Am Küchentisch (1. Teil)Dichter Innenteil

Mein Weg zu Maria!

Über Neujahr verkrieche ich mich ins Waldviertel, in mein winziges Hexenhaus. Baba Jagas Hütte. Ich reite hin auf dem Stößel im Mörser und brauche Archaisches und Elementares. Schnee, Feuer im Ofen, gutes Essen, wärmende Haut. Mehr nicht. Das macht mich glücklich. Wintersonnenwende, Bratäpfel, Rodeln, kalte Finger und gefrorene Füße tauen vor dem heißen Ofen. Ja es ist Zeit, ich mache mich auf den nachbarschaftlichen Weg. Wieder Maria sehen, denke ich. Nachbarn aufsuchen. Mit Menschen reden, zuhören.

Ich höre sie bei den Kohlen im Schuppen, sie lacht, drei Öfen, die beheizt sie den ganzen Tag allein. Allein is besser, sagt sie und lebt danach seit vielen Jahren, ihre vier Kinder sind längst reif, malen; wunderbares Malen; ein paar Bilder habe ich im Flur wahrgenommen, die ganze Familie Künstler_innen. Ich gebe ihr den Rotwein zur Begrüßung ins neue Jahr, kalt ist es wieder, wir sollten ihn gleich öffnen und gehen durch den Hof der alte Mühle, sie liegt romantisch abgelegen an Waldrand und Bacherl. Von so einem alten Hof hatte ich immer nur geträumt. Nachdem ich Maria so eine Weile beobachte, wie sie Kohleeimer schleppt, beginne ich den Komfort meiner Wiener 14.-Bezirk-Randlage mit Gasheizung sehr zu schätzen. Werde mit dem Älterwerden dankbarer? Wo käme ich denn dahin, stapfe durch den Schnee und frage mich, was ich denn eigentlich will von der Maria. Maria beantwortet mir meine nicht gestellte Frage, warum es Menschen gibt, die man auf den ersten Blick mag; sie merke ohnehin gleich, ob man was gemeinsam hat oder nicht. Ich frage, muss man das auch artikulieren? Nein, wann mas spürt, reichts eh, sagt Maria. Wie sie so geworden ist, wie sie ist? In den 30er Jahren geboren, Krieg. Vier Kinder hat sie alleine großgezogen, nachdem ihr Mann sie verlassen hat. Die Schöner-Wohnen-Romantik in meinem Kopf wird eines Besseren belehrt, Romantik ist schlicht und einfach harte Arbeit. In diesem Fall Frauenarbeit. Unbezahlt. Maria, denk ich mir, für dich auf die Straße gehen kann ich nicht, aber mein Feuer lodert weiter für die Frauenbewegung, die so viele für unnötig halten, auch bedauerlicherweise in meinem Freundeskreis. Freundeskreis? Wieder geht sie zum Ofen, legt einen Scheit hinein. Einmal wegfahren, das geht gar nicht, sonst friert das Haus ein. Ihr Atelier kann ich auch bei dem heutigen Besuch wieder nicht betreten. Ich frage nicht nach. Es sei nicht eingeheizt, zu viel Arbeit, den dritten Ofen auch noch im Radl zu halten und das Licht, ich male bei Tageslicht sagt sie, deshalb sollen die Bilder auch zur Tageszeit gesehen werden. So verstehe ich es. Sehen und gesehen werden, nein, das Bekanntsein ist mir nicht wichtig, ein paar Bilder hängen im Dokumentationszentrum Niederösterreich, in der Artothek, und meinen Verein habe ich aufgelöst, alle Künstler sind schon zu alt auch meine Sammler, die privat gekauft haben, gehen alle dahin

«Als ob vier Kinder drei wären!»

Ihre letzte Ausstellung im Herbst habe ich verpasst. Das macht mich traurig, lässt mich denken an Unsichtbarkeit und Annullierung von Frauen in der Kunst. Aber die Keller der Museen sind voll von Kunstwerken, die fingen irgendwann an zu vermodern, sagt sie lakonisch, was solls also. Sie überlässt es der Geschichte. Kennen sie den Spruch «Altwerden als Frau ist nichts für Feiglinge»? Wovon sie lebt? 400 Euro Pension plus 200 von ihrem Mann. Das macht mich wütend. Wütend, dass von vier Kindern, nur drei Kindererziehungszeiten angerechnet werden, weil zwei Geburten unmittelbar hintereinander liegen. Das kommt einem 60-Stunden-Job gleich, dem man zusätzlich noch weitere 20 aufbrummt, aber sich weigert, das auch zu bezahlen. Als ob vier Kinder drei wären! Da steigt mir die Waldviertler Wut ins politische Hirn. Da wünsche ich mir den Waldviertel Bär her, mit seiner Pranke. Einen Watschenbär als Gruß an unsere Politik. Brumm! Jetzt müssten wir den Rotwein öffnen, der ist Medizin. Medizin im kalten Winter und gegen frauenfeindliche Politik, ja unsere guten Mütter, sind sie uns doch heilig, aber Göd hamma kaans dafia. Prost! Auf die Liebe. Verlieben kann man sich immer, sagt Maria, ich hoffe, dass es mir nicht mehr passiert. Wir lachen. Sie lädt mich zum Frauentag am 8. März zu sich ein. Dort trifft sie sich mit allen sechs Freundinnen, die Versammlung der alten Königinnen!


Ich freue mich über ihr Vertrauen. Im Aufstehen streift mein Blick noch einmal über die vielen alten und liebevoll platzierten Dinge und Objekte im Raum und im Vorhaus, alte Sachen, Kunstwerke, kostbare Stoffe; ich fühle mich ausgesprochen wohl hier. Noch ein wenig Weihrauch auf den Ofen geworfen und raus in die Kälte. Das Klofenster hat die schönsten Eisblumen, die ich je gesehen habe. Sie hat sie schon gemalt. Hoffentlich frierts nicht wieder zu, das Klo. Wir schleichen über den Hof zum Tor hinaus. Mittlerweile ist es ganz finster. Ich soll den heiligen Nepomuk nicht mit dem Auto umfahren. Das Marterl vor ihrem Haus. Ihre nicht gesehenen Bilder verfolgen mich, und die Glätte der Straßen spiegelt sich in den Dorflichtern. Es fällt der Eisregen. Bald wird alles Legende sein, wie die Königstitel der Magier aus dem Morgenland.



Das feministische Rätsel: Was passiert am 19. März 2011? Aus den richtigen Antworten werden drei Freikarten zu einer Lese/Musik-Performance am 21. 5. mit Jella Jost & Petra Unger verlost. Einsendeschluss ist der 16. Februar. Per E-Mail an: redaktion@augustin.or.at. Per Post an: AUGUSTIN, Reinprechtsdorfer Straße 31, 1050 Wien

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