Anna (1961–2022)tun & lassen

Die Josefstadt trauert um Augustin-Verkäuferin

Anna war es nicht mehr vergönnt, ihr 20-jähriges Jubiläum als Augustin-Verkäuferin feiern zu können: Nur wenige Wochen bevor es so weit gewesen wäre, ist sie verstorben. Wobei, Anna hätte vermutlich kein rauschendes Fest gewollt, obwohl sie es auch genießen konnte, wenn ihr Aufmerksamkeit geschenkt worden ist. Wie etwa von der Bezirkszeitung der Achte, die ihr vor rund eineinhalb Jahren zum 60. Geburtstag ein Porträt ­widmete. Aber nicht nur deswegen zählte sie zu den ­bekannteren Gesichtern im Grätzl rund ums Café ­Hummel. ­Dabei wohnte sie gar nicht im ­achten Bezirk, sondern in einer kleinen Wohnung im zehnten. Sie pendelte quasi aus der Vorstadt in den bürgerlichen Bezirk, wo eine betuchtere Kund:innenschaft ­anzutreffen ist, aber Anna betonte bei diesem ­Thema immer wieder, dass die ­Leute in der Josefstadt nicht abgehoben seien. Und sie wusste als ehemalige Obdachlose ganz genau, wovon sie sprach.
Dagegen sind bei Anna jene Entscheidungsträger:innen, die die Abschiebung ihres Freundes Joshua zu verantworten hatten, nicht gut weggekommen. Kennengelernt hatten sich die beiden drei Tage nach Annas Eintritt in die Augustin-Welt auf der Weihnachtsfeier. Joshua ist ebenfalls Kolporteur gewesen – bis ins Jahr 2017, bis er nach Nigeria abgeschoben worden ist. Wohl ­wegen ihm hat Anna trotz offiziellem Pensionsantritt im vorletzten Sommer weiterhin den Augustin verkauft. Für sie allein hätte ihre kleine Rente eventuell gereicht, doch sie hielt Joshua über Jahre und tausende Kilometer hinweg bis ­zuletzt auch wirtschaftlich die Treue. Mindestens einmal in der Woche telefonierte sie mit ihm mit den Festnetzapparaten im Augustin-Vertrieb, denn Anna ­verzichtete auf technisches Gerät wie Computer, Fernseher und sogar Telefon in ihrem Privatbesitz. Nun ist der Zeitpunkt für sie gekommen, sich alles Irdischen zu entschlagen.

Foto: Mario Lang