1000 FragenDichter Innenteil

Illustration: Silke Müller

Ich steh’ da ohne zu zucken. Das Gefühl war wieder hier. Diese Einsamkeit, obwohl Menschen bei mir sind. Diese Kälte, obwohl die Sonne scheint. Diese Leere, obwohl ich doch sowieso schon alles habe, was ich brauche. Aber irgendetwas fehlt mir. Etwas, das mein Herz erfüllen könnte und die Mauern brechen ließe. Es sind nicht die wahren Worte der liebsten Person, nicht das glänzende Augenlicht, das der Sonne entgegenkommt, nicht die Musik, die mir für das Verschwinden der Realität hilft, nicht die schöne Aussicht auf das kleine «Volk» Wien, nicht das Rausgehen und wieder spät Nachhausekommen und auch nicht das Arbeiten, das dich deine Ängste und Fruste vergessen lässt. Nein, das war es alles nicht. Oder wäre es doch besser alles zu vergessen und sein Leben einfach zu leben und versuchen zufrieden zu sein mit dem, was man hat. Doch das will ich dennoch nicht, ich will etwas viel Schöneres. Genug mit den vielen traurigen Gesichtern in der Stadt, genug mit den schlecht gelaunten Fratzen der alten Menschen, genug mit dieser falschen Generation. Das Eintauchen in die Fantasie gibt mir immer Hoffnungen auf ein neues Leben, das mich irgendwann mal von diesem Ort wegbringt. Es muss doch eine Möglichkeit geben nicht so ein deprimierendes Leben zu führen.
Das tägliche Aufwachen und die blauen, glänzenden Wellen in der Sonne gleiten zu sehen, die auf ihren Flügeln gleitenden Möwen kreischen zu hören, einen guten Kaffee auf dem Balkon aus einer braunen Tasse ohne Henkel zu trinken, auf den glänzenden Tasten eines Bösendorfers zu spielen, während die Kinder mir zuschauen, sich nach dem Kellnern auf den Strand und ins abkühlende Meer schmeißen, mit Familie, Freunden und den dachfreien Autos herumfahren und die Kleider hinter mir wehen lassen, das kostbare Essen in einem alten Restaurant genießen, romantische Romane aus der Vergangenheiten am Abend lesen, sich mit Gottes Gnade und seinen Worten befassen und somit den Sinn des Lebens finden und daraufhin ein neuer freier Mensch werden. All dies vermisste ich niemals als Kind, weil ich nicht wusste, was für schöne Erlebnisse und Missionen es auf dieser Welt gibt. Vielleicht ist dies hier einfach eine langweilige Stadt, die ihre Bürger einfach wohnen lässt, oder haben meine Gehirnzellen und die Lebensfreude nachgelassen? Die Menschen, die hier waren oder sind, waren immer dieselben. Kälte und Verschlossenheit stechen als Gefühl heraus. Man sagt sich, dass jeder Mensch alle 10 Jahre einen sogenannten «Mental Breakdown» hat. Ob es wahr ist, weiß ich auch nicht, aber bei mir ist es wahrscheinlich wieder soweit.
Aber nach jedem Regen kommt die Sonne heraus. Genau so ist das Leben. Es besteht aus einer Welle, die im Ozean in die Höhe und in die Tiefe gleitet, aber wenn es keinen Wind gäbe, wäre das Meer still. Das wäre doch irgendwie langweilig, oder? Mein Lieblingsteich im botanischen Garten ist mir einmal weise erschienen. In dem Teich waren Frösche, die von einem Seerosenblatt zum nächsten Seerosenblatt gesprungen sind. Was wäre, wenn die Frösche nicht einfach schwimmen lernten? Genauso ist es auch im Leben. Der Mensch muss lernen unabhängig zu werden. Im Leben einfach durchzuschwimmen ist schon eine große Herausforderung. Wenn ich im richtigen Leben auch richtige Freunde, einen richtigen Job, den ich nicht als eine Pflicht ansehen würde, den richtigen Partner für meine Zukunft auswählen könnte, den richtigen Ort für das Leben haben könnte, dann wäre ich doch glücklich, oder? Oder doch nicht. Ich habe es satt, mich immer vor den Menschen rechtfertigen zu müssen. Wieso war das früher nicht so? Warum genau jetzt? Manchmal quälen mich die Gedanken, warum ich mit Menschen beieinander sitzen muss, die ich gar nicht mal sehen will oder mögen kann. Oder setze ich mir vielleicht selber Mauern? Wieso weiß man, dass jeder nicht für immer da sein wird. Alles hat ein Ende. Ein Stift geht ohne Patrone nicht, ein Tier und ein Mensch kann ohne ein Herz nicht leben, das Essen verschimmelt, Freunde gehen und kommen, Schönheit vergeht und so vieles mehr. Aber was bleibt mir übrig? Worauf kann ich mich verlassen, das für die Ewigkeit hält. Immer diese 1000 Fragen im Kopf und jedoch keine 1000 Antworten darauf. Aber mein Inneres verrät mir, dass ich die Antwort auf mein Leben irgendwann finden werde.