem Land. Es muss auch Platz für Naturnetze und selbstorganisierte und unangepasste Lebensstile geben. Frauenstraßennamen sind gut gemeint, aber mehr Frauenorte, danke schön. Sag mal, warum haben Kulturen wie Wohnmobil immer noch so wenig Platz in Wien? Rückblick: Sinti- und Romavertreibung. Oje …

Für den Kulturwandel an «der Schwelle von Stadt und Land» setzt sich United Creations mit Permakultur und nachhaltigem Bau ein. Sie definieren sich als «Speerspitze» der Mitgestaltung an der Seestadtinfrastruktur. Anpacken ist der Ethos. Reden ist auch im Kulturbegriff von «Commoning», Empowerment und Selbstverantwortlichkeit drinnen, darum gibt es einen Jourfixe mit den Seestadtberater_innen. Dieses Monat auf der Agenda: Machbarkeitsstudie.

Ein Kampf oder ein Miteinander? Der Kulturansatz ist ökologisch und ökonomisch. Kein Krieg der Kulturen, soziokratisch wird verhandelt. Alle sind der Meinung: mitwirken statt Opfer spielen.

Atlantis wird vorbereitet, im Kunst- und Kulturlabor der Seestadt wird entwickelt, experimentiert, gebuddelt und ausgewertet. Schlagwort: «Gemeinsam». Redma-uns-zam, so die Kulturen, doch mit leicht anderer Aussprache, meint ein Wort einen anderen Wert. Mitfiebern kann man beim Salotto-Programm in seiner eigenen Kultursendung auf W24. Im Herbst ist auch ein Medienkunstfestival angesagt, wieder mit dem MAK, vielleicht am See gesponsert. In diesem Expansionsprojekt sagt Salonkultur «Willkommen in der Seestadt» und zeigt auf die Seestadt, neben den Eigenbauern im Grenzgebiet.

Die Synchronschwimmerinnen in Robert Jelineks Videoprojektion hupfen eine nach der anderen in den See. Der Sinn? Wer hier Kultur machen will, muss mitbaden, ob frei, angepasst, urban, öko – dazwischen oder sonstwas.

Info:

Im März immer Do., Fr. u. Sa. ab 18 Uhr bei freiem Eintritt

www.salotto-vienna.net