Das verschwundene Gedächtnis einer StadtArtistin

Wienbibliothek zeigt Kurzbiographien von Frauen

Frauenausstellung.jpgOrte in der Stadt, wo berühmte Männer wohnten oder tätig waren, sind unübersehbar. Man stößt unweigerlich auf Straßen- und Platznamen, Denkmäler, Statuen oder Gedenktafeln, die zu einem großen Teil als männlich geprägte Orientierungspunkte und Erinnerungshilfen fungieren. Doch, wo bleiben die Verewigungen der berühmten Frauen mit dieser Frage beschäftigte sich die Stadttheoretikerin Elke Krasny und liefert Antworten in einem Buch und in einer Ausstellung der Wienbibliothek.

Wussten Sie, dass in der Beatrixgasse 26 die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann zwischen 1946 und 1948 lebte? In ihrem 1971 erschienenen Roman Malina heißt es: Heute gehe ich an der Beatrixgasse 26 vorbei, als wäre da nie etwas gewesen, beinahe nichts, oder ja, es war einmal an dieser Stelle, ein Duft aus alter Zeit, er ist nicht mehr zu spüren. Wussten Sie, dass drei Häuser weiter, Beatrixgasse 10, sich das Wohnhaus von Ida Pfeiffer befand, der ersten weiblichen Weltreisenden? 1842 verlässt sie, 45-jährig und relativ mittellos, Wien auf einem Dampfer Richtung Jerusalem und bereist den Orient. Von ihren weiteren Reisen, die sie nach Brasilien, Chile, Indien, Persien, Indonesien und Madagaskar führen und ihr ungeheure Strapazen abverlangen, bringt sie wertvolles ethnologisches und zoologisches Material zurück. Ihre Unternehmungen finanziert sie vom Verkauf ihrer Reisebeschreibungen. Wussten Sie wir bleiben im dritten Wiener Gemeindebezirk , dass auf der Landstraßer Hauptstraße 74 das Wohnhaus der Frau stand, der 1899 als erster Frau das österreichische Ehrenzeichen für Kunst und Wissenschaft und ein Jahr später als erster Frau das Ehrendoktorat der Wiener Universität verliehen wurde? Jahre davor hatte sie eine Uhrmacherlehre abgeschlossen: Marie von Ebner-Eschenbach.

Dass in der Heinestraße 27 die Physikerin Lise Meitner geboren wurde? Nach erfolgreichen Studien der Physik und Mathematik forscht sie ab 1907 bereits als promovierte Doktorin in Berlin auf dem Gebiet der Radioaktivität, muss sich aber in dem hölzernen Hohlraum unter den ansteigenden Sitzbänken des Hörsaals verstecken, da Frauen unerwünscht sind. Für eine friedliche Nutzung der Kernenergie eintretend, wird sie 1924 für den Chemie-Nobelpreis vorgeschlagen, bekommt ihn aber nicht und emigriert als Jüdin nach Schweden.

Wussten Sie, dass eine der ersten Frauen in der Geschichte des Films, die ein Studio gründete, Louise Kolm hieß? Sie zählt zu den Pionierinnen des österreichischen Stummfilms. In ihrer Produktionsfirma mit Sitz in Währing entstehen Filme, für die sie das Drehbuch schreibt und auch Regie führt. Mit ihrem zweiten Ehemann Jakob Fleck arbeitet sie später in Berlin, 1940 gelingt ihnen die Flucht nach Shanghai, wo sie den Film Söhne und Töchter der Welt realisieren. Bald nach ihrer Rückkehr nach Österreich stirbt Louise Kolm-Fleck im Jahre 1950.

Oder wussten Sie, dass sich im Floridsdorfer Bezirksmuseum die Venus vom Bisamberg befindet, eine Steinstatuette, vermutlich eine Fruchtbarkeitsdarstellung, die 7000 Jahre alt ist?

Eine andere, unbekannte Topographie

Diese Frauen sind nur einige wenige unter 300 historischen, aber auch gegenwärtigen, die die Stadttheoretikerin und Kuratorin Elke Krasny in dem Katalog zur Ausstellung Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien in der Wienbibliothek im Rathaus zusammengestellt hat. Der Ausgangspunkt für die z. T. sehr mühsamen und langwierigen Recherchen zu Frauen, die Teil der Geschichte unserer Stadt sind, in Archiven, Bibliotheken, Büchereien, Museen, die Lektüre zahlreicher Autobiografien, Briefwechsel, Adressenverzeichnisse u. a. war allerdings ein sehr konkret-heutiger: Elke Krasny begleitete 20 in Wien lebende Frauen auf ihren alltäglichen Wegen. Vom Wohnort zum Arbeitsplatz. Und verschränkte dann die aktuellen, lebendigen Wahrnehmungen dieser 20 Frauen mit den Schichten des weiblichen Gedächtnisses der Stadt.

Die Stadt ist ein riesiger Gedächtnisspeicher, persönliches Erleben und Stadtgeschichte begegnen einander, metaphorisch wie konkret, auf unseren Wegen durch die Stadt. Dort, wo wir heute gehen, sind andere vor uns gegangen, haben getrennt durch die Zeit diese Wege gekreuzt, heißt es im Vorwort des Katalogs, der auch durch zahlreiche Illustrationen überzeugt ebenso überzeugend: die Ausstellung.

Barbara Huemer

Info:

Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien

Bis 26. Juni 2009

Wienbibliothek im Rathaus

Eingang Lichtenfelsgasse, Stiege 4 (Lift), 1. Stock

Mo. bis Do., 9 Uhr bis 18.30 Uhr

Fr. bis 16.30 Uhr

Eintritt frei!

Das Buch zur Ausstellung

Elke Krasny (Hg.): Stadt und Frauen. Eine andere Topographie von Wien

Metroverlag, Wien 2008. ISBN 978-3-902517-78-4

S. 240, 19,90

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