Abschiebung über die Donautun & lassen

Schon in der Habsburger-Monarchie wusste man zu deportieren

Der Temesvarer Wasserschub war die längste in Mitteleuropa durchgeführte Deportationsmaßnahme. Von 1744 bis 1768 fielen ihm «liederliche» Frauen, Wilderer,

Aufrührer_innen und Vagant_innen zum Opfer. Von Anton Tantner.

Die habsburgische Geschichte ist reich an Grausamkeiten, voller Niedertracht und Unmenschlichkeit: Brutale Verfolgung von Minderheiten und Andersdenkenden, Entfesselung langjähriger Kriege ganz entgegen dem bis heute wirksamen Klischee einer friedfertigen, nur mittels Heirat betriebenen Außenpolitik, Unterdrückung demokratischer Bewegungen im In- und Ausland – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Ein besonders unrühmliches Kapitel der österreichischen Vergangenheit ist der Umgang mit Prostituierten, Bettler_innen und vagierenden Personen: Eines der gegen diese «infamen» Menschen eingesetzten Mittel war im 18. Jahrhundert die Deportation mittels des sogenannten «Wasserschubs». Es ist das Verdienst des Historikers Stephan Steiner, diesen zuletzt auch auf Grundlage bislang nicht beachteter Akten erforscht zu haben. Und zwar als Teil seiner auch gedruckt erschienenen Habilitationsschrift über Deportationen in der Habsburgermonarchie der Frühen Neuzeit, die den vielsagenden Titel Rückkehr unerwünscht trägt.

Sittlichkeitsdelikte, Diebstahl, Gotteslästerung. Bei diesem Wasserschub wurden unliebsame Personen von Wien aus per Schiff über Donau, Theiß und Begakanal ins heute in Rumänen gelegene Temesvar (Timișoara) verfrachtet, wo sie entweder weiter eingekerkert wurden oder aber sich anzusiedeln hatten. Die erste bekannte Aktion dieser Art fand im Jahr 1744 statt, und zunächst waren ausschließlich Frauen davon betroffen. Die genauen Anschuldigungen, die zu ihrer Abschiebung aus Wien führten, sind nicht bekannt, doch war diese Maßnahme allgemein gegen «liederliche Weibspersonen» gerichtet, die den rigiden Moralvorstellungen der Behörden und insbesondere denen der Regentin Maria Theresia nicht zupass kamen.

In späteren Jahren wurden auch Männer zum Wasserschub verurteilt. Die Gründe für diese Strafe variierten. 1746 traf es etwa drei «Staatsgefangene» – was so geheim war, dass nicht einmal ihre Namen überliefert sind. Daneben führten Sittlichkeitsdelikte, Diebstahl, Gotteslästerung, Tabakschmuggel, Kuppelei oder Desertion zu dieser Strafe; im Falle eines Studenten ging es indes um dessen «sträffliche(s) reden». Deportiert wurden zumeist Angehörige der Unterschicht. Dass es einmal einen bankrottgegangenen und den Behörden als Querulanten aufgefallenen Kaufmann und ein andermal einen Alchemisten traf, blieb die Ausnahme. Angehörige der Volksgruppe der Roma wurden derweil auch grundlos deportiert. Eine eigene Kategorie stellten die Wilderer mit ihren Angehörigen dar: Die «Wildprädschüzen» scheinen von den Behörden als moralisch und physisch geeignet betrachtet worden zu sein, sich im Banat anzusiedeln, noch dazu, wo ihnen dort die Jagd erlaubt war. Auch Kleinkinder mussten den Wasserschub über sich ergehen lassen. Im Herbst 1766 blieben selbst zwei Babys, eines sieben Monate, das andere elf Wochen alt, nicht verschont und wurden mitsamt ihren Müttern deportiert.

Einmal starb ein Geistlicher. Der Schub fand in der Regel zweimal jährlich statt, im Frühjahr und im Herbst, und betraf oft um die 100 Personen, die zumeist in Wien, Nieder- und Oberösterreich, manchmal auch in Ungarn aufgegriffen und dann im Wiener Zucht- und Arbeitshaus eingekerkert worden waren, bevor sie die 20-tägige Fahrt mit dem Schiffskonvoi antreten mussten. Viele der «Schubleute» (der Begriff «Schübling» war erst ab dem 19. Jahrhundert gebräuchlich) erwartete in Temesvar zunächst einmal die Einsperrung in der dortigen Festung – unter schrecklichen Bedingungen, gekennzeichnet durch Kleidungsmangel und Krankheiten. Die Sterblichkeit war exorbitant hoch, so starben von den 49 beim ersten bekannten Transport deportierten Frauen binnen eineinhalb Jahren nicht weniger als 20, und von 120 im Oktober 1767 in Temesvar angekommenen Personen überlebten 24 den ersten Monat ihres Aufenthalts nicht. Selbst das Begleitpersonal war gefährdet, einmal starben ein Geistlicher, ein Feldscher sowie mehrere Wachen an Krankheiten.

3000 Opfer. Dass solchermaßen die Abschiebung über die Donau oft einem Todesurteil gleichkam, entging auch den Zentralbehörden in Wien nicht, und schon bald machte sich dort die Erkenntnis breit, dass die mit dem Schub verbundenen bevölkerungspolitischen Ziele keineswegs erreicht wurden. Die Aktion war «in nichts profitable». Dazu kam noch, dass viele derer, die überlebten, von der ansässigen Bevölkerung mitnichten freundlich aufgenommen wurden und zurück in die Erblande flüchteten. Trotzdem wurde die Maßnahme fortgesetzt, und der einzige kleine Lichtblick dieser grässlichen Geschichte ist, dass nach einem knappen Vierteljahrhundert die Behörden und die Staatsspitze doch lernfähig waren. Insbesondere nachdem der Mitregent Joseph II. im Jahr 1768 das Banat bereist hatte und die Folgen des Schubs als «grosse miserie» bezeichnete. Dieser Einschätzung schlossen sich wichtige Politiker wie die Staatsräte Borié und Kaunitz an, während Maria Theresia von der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit der Aktion weiter überzeugt blieb. Nachdem im Oktober 1768 noch ein «Wasserschub» von Wien losgeschickt worden war, wurde diese gemäß Stephan Steiner «längste institutionalisierte Deportationsmaßnahme (…), die jemals in Mitteleuropa stattgefunden hat» eingestellt; insgesamt waren ihr mehr als 3000 Personen zum Opfer gefallen.

 

Stephan Steiner:

Rückkehr unerwünscht

Deportationen in der

Habsburgermonarchie der

Frühen Neuzeit und ihr europäischer Kontext

Böhlau, 2014, 653 Seiten online abrufbar unter:

www.boehlau-verlag.com

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