100 Jahre Frauenwahlrechttun & lassen

Meilenstein der ersten Frauenbewegung in Österreich:

Am 12. November 1918 erlangte die Hälfte der österreichischen Bevölkerung Zugang zum aktiven und passiven Wahlrecht. Dieser Erfolg ist der ersten Frauenbewegung in Österreich zu verdanken. Iris Hanebeck rollt die Geschichte dieser Errungenschaft von hinten auf.

Der Mangel an Wissen und Bewusstsein über die zwei großen Frauenbewegungen in Österreich ist in mehrerlei Hinsicht problematisch. Es könnten lehrreiche Schlüsse für heutige Kämpfe gezogen werden. Zum Beispiel von Zusammenschlüssen und Allianzen über Klassen- und Religionszugehörigkeit hinweg. Es könnte uns lehren, dass die Kämpfe auf der Straße von den verarmten Arbeiterinnen ausgingen. Dass gemeinsame Ziele für die Bewegung wichtig waren, es aber auch Konflikte über verschiedene Ausrichtungen gab (radikale, proletarische oder bürgerliche Flügel).

Es wäre ein Trugschluss zu denken, Frauen hätten im Zuge der Gründung der Ersten Republik das Frauenwahlrecht allein der Gerechtigkeit wegen erlangt. Die Männer waren weder so intelligent noch gnädig, Frauen von sich aus in den Aufbau der Republik aktiv einzubinden. Es gab bis zuletzt große Widerstände aus allen Fraktionen gegen das Frauenwahlrecht.

Kampf gegen die kaiserliche Krone.

Die Lebensbedingungen der Arbeiter_innen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren so miserabel, dass es – mit Ausnahme des eigenen Lebens – nicht viel zu verlieren gab. Es war die Zeit der Industrialisierung. Während Frauen aus der Mittel- und Oberschicht Lohnarbeit verboten war, mussten die Proletarierinnen selbstverständlich auch für Einkommen sorgen. Die Frauen waren ihren Ehemännern auch rechtlich unterstellt. 1811 wurde im bürgerlichen Gesetz der Mann als Haupt der Familie institutionalisiert, inklusive Züchtigungsgebot. Zwei Frauenbewegungen wird es brauchen, um diese diskriminierende Gesetzeslage 1971 aufzuheben.

Im März 1848 kam es auch in Wien zu Großdemonstrationen für Presse-, Rede- und Religionsfreiheit sowie die freie Wahl von Volksvertretern. Die erste Frauen-

demonstration am 21. August 1848 ließ die verarmten Erdarbeiterinnen gegen weitere Lohnkürzungen auf die Straße gehen. Am 23. August schlossen sich auch Männer den Protesten an und zogen mit den Frauen zur Prater Hauptallee. Die Forderung lautete «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit». 18 tote Arbeiter_innen, vier tote Soldaten und 282 mitunter schwer Verletzte waren die schockierende Antwort der kaiserlichen Nationalgarde auf die Proteste. Die große Brutalität insbesondere gegen die Arbeiterinnen, mit der die Herrscher diese Gewalt rechtfertigten – «die Frauen haben sich wie Furien benommen» –, führte zur Gründung des ersten politischen Frauenvereins in Österreich durch die einer adeligen Familie entstammende Karoline von Perin. Politische Gleichstellung, Zugang zu Bildung für Mädchen und Frauen und Hilfe für die Opfer der sogenannten Praterschlacht vom 23. August 1848 waren die Ziele des Vereins. Nach zwei Monaten wurde der Verein geschlossen und Karoline von Perin enteignet, misshandelt und des Landes verwiesen.

Petra Unger (mehr zur Autorin auf S. 40 dieser Ausgabe) schreibt in ihrer heuer erschienenen Broschüre mit dem Titel Frauen.Wahl.Recht: «Es geht den Frauen der Vorstädte und Vororte vordergründig tatsächlich (noch) nicht um ihre eigene Emanzipation, sondern um ihr Überleben. Sie haben nichts zu verlieren und kämpfen bis zuletzt. Die Rache der kaiserlichen Truppen wendet sich besonders grausam gegen die Frauen.» Brutalste (sexualisierte) Gewalt, Vertreibung und Mord an Revolutionär_innen waren die Folgen der Aufstände und Barrikadenerrichtung in den Vororten von Wien. Frauen, Ausländer_innen und Minderjährigen waren die Gründung von und Organisierung in politischen Vereinen verboten. Trotzdem wurden bis ins 20. Jahrhundert noch zahlreiche Vereine von Frauen gegründet, die unter dem Deckmantel ehrenamtlicher Fürsorgearbeit wirkten.

Frauengroßdemonstration.

Am 19. März 1911 wurde der Frauenkampftag ausgerufen und eine Frauengroßdemonstration in Wien abgehalten. 20.000 Frauen gingen auf die Straße. Gefordert wurde der gleiche Zugang zu Bildung, das Frauenwahlrecht, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und die Abschaffung des Paragrafen 144, der für Schwangerschaftsabbrüche zehn Jahre schweren Kerker vorsah.

In der ersten Nationalversammlung zur Gründung der Republik wurde das Verbot der politischen Vereinsarbeit für Frauen aufgehoben. In der zweiten Versammlung kam es dann zum Beschluss des freien und gleichen Wahlrechts ohne Unterschied der Geschlechter. Entgegen allen Befürchtungen – die Frauen hätten kein Interesse am Wählen – nahmen knapp über 80 Prozent der Frauen an der ersten Wahl im März 1919 teil. Aufgrund der bürgerlichen Moralvorstellungen blieb eine Gruppe aber weitere zwei Jahre vom Wahlrecht ausgeschlossen: die Sexarbeiterinnen.

Die Bilanz ist für die erste Frauenbewegung beachtlich. Sie erreichte die Zulassung von Mädchen und Frauen zur höheren Schulbildung, die Öffnung der Universitäten für Frauen, den freien Zugang zu fast allen Berufen und den Einzug von Frauen ins Parlament: Am 4. März 1919 nehmen acht Frauen, davon sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlich-Soziale, im Nationalrat Platz.