Beethoven im StrafgefangenlagerDichter Innenteil

24. Ausfahrt

Groll stand stirnrunzelnd vor dem restaurierten Konzerthaus und notierte die Aufschrift „“Ehret Eure deutschen Meister““. Der Dozent gesellte sich zu ihm.Seltsame Huldigung, nicht wahr“, sagte der Dozent.

„In der Tat.“ Groll steckte das Notizbuch weg. „Ich würde den Spruch modifizieren: Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

„Celans ‚Todesfuge‘. Ich kenne das Gedicht. Sie wirken etwas bedrückt, lieber Groll.“

„Im Gegenteil, geschätzter Herr Dozent. Ich bin heute sehr aufgekratzt. Ich habe in der letzten Nacht einen Roman gelesen – in einem Zug.

„So? Da bin ich aber neugierig.“ Der Dozent stieg vom Rad

„Es handelt sich um eines der aufregendsten österreichischen Bücher der letzten Jahre. Der Titel ist leicht zu merken: „Lanz“. Der Roman stammt von dem in Krems zur Schule gegangenen und in Langenlois aufgewachsenen Andreas Weber. In „Lanz“ ist Langenlois auf eine grandiose Weise porträtiert. Der Roman beschreibt, wie sich kurz vor dem Ende des Dritten Reiches in aller Öffentlichkeit ein Lynchmord ereignet. Eine junge, intellektuelle Frau wird als „Russenhure“ geteert und gefedert. Die Beteiligten an dem Verbrechen werden aber niemals zur Verantwortung gezogen. Die meisten von ihnen schaffen nach dem Krieg die Verwandlung zum honorigen Bürger, unter ihnen auch der Bürgermeister. Im Kleid einer Kriminalstory erzählt der Roman davon, wie in den achtziger Jahren ein junger Mann, der Sohn der Ermordeten, beginnt, das Geschehene zu recherchieren und dabei von einem Journalisten, dem Helden des Romans, unterstützt wird. Der Journalist und Ich-Erzähler bleibt zurückhaltend, das macht ihn im Lauf der Handlung, die erst nach und nach, dann aber mit großer Wucht in Gang kommt, sympathisch und öffnet den Blick auf das Panoptikum der Kleinstadtfiguren, die nie karikiert, wohl aber konkret und präzis beschrieben werden. Gebannt folgt man den Versuchen des Journalisten, das Geschehene dem Nebel aus Verdrängung und Verschweigen zu entreißen. Dabei gelingen dem Autor immer wieder einprägsame und berührende Schilderungen verschiedenster Personen und Charaktermasken.“

„Klingt wie eine Fortführung des realistischen Heimatromans der siebziger Jahre“, sagte der Dozent.

„Eine dringend notwendige Fortsetzung“, sagte Groll. „Sie können in dem klug komponierten Text aber auch Anklänge an Leberts „Wolfshaut“, Hochwälders „Himbeerpflücker“ und Othmar P. Ziers großartigen Roman über die Partisanen im Pongau „Schonzeit“ finden. Das Buch ist auch deswegen bedeutsam, weil es formal am angelsächsischem Erzählstil orientiert ist, mit wechselnden Personen und Schauplätzen arbeitet und damit im Lauf der Lektüre ein literarisches Panorama des Kleinstadtfaschismus ausbreitet.“

„Das richtige Buch zum Gedanken- und Gedenkjahr.“

„Wenn Sie so wollen. Obwohl zu dem Rummel einiges zu sagen wäre. Aber dazu ein andermal. Reden wir lieber vom Buch.“

„Der Roman scheint Ihnen viel zu bedeuten.“

„Wundert Sie das? Ich kenne doch die Gegend, in der die Handlung spielt, wie meine Westentasche. Wuchs ich doch in Krems-Lerchenfeld neben dem Stahlwerk auf, und meine Ausfahrten mit dem Rad führten mich häufig über die „Sandgrube“, eine der berühmtesten Rieden von Krems, nach Gneixendorf zum Beethoven-Haus.

Ferdinand Zeller, unser Musiklehrer, hatte uns eindringlich geschildert, wie der jüngere Beethoven zwei Sommer lang in Gneixendorf in einem Herrenhaus ausspannte und sich an den Weinen der Gegend gütlich tat. Auf seinen Spaziergängen war Beethoven oft über die Hochebene Richtung Langenlois gewandert. Exakt auf dieser Ebene, die heute den Sportflughafen Krems beherbergt, errichteten die Nazis das größte Kriegsgefangenenlager auf österreichischem Boden, ein Lager, das bis zu 60.000 Gefangene aufwies und auch als Nebenlager von Mauthausen diente. Wenn sie die Zufahrtstraße zum Flughafen nehmen, finden Sie einige unscheinbare Gedenktafeln, die an die Tragödien in diesem Lager, in dem Polen, Franzosen Serben, Briten, Amerikaner und Sowjets einsaßen, erinnern. Noch in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts befand sich zwischen dem Beethovenhaus und dem Flughafen ein Robinienwäldchen, das auf den gesprengten Ruinen des Lagers wuchs. Reste der Lagerstraßen und der gemauerten Kommandogebäude waren unschwer zu erkennen.

Ich bin oft mit dem Rad durch das Wäldchen gefahren. Ich wusste nur, dass sich hier einst ein Kriegsgefangenlager befand. Dass die Haftbedingungen entsetzlich waren und Tausende Häftlinge dort zugrunde gingen, wusste ich nicht. In Gneixendorf wurde darüber nicht geredet, in Krems und in Langenlois ebenso nicht. Es ist mehr als eine Volte der Geschichte, dass der Sohn des FPÖ-Politikers Schimanek sich in dieser Gegend mit Neonazis aus ganz Europa herumtrieb, Waffenübungen und „sportliche Ertüchtigungen“ abhielt. Und es ist ein makabres Zusammentreffen, dass das Haus, in dem Beethoven sich entspannte, einen Steinwurf von einem KZ-Außenlager entfernt liegt.“

„Eine Parallele zu Weimar, wo man vom Gelände der KZ-Gedenkstätte Buchenwald auf das Goethe-Haus hinunterschaut“, sagte der Dozent.

Groll antwortete nicht, er nahm eine Eintragung in seinem Notizbuch vor.

*) Andreas Weber. LANZ. Roman. Otto Müller Verlag, 200 Seiten, ca. 20 Euro

Das Verdienst um die Beforschung des Lagers kommt zwei Kremser Historikern, Robert Streibel und Christian Gmeiner, zu. Auch Barbara Stelzl-Marx vom Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz trug zur Erhellung der Lagergeschichte bei. (Siehe auch: Die Presse, 26.9.2001.) Zwei inhaftierte Amerikaner schrieben über das Lager ein Theaterstück. Unter dem Titel „Stalag 17“ lief es nach Kriegsende erfolgreich auf dem Broadway. Billy Wilder machte 1952 daraus einen Film, der in den USA populär wurde, in Österreich jedoch kaum bekannt ist.

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