Der privatisierte Gemeindebautun & lassen

Immo Aktuell

Hetzgasse 8. Ein Altbau bot einst dutzenden Haushalten ein leistbares Dach überm Kopf. Eigentümerin war jahrzehntelang die Stadt Wien. Seit der Privatisierung herrschen Leerstand und Verfall. Jetzt plant ein Immobilienkonzern den obligatorischen Dachausbau.

Text: Christian Bunke
Illustration: Much

Oft wurde mensch im vergangenen Wiener Wahlkampf mit dem Sager konfrontiert, man müsse SPÖ wählen, denn insbesondere die ÖVP plane die Privatisierung der Gemeindebauten. Der zweite Teil der Aussage stimmt schon irgendwie. Aber zur Geschichte gehört auch, dass es die SPÖ mit Bürgermeister Michael Häupl und Wohnbaustadtrat Werner Faymann war, die Ende der 1990er- und Anfang der 2000er-Jahre dutzende von sogenannten «atypischen Gemeindebauten» privatisierte. Atypische Gemeindebauten waren Altbauten in städtischem Besitz. Als der Stadtrechnungshof Mitte der 1990er-Jahre eine Mieterhöhung für diese Objekte forderte, beschloss die Stadtregierung kurzerhand den Verkauf der 36 betroffenen Objekte. Das 1874 errichtete Haus in der Hetzgasse 8 im Bezirk Landstraße war ein solches Objekt. Seine Geschichte zeigt beispielhaft, wohin die Privatisierung öffentlichen Wohnraums führt.

Wertgesteigert und besetzt.

Zum einen ist die öffentliche Hand schlecht ausgestiegen; zum anderen haben sich Immobilienspekulant_innen bereichert. 2001 wurde das Haus für nur eine Million Euro verkauft. 2012 erfolgte ein Weiterverkauf, da wurden schon 1,5 Millionen Euro fällig. Im September 2019 wechselte das Haus erneut die Besitzer, da soll der Verkaufspreis laut dem Blog wienschauen.at bereits bei 8 Millionen Euro gelegen haben. Während des gesamten Zeitraums fanden keinerlei Investitionen in die Bausubstanz statt. Mieter_innen wohnen hier seit Jahren keine mehr. Immer wieder war der Abriss im Gespräch. Dagegen gab es über die Jahre verteilt Proteste durch Nachbarschafts- und Bürger_inneninitiativen. Auch Bezirksparteien wie die Grünen oder Wien Anders positionierten sich gegen den Abriss.
Seit 2016 steht das Haus in einer Schutzzone, was einen möglichen Abriss erschwert. Übrigens beschwerte sich damals die jetzt brandneue Regierungspartei Neos bitterlich über diese Schutzzone und nannte sie einen «Eingriff in Eigentumsrechte». Aber grundsätzlich dürfte ja auch die Wiener Sozialdemokratie nichts gegen Wohnbauprivatisierung haben. Der Koalitionsfriede scheint sicher.
Als am 25. September für kurze Zeit Hausbesetzer_innen in die Hetzgasse 8 einzogen, fanden sie ein komplett leeres und heruntergekommenes Gebäude vor. Sie hatten große Pläne und proklamierten die Eröffnung eines «autonomen Zentrums». Lange konnte sich die Nachbarschaft nicht an das neue Wohn- und Kulturprojekt gewöhnen, die Polizei räumte die Besetzung innerhalb weniger Stunden.

Verfall als «Stylestatement».

Im Grundbuch ist die Crownd H8 GmbH als Alleineigentümerin eingetragen. Dabei handelt es sich um eine Wiener Immobilienfirma, die sich in ihrer Selbstdarstellung als «Projektentwickler mit großer Erfahrung» bezeichnet. Immobilien seien «nicht nur Investments», sondern auch «Stylestatements». Ist also der Verfall eines Hauses, welches einst Wohnraum für hunderte Menschen geboten hat, einfach nur ein künstlerisches Statement? Wir werden es nicht erfahren, das Unternehmen hat auf eine AUGUSTIN-Anfrage nicht reagiert.
Sehr wohl zu sprechen war aber Rudolf Zabrana, der langjährige und mit der Wiener Immobranche gut vernetzte Bezirksvize der SPÖ in Landstraße. Laut seiner Darstellung hätten die neuen Eigentümer tatsächlich über die Herbeiführung einer «wirtschaftlichen Abbruchreife» für das Objekt nachgedacht.
Die «wirtschaftliche Abbruchreife» ist ein Begriff des Wiener Baurechts. Sie ermöglicht den Abriss von Altbauten, selbst wenn sie als schutzwürdig anerkannt sind oder sich in Schutzzonen befinden. Eine «wirtschaftliche Abbruchreife» ist gegeben, wenn eine Sanierung genauso teuer wie oder teurer als ein Neubau ist. Um dies nachzuweisen braucht es ein Gutachten. Praktischerweise werden solche «privaten Abrissgutachen» von den Immofirmen selbst in Auftrag gegeben und von diesen auch bezahlt. Der Öffentlichkeit müssen die Inhalte der Gutachten nicht vorgelegt werden. Gefälligkeitsanalysen sind somit Tür und Tor – bzw. das zugige Altbaufenster – geöffnet. Denn zur Herstellung einer solchen Abbruchreife braucht es jahrelangen Leerstand und viele offene Fenster, damit Wind und Wetter die Bausub­stanz angreifen können. Eine in der Immo­branche beliebte Praxis. Ob sie auch von Crownd gelebt wird, ist natürlich nicht bewiesen.
Einen Abbruch hält die bei der MA 37 angesiedelte Wiener Baupolizei für unwahrscheinlich, da hier die für Architektur und Stadtgestaltung zuständige MA 19 zustimmen müsste. Derzeit fänden im Haus jedoch Vorarbeiten für eine kommende Sanierung statt. «Unter anderem werden Holzböden herausgerissen», so ein Mitarbeiter der MA 37.

Von der Abbruchreife zum Dachausbau.

Auch Rudolf Zabrana meint, dass die «wirtschaftliche Abbruchreife» heute nicht mehr Ziel der Eigentümer_innen sei. Geplant sei im Gegenteil ein Dachausbau, dafür gebe es auch eine noch eineinhalb Jahre gültige Genehmigung. Die MA 37 rechnet außerdem mit einer Sockelsanierung. «Man kann davon ausgehen, dass 2021 mit Baumaßnahmen begonnen wird», äußert sich Zabrana zuversichtlich. Und man kann auch davon ausgehen, dass dieser Ausbau für die allermeisten Wohnungssuchenden unerschwinglich sein wird.