Das passt jetzt so einmalArtistin

Musikarbeiter unterwegs … im Park, mit Autoharp und Riss-Pop

Anna Anderluh singt mit einer Vielzahl musikalischer Konstellationen. Leave Me Something Stupid ist ihr erstes Solo-Album.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

«Das kommt eigentlich direkt aus meinem Alltag im Wohnzimmer», antwortet die aus Klagenfurt stammende Musikerin auf die eröffnende
Frage nach aus dem Lied Oede an den freien Willen zitierten Zeilen. Wir sind in einem Park im 6. Bezirk, auf dem Mitschnitt unseres Gesprächs sind Kinder zu hören, die eine gute Zeit haben. Die Musikarbeiter treffen sich knapp vor dem kollektiven Aufsperren, das sich so unwirklich, in so vielen Details undurchdacht, inkonsequent, unlogisch, angst­erzeugend, schlicht unrichtig anfühlt wie diverses Zusperren, outdoor mit Menschen, deren Tun das alles erträglicher macht. Nach der Begegnung mit Anna Anderluh treffen wir mit den DeeCracks formidable Punker mit Bier, Vernunft und, wie Anna, mit geiler Musik. Diese hat im Mai ein Album veröffentlicht. 12 Stücke, weitgehend mit Autoharp und Stimme eingespielter «Pop mit Riss», wie sie Leave Me Something Stupid selbst beschreibt, souverän und sinnestimulierend mal auf Deutsch, mal auf Englisch, mal ohne konkrete Sprache gesungen. Mit einem unpackbaren Cover von Neil Youngs Harvest Moon am Ende, das mich aufgewühlt, berührt, erschüttert und beruhigt zugleich zurücklässt, weil ich bei Young immer an Mike denken muss, in Tränen, laut lachend mit heftig pochendem, unzynischem Herzen, weil ich an alles denke, was wir verloren haben, alles, was wir gewonnen haben und noch gewinnen werden, und die Schönheit der Musik ist gleichzeitig für sich ganz klar und erzählt, weit mehr noch als diese Worte, in dieser Version eine ganz eigene Geschichte. Zurück zur Oede … – Anna Anderluh singt im zweiten Lied des Albums: «Ich könnte alles, und das macht mich krank. Ich kriege alles, was ich will, und ich mache nie genug dafür, und das nächste scheint immer noch sinnvoller.»

Masters, leave me something stupid.

So ver-las der Musikarbeiter den Albumtitel via dem geschickten Link zuerst. Wobei in der Musik von Anna Anderluh spielerische, frei und weit assoziative, in ihrer Beweglichkeit, Spiel- und Klinglust fordernde wie begeisternde Elemente drin sind, die mit einem solchen Verleser korrespondieren. Gemeint sind natürlich die Master-Aufnahmen, weil, wer sollten denn die angesprochenen «Masters» sein? Bei Anna Anderluh hat mensch den Eindruck, dass sie mit ihrer Musik immer für sich selbst etwas aufspürt, erforscht, sich mit den Hörer_innen zeitgleich am ewigen Geheimnis Musik berauscht, von dem sie dabei schon eine ganze Menge weiß.
Anderluh, die mit einer Vielzahl von Formationen musikalisch aktiv ist, etwa mit dem Frauenstimmen-Ensemble Hals, Little Rosies Kindergarten oder mit Alex Miksch, schreibt einen Impuls für Soloauftritte und weiterführend das Album Stefan Sterzinger zu, mit dem sie auch kooperiert. Der ihr mit dem Satz «Du brauchst a Solo» auf die Sprünge half, Fragen und Zweifel, wie jenen, kein Instrument gut genug zu beherrschen, um sich zu begleiten oder wie künstlerische Entscheidungen einmal nicht im Kollektiv zu treffen, anzugehen.

Das Nadeloehr zerdreschen.

Das Instrument of choice wurde (meist) die Autoharp, die getroffenen Entscheidungen klingen beim Anhören des Albums goldrichtig, und ein Soloprogramm ist nicht zuletzt ein Format, das der Künstlerin immer offensteht, geschützt von den Frustrationsmomenten sich auflösender oder erschöpfender Kollektive. Dabei durchdringt sie mit Liedern wie dem zitierten Oede … aufs Schönste gleichzeitig diesen auf so vielen Ebenen spürbaren schwachsinnigen, gerade in der Pandemie noch gesteigerten Druck, sich selbst zu optimieren, «das Allerstimmigste, Allerauthentischste» zu finden, das mensch machen oder sein kann, und sich so – letztlich – optimal zu verkaufen. Anna Anderluh erteilt solch reaktionärem Mindset subtil eine komplexe, vielschichtige Absage, die sich nicht in der Negation erschöpft. «Weil wenn du Erfolg hast oder so tust, kommt wieder was rein (…) es geht wieder ums Geld», heißt es in Das Nadeloehr zerdreschen. Ein Lied, das formell und inhaltlich jubilieren lässt. Gegen Ende des Gesprächs, das hier wie das Album mit seinen vielen Aspekten nur gestreift werden kann,
beginnen wir über Singen, über Annas Arbeit mit einzelnen Tönen zu reden – to be continued …