«Die Menschen sehnen sich nach Frieden»Artistin

Isabel Frey (Foto: © Jana Madzigon)

Seit Ende Oktober laden die Sängerin Isabel Frey und Osama Zatar vom Kollektiv OneState Embassy regelmäßig zu Mahnwachen für die zivilen Opfer in Israel und Palästina. Wir haben mit den beiden über den Krieg in Nahost und die politische Kraft der Kunst gesprochen.

Wie ist es euch ergangen, als ihr von der Attacke der Hamas auf Israel erfahren habt?

Isabel Frey: Ich war schockiert und starr und spürte, dass das eine noch nie dagewesene Situation ist. Tief getroffen haben mich Postings mancher linker Gruppen oder Menschen, denen ich auf den Sozialen Medien folge, und die den Angriff der Hamas unterstützten oder als Freiheitskampf sahen. Ich hatte das Gefühl, dass meine Narrative, mit denen ich als jüdische Linke die letzten Jahre hantiert habe, sich plötzlich in Luft auflösten. Ich war froh, als sich Stimmen aus der jüdischen und israelischen Linken zu Wort meldeten und klarstellten, dass das nichts mit Freiheitskampf zu tun hat.
Osama Zatar: Ich erfuhr davon, als ich ein Video auf Instagram sah, das Leute der Hamas zeigte, wie sie die Grenze zu Israel überquerten. Ich rief sofort einen israelischen Freund an. Als der mir erzählte, was gerade vor sich geht, dachte ich mir: Gaza ist im Arsch. Ich war traurig über das, was Hamas tat, denn das ist nicht der Weg, um diesen Konflikt zu lösen.

In Israel ist eine rechtsreligiöse Regierung unter Premier Benjamin Netanyahu an der Macht, auf Seiten der Palästinenser:innen ist die Hamas die lauteste Stimme. Beide geben vor, für israelische bzw. palästinensische Interessen zu kämpfen.

Frey: Das gemeinsame Interesse von Israelis und Palästinenser:innen ist, in Frieden, Sicherheit und Gleichberechtigung zu leben. Weder die Hamas noch die aktuelle israelische Regierung vertreten die Interessen des Volkes oder der Mehrheit. Stattdessen spielen sie sich gegenseitig in die Hände, um einen ewigen Kriegszustand zu erhalten. Netanjahu sagte ja 2019, wer einen Palästinenser-Staat verhindern möchte, sollte die Hamas unterstützen. Die Hamas hat natürlich auch nicht die Interessen von palästinensischen Zivilist:innen im Kopf, wenn sie so einen Terroranschlag begeht. Sie will hohe Todeszahlen haben, damit ihre Propaganda wirkt.
Zatar: Es gibt in Israel und der rechts-religiösen Regierung Stimmen, die erklären, das gesamte Land vom Fluss Jordan bis zum Meer gehöre Israel. Da schwingt oft auch etwas Religiöses mit, etwa wenn jüdische Siedler:innen sich palästinensisches Land aneignen, mit der Begründung, es handle sich dabei um ihr heiliges Land. Tatsächlich ist das Denken der radikalen Juden und Jüdinnen jenem der radikalen Muslim:innen sehr ähnlich. Auch die Hamas stellt Anspruch auf das gesamte Gebiet, wenn sie fordert, Israel müsse ausgelöscht werden. Auch sie spricht ständig vom Islam. Dieser Logik folgend gab sie dem Angriff auf Israel einen religiösen Anstrich, indem sie ihn als Operation «Al-Aqsa-Flut» bezeichneten. Aber das Problem sind nicht nur die Hardliner in Israel und Palästina. Die Probleme kommen auch von außerhalb. Arabische und westliche Staaten unterstützen den Konflikt, aber kein Staat setzt sich nachhaltig für eine Lösung ein.

Isabel, mit deinen Widerstandsliedern möchtest du die Tradition des linken jüdischen Aktivismus wiederbeleben.

Frey: Ich war auf der Suche nach etwas, das mir den Ausdruck jüdischer Identität ermöglicht, dabei aber auch mit anderen linken Positionen vereinbar ist. Jiddische Widerstandslieder, und dabei vor allem die Lieder des Bundes (Allgemeiner Jüdischer Arbeiterbund), haben sich da angeboten. Ihre Texte richten sich gegen die komplette Assimilation, aber auch gegen den Zionismus. Und die alten sozialistischen Lieder sind auch für die heutige Situation gültig, weil sie universelle Werte ansprechen: Menschenrechte, ein Leben ohne Unterdrückung. Ich singe aber nicht nur alte, sondern auch neu geschriebene Lieder – eines zum Beispiel, geschrieben nach dem Gazakrieg im Jahr 2014, spricht von dem Schmerz, den man als andersdenkende Jüdin erfährt, wenn in der eigenen Gemeinde dehumanisierend über die «andere Seite» gesprochen wird.

«Musik kann Gefühle von Gemeinsamkeit und Hoffnung herstellen» Isabel Frey

Welche Kraft besitzt Kunst, politische Veränderungen anzustoßen?

Frey: Die Lieder sind einerseits inhaltlich politisch. Ihre Texte sprechen die Vorstellungskraft an, wie die Gesellschaft anders sein könnte. Auf der repräsentativen Ebene bin ich: eine junge jüdische Künstlerin, die ein anderes Bild vom Jüdischsein vermittelt. Und dann sind da die Affekte, die die Musik berührt. Politische Inhalte in Reden verpackt können nicht dasselbe, was Kunst kann. Die affektive Ebene ist eine, die man nicht so bewusst wahrnimmt. Natürlich bedeutet das, dass man auf der Ebene sehr manipulativ sein kann, das haben die Rechtspopulisten ja auch schon für sich erkannt. Aber man kann eben auch Gefühle von Gemeinsamkeit und Hoffnung herstellen. Und darum ist Musik immer Teil unserer Mahnwachen.

Osama, du hast 2009 mit einem israelischen Freund und Künstler das Projekt OneState Embassy begründet. Ihr seid sozusagen als Botschafter eines gemeinsamen Israel/Palästina aufgetreten. Welche Bedeutung hat Kunst in Zeiten so brutaler Konflikte?

Zatar: Wir sind ein politisches Kunst­kollektiv, das an verschiedenen Projekten arbeitet, die eines eint: unsere Vision einer friedlichen Welt, in der Menschen jeder Herkunft und Religion zusammenleben können. Die grundlegende Idee dieser Botschaft eines fantastischen Staates, der in unserer Erzählung zur Realität geworden ist, ist die, dass wir mit unserer Kunst positive und optimistische Bilder verbreiten wollen, um sie vorstellbar zu machen. Das beziehen wir auch ganz konkret auf den israelisch-palästinensischen Konflikt: Wir wollen in einer hoffnungslosen und pessimistischen Zeit den Glauben daran bestärken, dass eine Lösung möglich ist. In der gesamten Kunstgeschichte haben Künstler:innen immer wieder führende Rollen gespielt, wenn es um Diplomatie und Lösungen für Konflikte und Kriege ging, künstlerische Positionen haben als Inspiration für menschen- und bürgerrechtliche Massenbewegungen gedient. Wir verstehen das als unsere Verantwortung. Und wir vertreten den Standpunkt, dass wir unsere Kritik nicht von oben herab, sondern von mittendrin üben. Die Sprache der Kunst vermag es, Kritik greifbar zu machen, neue Blickwinkel zu öffnen und ideologische Sackgassen zu verlassen. Das alles macht die Kraft der Kunst aus, und die nutzen wir, um politische Veränderungen anzuregen.

Osama Zatar (Foto: © Jana Madzigon)

 

Wie kann es nach der Terrorattacke gegen israelische Zivilist:innen und all den Toten im Gazastreifen weitergehen?

Frey: Ich glaube, der Konflikt kann nur von außerhalb beendet werden. Ich habe große Hoffnungen in die jüdische Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten, wo vor allem die junge Generation Druck macht und sich für eine friedliche Lösung in Israel-Palästina einsetzt. Es braucht diesen Druck von den USA und der EU, um einen international gestützten Friedensprozess anzustoßen. Der sollte aber diesmal nicht von den USA geführt werden, weil Washington in diesem Konflikt nicht neutral ist.
Zatar: Gegen die israelische Besatzung einen blutigen Kampf zu führen, ist der falsche Weg. Ebenso ist es falsch, wenn Israel, wie es eben geschieht, tausende Zivilist:innen in Gaza tötet – damit unterscheidet es sich nicht von der Hamas. Die Menschen in Israel und Palästina sehnen sich nach Frieden. Vielleicht wissen sie nur nicht, wie sie es anstellen sollen, weil sie ihn nie hatten. Ein wichtiger Schritt zum Frieden wäre die weltweite Anerkennung Palästinas als eigenständiger Staat. Denn wenn es eine von allen respektierte gemeinsame Grenze gäbe, wären die Regierungen Israels und Palästinas gezwungen, sich zusammenzusetzen, um einen Weg des Miteinander oder zumindest des Nebeneinander zu finden.

Isabel Frey. Sängerin, Aktivistin und Ethnomusikologin, geboren und aufgewachsen in Wien. Nach der Matura verbrachte sie ein Jahr in Israel, wo ihr klar wurde, dass ihre jüdische Identität in der Diaspora und nicht in Israel verwurzelt ist.

Osama Zatar. Geboren in Palästina, lebt der Künstler heute in Wien. 2009 gründete er gemeinsam mit einem israelischen Freund das Projekt OneState Embassy, das eine Botschaft der Einheit und Koexistenz zwischen Israelis und Palästinenser:innen verbreitet.

Mahnwachen:
www.onestateembassy.com/standingtogethervienna