«Das gab uns zu denken»vorstadt

Foto:© Mario Lang

Lokalmatadorin Nr. 532: Monika Korinek

Monika Korinek besucht seit sechzig Jahren den VHS-Mütterklub. Hier ihre Erzählung:

Wir treffen uns heute noch, immer am Donnerstag, immer nachmittags, in der Volkshochschule am Arthaberplatz. Kommt’s gerne rein! Es wird so wie damals Kaffee gekocht, und Kuchen gibt’s auch. Wir sind – sagen wir – um die dreißig Frauen. Der harte Kern ist so wie ich achtzig plus und schon von Anfang an dabei. Wir sitzen immer hinten rechts, beim Fenster.

1963

In unserem Mütterklub sind wir per Du. Es freut mich, ich bin die Monika. Der Klub wurde vor sechzig Jahren gegründet, im September 1963. Man wollte damals junge Mütter raus aus dem Trott ihres Hausfrauen-Alltags holen. Für uns Teilnehmerinnen gab es immer Input zu Themen, die uns sehr interessiert haben. Auf unsere Kinder passten zwei Kindergärtnerinnen auf.
Ich habe mit 19 geheiratet und mit 20 das erste von zwei Kindern bekommen. Es war eine andere Zeit. Mein Mann hat als Bauspengler gutes Geld verdient. Es gab aber keinen freien Kindergartenplatz für unsere Tochter. Nur private Kinderbetreuung, und da wäre von meinem Gehalt nichts mehr übriggeblieben. Deshalb bin ich – wie alle anderen auch – zu Hause geblieben. Die Männer haben immer besser verdient als wir. Das war für sie aber auch bequem: Immerhin war, wenn sie heimkamen, der Tisch schon gedeckt.
Ich habe vor den Kindern Einzelhandelskauffrau in einem Schuhgeschäft beim Viktor-Adler-Markt gelernt. Die gnädige Frau war die gnädige Frau. Sie musste von uns mit «Küss die Hand» angesprochen werden, obwohl sie nicht adelig war, sondern die Frau vom Schuhhändler. Manchmal wurde ich von der «Chefin» in die Wohnung im ersten Stock gerufen, um ihre Teppiche zu putzen. Die nächste Generation an Lehrmädchen ließ sich so etwas schon nicht mehr gefallen. Sie beriefen sich auf die Gewerkschaft.
Meine Cousine hatte mir vom Mütterklub erzählt. Gemeinsam sind wir in die VHS Favoriten. Dort waren mindestens fünfzig junge Mütter und ebenso viele Kinder, wenn nicht sogar ein bisserl mehr. Ich habe jeden Nachmittag dort genossen. Es gab oft Vorträge, ich erinnere mich an einen Kinderpsychologen oder an eine Dame von der Wiener Städtischen. Professor Wolfram hat uns über Musik, Geschichte, Geografie, Bäume, Tiere, Pflanzen erzählt. Ein bisschen schulmeisterlich, aber sehr spannend. Es gab ja damals kein Internet, und in der Hauptschule hatte ich auch nicht so viel gelernt.
Ich konnte von unserer Wohnung zu Fuß in die VHS gehen. Überhaupt war man damals viel zu Fuß unterwegs. Ich erinnere mich, dass ich mit meiner Tochter im Kinderwagen bis nach Schönbrunn und wieder zurück gegangen bin.

1974

Die Zeiten waren nicht rosig. Vielleicht ist man deswegen sorgsamer mit den Sachen umgegangen, die man sich abgespart hatte. 1974 kam mein Sohn zur Welt, das war auch eine große Freude.
Mit dem Mütterklub konnten wir Fabriken und Firmen besuchen. Wir waren zum Beispiel in der Ankerbrotfabrik in der Absberggasse oder in der Waschmittelfabrik der Unilever in Erdberg. Auch zu Nachmittagsvorstellungen ins Volkstheater oder in Gefängnisse sind wir gegangen. Dort wären wir als Hausfrauen und Mütter von kleinen Kindern niemals hingekommen.
Beim Anker haben wir gesehen, dass sie auch die Semmelbrösel für den Julius Meinl produziert haben, auf derselben Maschine mit denselben Zutaten. Das gab uns zu denken, denn die Semmelbrösel beim Meinl waren teurer.
Überhaupt war der Donnerstag der «Austauschtag» für uns. Von Frau zu Frau konnte man auch über Themen sprechen, wo der Mann zu Hause vielleicht die Ohren zugeklappt hat. Und wo man vorher vielleicht gedacht hat «Um Gottes willen, nur mein Kind macht das», war man danach beruhigt, dass das eigene Kind doch nicht abgehoben ist.

2023

Heuer also sechzig Jahre Mütterklub! Schön ist das, auch wenn der harte Kern zuletzt kleiner geworden ist. Ich bin ja heute Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Mit einigen Teilnehmerinnen verbinden mich langjährige Freundschaften. Wir treffen uns auch privat. Gewisse Charaktere, die immer schon hilfsbereit und großzügig waren, sind das auch im Alter. Das Alter verstärkt bestimmte Eigenschaften.
Jeden Abend bedanke ich mich für einen weiteren Tag. Auch wenn meine Kinder nicht begeistert sind, fahre ich weiterhin mit meinem Auto, zuletzt in den Urlaub nach Kroatien. Aber es gibt für mich nichts Schlimmeres, als ständig um Hilfe zu bitten und nicht mehr gebraucht zu werden. Ich interessiere mich weiterhin für die Dinge, lese gerne. Man darf sich selbst nicht vernachlässigen.

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