Aufs Wasser schauenvorstadt

Worin liegt der Zauber des Angelns? Zwei Lokalaugenscheine an den Stadtrand – zum einen an den Wiener Hafen, zum anderen ins Fischereimuseum – sollen Antworten liefern.

TEXT UND FOTOS: WENZEL MÜLLER

Hier endet Wien. Auf der einen Seite ein Betonwerk, auf der anderen ein Damm. Und dazwischen die Einfahrt zum Wiener Hafen. Der Wiener Hafen befindet sich laut Werbung «im Herzen von Wien», doch tatsächlich liegt er weit draußen, etwa auf Höhe des Kraftwerks Freudenau. Keine Matrosen, keine Rotlichtetablissements, dieser Hafen ist ein reiner Warenumschlagplatz oder, modern gesprochen, ein Logistikzentrum. Mächtige Maschinen heben tonnenschwere Container in die Luft, als handle es sich dabei um Spielzeug. Am Wochenende ist hier vor allem: tote Hose. Sehr zum Gefallen von Dragan, Malisa und einem anderen Dragan. Die drei sind Angler, hier genießen sie ihre Ruhe. Zwar führt eine Eisenbahnlinie ganz in der Nähe vorbei, doch die stört nicht weiter die Einöde. Radausflügler_innen sind auf der Donauinsel, nicht weit weg, hierhin verirren sie sich allerdings nicht. Und so können sich die Angler ganz ihrer Lieblingsbeschäftigung widmen: aufs Wasser schauen. Nichts weiter als den ganzen Tag aufs Wasser schauen. Es gebe nichts Schöneres, versichern sie. Wenn man in ihre zufriedenen Gesichter schaut, so möchte man es ihnen gerne glauben.
Und nichts anderes sagt ja auch Boris Trigorin, der Schriftsteller in Anton Tschechows Stück Die Möwe. Irina, die junge Schauspielerin, ist in ihn verliebt. Was er denn so den lieben langen Tag mache, will sie von ihm wissen. Am liebsten, antwortet er, sitze er mit der Angel am Teich und schaue auf den Schwimmer. Irina ist enttäuscht, sie hatte irgendeine außergewöhnliche Antwort erwartet. Nun muss sie erfahren, dass der berühmte Autor seine größte Befriedigung beim Angeln findet. Bei etwas so Banalem. Ist es wirklich so banal? Irgendetwas muss dran sein, an dieser auf Außenstehende so eintönig wirkenden Tätigkeit, sonst wären nicht wenige davon so begeistert.

Unten versus oben.

Ein Freund von ihnen, erzählt Malisa, sei Taubenzüchter. Der könne alle seine Tauben auseinanderhalten. «Der schaut stundenlang nach oben, in den Himmel, zu seinen Tieren, was wir überhaupt nicht verstehen können. Doch im Grunde machen wir ja nichts anderes. Nur dass wir immer nach unten schauen.»
Nach unten – das bedeutet hier: einige Meter in die Tiefe. Von der Staumauer hinunter ins Becken, der Blick lässt sich in etwa mit dem vom Fünfmeterturm im Schwimmbad vergleichen. An diesem Tag geht der Blick noch weiter nach unten als üblich, denn der Wasserstand im Becken ist besonders niedrig. Möglicherweise auch dies eine Folge des Klimawandels. Niedriger Wasserstand, erklärt der ältere der beiden Dragans, der Routinier unter den drei Anglern, bedeute weniger Fische, in dem Fall suchten die nämlich im wahrsten Sinne das Weite. Schon seit Wochen habe er keinen Fang mehr gemacht. Sagt er und klingt dabei gar nicht traurig oder gar verzweifelt. Ärgert ihn das etwa nicht? «Es ärgert mich schon», antwortet Dragan, «nur, hier habe ich dieses eine Problem – und die Woche über habe ich hunderte Probleme.» Vielleicht liegt darin der Zauber des Angelns: Diese Tätigkeit hilft, sich auf eine Sache zu fokussieren. Und alles andere auszublenden. So gesehen, unterscheidet sich Angeln nicht groß von Meditation oder Yoga.
Einen Riecher für den Karpfen. Mit «Fisch» meint Dragan im Übrigen immer nur einen bestimmten: den Karpfen. Darunter macht er es nicht. Seine spezielle Angelausrüstung hat ihn nicht weniger als 10.000 Euro gekostet, so viel, wie auch Ballgolfer_innen fürs Equipment ausgeben müssen. Ja, Dragan bezeichnet sich als Sportler, als Sportfischer. Es handelt sich dabei um eine jener eher seltenen Sportarten, bei denen es keine Rolle spielt, ob man dick oder dünn ist, jung oder alt. Selbst ein durchtrainierter Körper bringt keine Vorteile. Andere Qualitäten sind gefragt, insbesondere ein Riecher dafür, wie man dem Karpfen am besten auf die Schliche kommt. Manche nehmen dazu Unterwasserkameras zur Hilfe, wie unlängst im Extra der Wiener Zeitung zu lesen war. Dragan geht andere Wege. Er setzt auf Frolic, mit dem Hundefutter als Köder hat er gute Erfahrung gemacht, und vor allem sei es billiger als die üblichen Boilies. Sein größter Fang: Ein 29 kg schwerer Karpfen, doch das liege nun schon mehrere Jahre zurück. Immer der gleiche Ablauf: den Fisch fangen, ihn wiegen, ein Foto von ihm machen und ihn dann wieder ins Wasser geben. Sportfischer_innen, das unterscheidet sie von gewöhnlichen und erst recht von Berufsfischer_innen, geht es um die Jagd, das Fangerlebnis, nicht um das potenzielle Mahl.
Ein Schiff fährt ein in das Becken. Die Angler werden unruhig. Es wird doch nicht an der Seite anlegen? Nein, tut es nicht, es fährt weiter, hinein in den Hafen. Die Schiffsschraube wirbelt den Untergrund auf und trübt das Wasser – und damit die Aussichten auf einen erfolgreichen Fang.

Angler ist nicht gleich Angler.

Beide Dragans gehen auf und ab, sind bald hier, bald dort. Malisa hat es sich dagegen in einem Campingsessel bequem gemacht, neben sich seine Angelruten, beide in Griffweite. Tschechows Protagonist musste noch auf den sogenannten Schwimmer achten, sank der unter Wasser, hieß das, dass sich ein Fisch am Köder zu schaffen machte. In dem Fall war die Angelschnur schnell einzuholen, um die Beute an den Haken zu bekommen. Heutzutage gibt ein akustisches Signal das Zeichen zum Handeln. Man kann sich also nebenher anderen Tätigkeiten widmen. An diesem Nachmittag ertönt kein Signal.
Die Sonne kommt und geht, verschwindet immer wieder hinter Wolken. Frisch ist es. Dragan zieht sich eine dicke Jacke an. Typisches Herbstwetter. Das hat auch seine Vorteile. Jetzt ist hier rund um den Hafen viel weniger los als im Sommer, und im Winter wird noch weniger los sein. Kommen werden allerdings weiterhin unsere drei Angler. Für sie, sagen sie, wird es keine Pause geben. Von Frost und Wind lassen sie sich nicht von ihrer Lieblingsbeschäftigung abhalten, zu der sie mit Angelschein und Platzkarte berechtigt sind.
Allmählich packen Malisa und Dragan, der jüngere, ihre Sachen ein. Es wird Abend. Sie machen sich auf den Heimweg. Nicht so Dragan, der ältere. Er bleibt hier, wird die Nacht im Zelt verbringen. Er habe das schließlich auch schon bei Schnee gemacht. Im Zelt hat er einen Kocher, mit dem wird er sich jetzt erst einmal einen Kaffee machen. Am nächsten Tag, am Sonntag, werden seine Anglerfreunde zurückkommen. Und dann werden sie wieder gemeinsam aufs Wasser schauen.

Als Fischen noch ein Beruf war

So sah einmal die Rolle einer Angel­rute aus. Ganz aus Holz, handgeschnitzt, und die Schnur nicht versiegelt. Holte man diese Schnur nach einem Tag am Teich wieder ein, konnte es sein, dass sie gar nicht auf die Spule passte, weil sie sich mit Wasser vollgesogen hatte. Dann half nur, sie in einem trockenen Raum aufzuhängen. Ein Problem, das man heute gar nicht mehr kennt, da mittlerweile viel moderne Technik in den Rollen steckt.
Alles hat seine Geschichte. Auch das Angeln. In dem 1. Wiener Fischereimuseum kann man einen Blick zurück werfen, in die Zeit, da die Angelgeräte noch ganz einfach waren, da es in Wien noch einen Fischmarkt gab, erst Am Hof, dann im 10. Bezirk, da noch Stör oder Huchen in der Donau schwammen. Präparate und Fotos gibt es zu sehen, Angel­utensilien und Zeitungsausschnitte, zwei- und dreidimensionale Objekte. Teils sind sie an der Wand, teils hinter Glas, in Vitrinen. Auch eine Mitmachstation gibt es: Wie heißen die Fische auf der Tafel? Bei richtig gedrückter Antwort leuchtet ein Licht auf. Fast alle Ausstellungsstücke sind Geschenke, von passionierten Fischer_innen und öfters noch von deren Nachkommen. Die erben einen präparierten Karpfen, wollen den nicht unbedingt in ihrem Wohnzimmer stehen haben, wollen das gute Stück aber auch nicht entsorgen – und so vermachen sie es dem Fischereimuseum.

Die Standortfrage. Seit 1994 existiert dieses kleine Museum, in Floridsdorf, in unmittelbarer Nähe eines Gewerbegebiets. Es gibt zweifellos zentralere Orte, auch heimeligere. Dieser Standort ist leicht erklärt. Bei dem Gebäude handelt es sich um das ehemalige Baubüro der Marchfeldkanalgesellschaft. Nachdem der Kanal fertiggestellt war, sollte es abgerissen werden. Da meldete sich eine Gruppe engagierter Fischer: Sie würden das Gebäude gerne zu einem Museum umbauen. Und so kam es dann auch.
Keine studierten Historiker arbeiten hier, keine Museumspädagogen. Dieses Museum ist das Werk von Praktikern. Von Anglern, die nicht nur gern am Wasser sitzen, sondern sich auch für die Historie ihrer Leidenschaft interessieren. Ja, heute ist es eine Leidenschaft, ein Hobby, ein Freizeitvergnügen, es ist aber noch gar nicht so lange her, dass Menschen ihr Brot mit dieser Tätigkeit verdienten. Der Übergang von Berufs- zu Freizeitfischer_innen ist wahrscheinlich die größte Zäsur in der Fischereigeschichte.
An diesem Sonntag führt Robert Studer, der Vereinsobmann, zwei Besucher_innen aus Deutschland durch die Museumsräume. Derweil macht sich Heinz Pummer in einem hinteren Raum an neu eingetroffenen Präparaten zu schaffen. Auf dem Tisch Werkzeug, Reinigungsmittel, Farben. Pummer war in der Metallverarbeitung tätig, nun ist er in Pension und engagiert sich hier. Er ist handwerklich geschickt und weiß, was getan werden muss, um das Museum auf Vordermann zu halten – für seine Vereinskollegen ist er der «Museumskurator». Immer fällt irgendeine Arbeit an. Dafür opfern die Vereinsmitglieder ihre freie Zeit. 

Fischereimuseum
21., Einzingergasse 1a
Öffnungszeiten: Sonntag von 9 bis 12 Uhr
www.fischereimuseum.at