«Dass Gedichte auch eine Aussage transportieren»Artistin

Der in Kärnten geborene Lyriker Christoph W. Bauer sieht in seiner Kunst auch die Möglichkeit, gegen Verhältnisse anzuschreiben. Heuer erschien sein neuer Gedichtband «an den hunden erkennst du die zeiten», und seine Wahlheimat Tirol verlieh ihm den Preis der Stadt Innsbruck für künstlerisches Schaffen.

INTERVIEW: CORNELIA STAHL
FOTO: DANIEL JAROSCH

Neben dem Tiroler Landespreis für Kunst und dem Outstanding Artist Award des Bundes erhielten Sie auch den Preis der Stadt Innsbruck für künstlerisches Schaffen. Wie war Ihre erste Reaktion?
Christoph W. Bauer: Ich habe so viel thematisch zu Innsbruck gearbeitet, dass das natürlich eine Form der Anerkennung ist. Gerade in den letzten Jahren, wo die Arbeit schwierig wurde, auch finanziell, ist ein Preisgeld ­natürlich willkommen. Zu Innsbruck habe ich mehrere Bücher geschrieben, und da war es für mich etwas Besonderes.

«wege verzweigt«, Ihr Lyrikdebüt, erschien 1999. 2022 folgte nun der Gedichtband an den hunden erkennst du die zeiten. Dazwischen liegen 23 Jahre. Was hat sich in Ihrem Schreiben seither verändert?
Ich wollte nie im gleichen Rhythmus bleiben, und wege verzweigt hat schon eine Form vorgegeben. In all meinen Lyrikbänden hat Bewegung und Unterwegs-Sein eine Rolle gespielt. wege ­verzweigt deutet an, dass es verschiedene Formen gibt, Wege zu gehen. 2013/14 (Anm.: Maidan-Revolution, Ukraine) fragte ich mich angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse: Wozu noch Gedichte schreiben? Man kann sich das gegenwärtig wieder fragen. Das hat sich gewandelt, dass ich jetzt wieder mehr auf Inhaltliches eingehe, als ich es am Anfang gemacht habe. Dass Gedichte auch eine Aussage transportieren und eine bestimmte Haltung.

Die Pandemie beeinflusst gegenwärtig unser Leben. Seit dem 24. Februar auch der Krieg in der Ukraine. Im Roman Niemandskinder greifen Sie die Ereignisse des Terroranschlags von ­Paris 2015 auf. Wie wichtig ist es ­Ihnen, ­gesellschaftliche Veränderungspro­zesse zu thematisieren?
Wichtiger als am Anfang meiner lite­rarischen Tätigkeit. Ich lebe nun mal in dieser Welt und kann mich vor diesen Ereignissen nicht herausheben. Ich könnte über andere Dinge dichten oder schreiben, aber das will ich gar nicht. Diese Umstände, ob es die Angriffe in Paris waren, ob das der Islamische Staat war, ob das der Krieg in der Ukraine ist. Diese Dinge beeinflussen mein Denken ja auch. Und sie beeinflussen ­meine Sprache. Das möchte ich dann schon einfließen lassen in meine Arbeit.

Es wurden Stimmen laut, die meinten, man sollte sich nicht zu stark von den Negativmeldungen beeinflussen lassen. Wie sehen Sie das?
Das geht gar nicht für mich, da ich sehr viele Freunde in der Ukraine habe. Das kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Wobei ich nicht sofort etwas über die Ukraine schreiben möchte, ­könnte ich auch gar nicht. Das überlasse ich anderen. Aber es ist schon etwas, was einen stark beeinflusst im Denken und im Alltag.

Ironie und Distanz zeigen Sie gegenüber Künstlichkeit. Zitat aus dem aktuellen Gedichtband: «da ist zu viel zwang in den zeichen zu viel künstlichkeit im ausdruck eine kapitulation vor der außen­welt.» Da karikieren Sie den Kunstmarkt, sehe ich das richtig?
Das sehen Sie richtig. Soll man sich da rausnehmen und eine Wohlfühlprosa schreiben, wie Sie es gerade ansprachen, die wunderbar und makellos ist, und sauber gearbeitet, aber auch einen Weg erzwungen kriegt? Das ist im Kunst- und Literaturmarkt so, dass vieles verkopft ist. Das ist auch nicht meines.

Sie erinnern im neuen Band an den Kärntner Autor Gert Jonke: «wie aufhören und wo oft ging er im zimmer auf und ab.» Warum haben Sie ausgerechnet Gert Jonke ausgewählt?
Das Gedicht auf Gert Jonke im Zimmer auf und ab gehen ist ein Gedicht von ihm. Jonkes Lyrik und Prosa haben mich immer fasziniert. Und ich habe mit ­einem Freund, Oliver Welter, 2019 eine CD mit Jonke-Texten aufgenommen, eben zum 10. Todestag von Gert ­Jonke. Dabei ist auch dieses Gedicht entstanden. Ich sehe meine Arbeit ­generell als eine, die an andere erinnert. Ob es in der Prosa ist oder in der Lyrik. Und ­Jonke droht, in Vergessenheit zu geraten, ­obwohl er ein großartiger Schriftsteller war.

Aus dem Gesamtwerk Ihrer Veröffentlichungen sticht der Erinnerungsband Die zweite Heimat. Zehn jüdische Lebensbilder hervor. Könnten Sie etwas zum Entstehungshintergrund sagen?
Ich habe schon davor zu diesem Thema gearbeitet. Ein befreundeter Zeithistoriker fragte mich, ob ich Interesse hätte, an einem Projekt mitzuarbeiten. Wir wollten die letzten noch lebenden 1938 aus Innsbruck vertriebenen Juden interviewen. Es sind dann Filmaufnahmen entstanden, für die Universität. Mir kam die Aufgabe zu, es in eine literarische Form zu bringen. Die Jüngste damals Vertriebene war 1938 vier Jahre alt und die Älteste ungefähr sechzehn Jahre alt. Wir haben dann noch einige getroffen, vor allem in England und in ­Israel, und so ist dieser Band entstanden. Wir dürfen nicht vergessen: Diese Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, um es lapidar zu sagen, sie sterben uns weg. Und wir wollten ihnen eine Stimme geben.

Gefallen hat mir folgende Formulierung. Ich zitiere: «Vom rand aus betrachtet ist jeder tag eine negierung der nachlassenden kraft auf die gebärden.» Dazu ein paar Gedanken …
Es sind schleichende Prozesse, man sieht sich nicht permanent selbst, aber andere sehen einen natürlich, und die bemerken dann, der ist jetzt so geworden. Das wollte ich thematisieren, denn man sieht sich selbst ja immer nur von der Seite.

Beobachtungen, Bilder, Spuren im Sand – «der rasen tropfnass von den tränen» – eine bildreiche Sprache. Wie viel Zeit erforderte die Arbeit daran?
Ich habe lange an diesem Lyrikband gearbeitet, weil ich ihn gar nicht ­vorhatte. Es sind immer wieder Zyklen entstanden. Dann kam der Anruf meines Verlegers vom Haymon Verlag, ob ich mir nicht vorstellen könnte, einen Lyrikband zu machen. Das konnte ich mir natürlich vorstellen. Die Gedichte sind über einen längeren Zeitraum entstanden. Der Vorgängerband «Stromern» war 2015. Und das sind doch einige Jahre, die dann vergangen sind. Zwischendurch habe ich immer wieder Lyrik geschrieben. Momentan arbeite ich an einem Hörspiel, das im Herbst veröffentlicht werden soll. 

Das vollständige Interview ist als Podcast zu hören:
https://cba.fro.at/558492

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