Nur für die Leservorstadt

Lokalmatadorin Nr. 210

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Maria Hirsch arbeitet seit bald vier Dezennien

in der städtischen Bücherei in der Zirkusgasse.

Er kenne sie. So sprach sie der deutlich jüngere Herr, ein belesener Architekt, wie sich schnell herausstellen sollte, nach einem Konzert im Ost-Klub an. Ach ja? Ja, ganz sicher, er habe viele Jahre mit ihr zusammen gelebt. Ein schöneres Kompliment kann man einer Bibliothekarin kaum machen. Auch nicht nach so vielen Dienstjahren.

Maria Hirsch leitet die städtische Bücherei in der Zirkusgasse Nr. 3. Sie begann hier im September 1970, wenige Wochen nach der Matura. Brasilien war Weltmeister im Fußball. Bruno Kreisky schon Weltmeister der Sozialdemokraten. Und auch ihr Vater, der Industriearbeiter, der mit seiner Frau und seinen drei Töchtern der Arbeit quer durch Niederösterreich gefolgt war, gab sich mit der Welt zufrieden: Schön, dass es auch seine Maria zu etwas bringen wollte.

Dabei wurden junge Frauen damals schief angesehen, wenn herauskam, dass sie ihren Beruf in der Zirkusgasse ausübten. Vor dem Hotel Weißes Lamm standen sich sehr geschminkte Damen ihre Beine in den Bauch, und beim Kabarett Renz wurde auf die Schmutzer-Buam geschossen. Weil der zweite Bezirk nicht ihr Revier war.

Ich bereue nichts, erklärt die 57-jährige Mitarbeiterin der Stadt Wien glaubhaft. Ein Studium sei für sie nie zur Debatte gestanden. Und mit ihrem Faible für alles Geschriebene, für alles und nichts, sei ihr hier in der Bücherei keinen einzigen Tag fad gewesen.

Überall klettern die Bücher wie Efeu die Wände rauf. Selbst vor der Kaffeeküche machen sie nicht Halt. Ein Kapitel für sich. 30.000 , so viel Geld kann die Leiterin der Bücherei jedes Jahr für Neuerscheinungen ausgeben. Volksbildung wird in Wien noch immer als Wert, nicht als Kostenfaktor begriffen. Weil aber die Räume im Keller des Gemeindebaus nicht mitwachsen, hat für das Inventar ein Verdrängungswettbewerb eingesetzt. Vor allem älteren Werken droht die Abschiebung auf den Flohmarkt.

Viele hat sie kommen, viele auch wieder gehen gesehen: Nicht nur die Schmutzer-Buam. Ganz am Anfang ihren Lehrmeister Karl-Anton Maly, der ab und zu aus seinem Roman Passagen über das Meer vorlas, ohne das Meer je gesehen zu haben. Mit ihm auch die älteren Kollegen, die im Geiste der Arbeiter-Bücherei die Entlehner mehr belehren als beraten wollten. Später die Weltverbesserer, die mit ihrer Vision, die öffentliche Bücherei zu einer sozialen Wärmestube umzudichten, scheitern mussten. Bald darauf die Feministinnen.

Unvergessen jene Stadträtin, mit der ich mir im Rathaus ein wildes Schreiduell geliefert habe. Auch die Wandlung des Karmeliterviertels hat sie mitangesehen. Von einem abseitigen Grätzel zum angesagten Quartier der feinen Leute, die in die teuer renovierten Gründerzeit-Lofts einzogen. Wenig Freude hat sie heute auch mit jenen Vorgesetzten, die zu den Lesern Kunden sagen und dabei nicht merken, wie sie den neoliberalen Kurs mittragen.

Heute ärgert sie sich über jenen Kommunikationsoffizier der MA 13, den man ihr aus der Zentrale als Interview-Wächter geschickt hat. Was wird er wohl dem Amt für positive Berichterstattung berichtet haben? Wurscht.

Maria Hirsch mit ungebrochener Empathie: Ich bin nur für die Leser da. Beraten, nicht bevormunden. Lautet ihre Devise. Dabei gelte es, konkrete Anfragen konkret zu beantworten und Interessen in die richtige Richtung zu dirigieren: Als Bibliothekarin muss ich nicht wissen, was in einem Buch drinnen steht. Ich muss wissen, wo das Buch steht. Schlag nach bei Robert Musil.

Vor Kurzem schallte ihr in der U-Bahn ein herzliches Hallo, Maria! entgegen. Ich war, glaub ich, die Einzige im Zug, die sich nicht fürchten musste. Ihre Zurufer halbstarke Burschen einer Türken-Gang, die früher regelmäßig in die Zirkusgasse kamen. Um im Internet zu surfen und am PC zu spielen.

Noch etwas hat Maria Hirsch, die sich als Personalvertreterin mehr sagen traut als Andere, als Zeitzeugin miterlebt: Die Entdeckung ihrer Berufsgruppe von jenen, die in der Stadt das Sagen haben. Bibliothekare der Gemeinde, das waren noch vor wenigen Jahren kaum beachtete Randfiguren in einer vom Rathaus weit entfernten Umlaufbahn. Weil sich niemand für sie interessierte, genossen sie Freigeist-Status. Inzwischen sind sie wie die Bücher eingeordnet. Damit tun wir uns noch ein bisserl schwer. Vor allem bei Entscheidungen, die nicht nachvollziehbar sind.

Die Ausbeutung der Putzfrauen sei so eine Entscheidung. Berichtet Hirsch mit funkelnden Augen. (Und man kann sich dabei ungefähr ausmalen, wie sie der einst mächtigen Stadträtin die Stirn bot.) Es sei eine Frechheit, mit wie wenig Geld die Schwächsten in der Hierarchie abgefertigt werden: Gerade von einer Stadt wie Wien sollte man etwas Anderes erwarten.

Noch einmal Augenfunkeln. Bei der Frage, ob die Wiener weniger lesen als früher: Blödsinn! Die Leute würden heute genauso viel lesen, animiert durch das Internet und die Notwendigkeit, sich weiter zu bilden, vielleicht sogar mehr. Übrigens sagt das eine, die es wissen sollte: Ich war anfangs eine scharfe Gegnerin des Computers.

 

Info:

Lokalmatadore nennt sich auch der Sammelband dieser Porträt-Serie erhältlich bei Augustin-VerkäuferInnen sowie im Buchhandel.

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