Boxen, aber richtigvorstadt

Neneh (li.) gründete 2021 die Feminist Fighters Union. Romina ist ebenfalls Kampfsporterfahren und seit einem Jahr bei der Union (Foto: © Carolina Frank)

Der Wiener Kampfsport-Club Feminist Fighters Union will die männlich geprägten Strukturen der Szene aufbrechen. Mit Kämpfen auf Augenhöhe und guten Ideen.

«Wenn du Frauen und Bo­xen googelst, wirst du Abnehm- und Fit­nesstipps finden. Wenn du Männer und Boxen googelst, kommst du auf die Seite des Österreichischen Boxfachverbands. Der ist bei Frauen erst auf der zweiten Seite.» So beschreibt Neneh die Situation des Boxsports in Österreich. Sie ist Mitbegründerin der Feminist Fighters Union, einem Projekt zur Sichtbarmachung, Vernetzung und Stärkung von FLINTA*-Personen im Kampfsport (Anm. FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Inter, Non-Binary, Trans und agender*). Monatlich bietet dieser Kampfsportclub Sparrings und Workshops für Interessierte aller Levels – von Boxen über Thai-Boxen bis Mixed Martial Arts. Das Projekt ist dabei vollständig auf Raumsponsoring und Freiwilligenarbeit angewiesen.
Neneh kam mit 17 Jahren durch Thai-Boxen zum Kampfsport. «Ich war am Anfang richtig schlecht. Es hat mich wirklich herausgefordert. Aber es hat so viel Spaß gemacht und ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, mich wirklich austoben zu können», erinnert sie sich. Dabei ging es nicht nur um ein physisches Austoben. «Es war ein Bruch mit Stereotypen, die man als weiblich sozialisierte Jugendliche aufgezwungen bekommt. Weg von gut aussehen zu müssen und angepasst zu sein, hin zu im Training laut sein, schreien und schwitzen.» In den folgenden Jahren bekam sie das Gefühl, damit nicht alleine zu sein. Interviews, die Neneh im Rahmen ihrer Bachelorarbeit zu Erfahrungen von FLINTA*-Personen im Kampfsport führte, bestätigten dieses Gefühl. «Ich wollte Perspektiven von anderen Personen einholen. Dann habe ich gesehen, dass es kategorisierbare, wiederkehrende Phänomene gibt, die die Lebensrealitäten von vielen Personen in dieser männlich dominierten Welt darstellen.» Diese Erkenntnis brachte Neneh schließlich dazu, die Feminist Fighters Union zu gründen. Das war vor drei Jahren.

Zusammen im Ring

Seitdem hat sich viel getan. 2023 brachte die Gruppe über 100 FLINTA*-Personen aus der Wiener Kampfsportszene zusammen. Romina ist seit einem Jahr Teil der Feminist Fighters Union; seit sieben Jahren betreibt sie Kampfsport. «Ich hatte am Anfang sehr starke Hemmungen andere Personen zu schlagen. Einer anderen Person ins Gesicht zu hauen, das muss man schon lernen. Auch, dass es in diesem Rahmen ok ist und dass es einen Konsens gibt», beschreibt Romina ihre ersten Erfahrungen
Neben den körperlichen Herausforderungen, macht für sie dieser Konsens bis heute einen der spannenden Aspekte des Sports aus. «Wenn ich mit einer anderen Person eine Übung mache oder mit ihr ins Sparring gehe, ist das jedes Mal eine neue Art von Kommunikation. Man lernt sich selbst und sein Gegenüber und auch die jeweiligen Grenzen auf eine ganz andere Art kennen.» Dabei kann es auch vorkommen, dass diese Grenzen überschritten werden. «Manchmal passieren Dinge, die für jemanden nicht passen. Da ist es wichtig darüber reden zu können. Das geht aber nicht überall gleich gut, da oft das Gefühl da ist, alles aushalten zu müssen», meint Romina. Auf persönliche Umstände werde in der Szene immer wieder zu wenig Rücksicht genommen. «Das fehlt mir manchmal, dass Stopp sagen auch ok ist. Ich bin nicht jeden Tag gleich stark, gleich gut drauf oder gleich fit.»
Einen Grund für dieses Problem sehen Neneh und Romina darin, wie Trainings in der Kampfsport Szene oft geleitet werden. «Trainer:innen haben eine sehr verantwortungsvolle Rolle, um zu bestimmen, wie in diesem Sport miteinander umgegangen wird. Und es gibt leider hauptsächlich cis-männliche Trainer, auch beim Frauenboxen», erklärt Neneh. Teilweise würden neue Ansätze ausprobiert werden, aber an den Strukturen ändere sich wenig. «Es muss sich ein anderer Umgang etablieren. Ich denke es würde sich viel verändern, wenn mehr FLINTA*-Personen in diesen Respektpositionen wären und Räume so gestalten, dass sie für alle möglichst angenehm sind», sagt Neneh. Bestehende Trainer:innen sollen sich dazu auch aus- und fortbilden lassen.

Wettkampf neu denken

«Viele Trai­ner:innen sind zwar gut in ihrem Sport, es fehlt aber an pädagogischem Wissen. Oft wird unterschätzt, wie wichtig es ist, wie Dinge vermittelt werden», meint Romina. Es fehle auch an sozialen Kompetenzen. «Auch ein besseres Verständnis von individuellen körperlichen Unterschieden, seien es Menstruation, eine Verletzung oder eine muskuläre Dysfunktion, wäre enorm wichtig um Sportler:innen zu bewahren und zu fördern», sagt Neneh.
Körperliche Unterschiede haben in den letzten Jahren in verschiedenen Sportarten immer wieder zu Diskussionen geführt. Vor allem bei der Debatte um die Teilnahme von Trans-Personen im Sport. «Die körperlichen Unterschiede bestehen natürlich, so ist das bei Menschen. Es sollte dabei aber gar nicht darum gehen, welchem Geschlecht sich eine Person zugehörig fühlt», sagt ­Neneh. Sie sieht einen möglichen Ursprung für den Frust vieler Personen woanders. «Meistens sind im Sport die Strukturen für FLINTA*-Personen schlechter ausgebildet. Personen, die lange in diesen Strukturen trainiert haben, haben oft ein ‹B-Klasse›-Training bekommen. Gleiche Möglichkeiten für alle würden es sehr viel leichter machen, mit der Gender-Frage umzugehen.» In dieser Debatte um Gender-Themen im Sport bestehe laut Neneh aber die Möglichkeit für einen breiteren Diskurs. «Wir könnten dadurch die Art und Weise, wie wir Sport betreiben und unsere Kategorien von Konkurrenz und Wettkampf reflektieren und überdenken.»

Mehr als Sport

Die Themen, mit denen sich die Feminist Fighters Union auseinandersetzt, gehen also über das Sportmachen hinaus. «Man kann unser Projekt nicht apolitisch sehen. Es ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und auf zwei Arten politisch. Einerseits durch unsere Haltung und die Räume, die wir miteinander schaffen und andererseits dadurch, wie wir in die bestehenden Strukturen hineingehen und diese hinterfragen», so Neneh. Der Anfang wird dabei im eigenen Umgang gemacht, erklärt Romina: «Wir wollen in unseren Strukturen basisdemokratisch arbeiten und uns in der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen, eine politische Haltung aneignen. Wir sind in einem ständigen Prozess und wollen allen Interessierten die Möglichkeit geben, dieses Projekt mitzugestalten.» Die Feminist Fighters Union wird also auch 2024 weiter wachsen und kämpfen.

Nächstes Sparringtreffen der Feminist Fighters
Union: 10. Februar. Infos und Anmeldung für
Interessierte:
feministfightersunion.com