Boulevard-Blog vom 28.06.2023
Tausende gingen am 15. Juni in ganz Österreich auf die Straße, um Missstände im Bildungswesen zu thematisieren. Ein Lokalaugenschein von der Demo in Wien.
«Wer von Euch bekommt ein Taschengeld?», fragte Markus Neuherz, Vizepräsident des Österreichischen Behindertenrats, im Rahmen des Aktionstages «Baustelle Bildung» von der Redner:innenbühne ins Publikum. Zahlreiche Kinder hoben ihre Hände. «Aber kaum Erwachsene!», stellte Neuherz fest, um anschließend einen weiten Bogen zu schlagen: von der Ungerechtigkeit, dass Menschen mit Behinderungen in Behindertenwerkstätten für mageres Taschengeld anstatt echten Lohns arbeiten, hin zu der systematischen Ausgrenzung, die Menschen mit Behinderungen bereits im Kindergarten erfahren. Der Platz dort wird ihnen aufgrund mangelnder Inklusion verwehrt.
Das war nur eines von vielen Themen, die an diesem sonnigen Nachmittag am 15. Juni im Wiener Votivpark zur Sprache kamen, bevor sich laut Polizeischätzung 10.000 Lehrer:innen, Kinder, Eltern und viele weitere Berufsgruppen aus dem Bildungsbereich zu einer Demo durch die Wiener Innenstadt aufstellten. Zuvor waren bereits 2.000 streikende Freizeitpädagog:innen am Votivpark angekommen, die schon die ganze Woche hindurch gegen die drohende, von der Bundesregierung geplante Verschlechterung des nachmittäglichen Betreuungsangebotes an den Schulen protestiert hatten.
Burn-out und Chaos
Die Baustellen im Bildungsbereich – es sind viele. Einem breiten, von Basisinitiativen aufgebauten Bündnis war es gelungen, sie alle an diesem Tag zusammenzubringen. Lehrer:innen, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten, hatten ihre Kurse bereits am Vormittag gemeinsam mit ihren Schüler:innen in den Park und somit in die Öffentlichkeit gelegt. An einem Infostand stellte sich die Initiative «Unterbau» von der Universität Wien der Diskussion. Hier organisieren sich junge Wissenschafter:innen und Lehrende, die genug von Kettenverträgen und Prekarisierung haben. 90 Prozent der Mitarbeiter:innen an der Uni Wien hätten nur befristete Verträge, sagte Mario Keller von «Unterbau» in seiner Rede während des Aktionstages.
Derweil kehren immer mehr Lehrer:innen den Schulen den Rücken und suchen sich aufgrund von Arbeitsüberlastung und Burn-out einen neuen Job. Die Lage an den Schulen im Herbst werde deshalb und aufgrund vieler weiterer Missstände «chaotisch» sein, sagt Michael Doblmair von der Initiative «Schule brennt» gegenüber dem Augustin. Doblmair ist Mit-Initiator des Aktionstages. Er zieht eine positive Bilanz und berichtet von Gesprächen mit Kolleg:innen am Tag danach, die gesagt hätten, «wie schön es war, gemeinsam mit so vielen anderen Kolleg:innen da zu sein». Es sei für viele eine wichtige Erfahrung gewesen, mit dem Gefühl dauernder Arbeitsüberlastung und Überforderung nicht alleine zu sein und die Individualisierung der Probleme durchbrechen zu können.
Bereit zum Streik
Unter den zahlreichen Schüler:innen, die an dem Aktionstag teilnahmen, war auch Flo Pristolic von der Linken Gruppe «Jugendrat». Ihr sei es wichtig, sich mit den Streikenden zu solidarisieren und auf die Ungerechtigkeiten im Bildungswesen aufmerksam zu machen. Die Bildungsfrage sei eine Klassenfrage. «Wir brauchen ein System, in dem Lehrpersonen fair entlohnt werden und in dem niemand auf der Strecke bleibt», fordert sie.
Der Aktionstag sei dafür nur ein Anfang, so Michael Doblmair. «Wir müssen uns wehren lernen, weiter Druck aufbauen.» Dieser Druck kann auch Streiks bedeuten. Zumindest war im Laufe von Kundgebung und Demo immer wieder der Sprechchor «Wir sind streikbereit!» zu hören. Hier nimmt Doblmair auch die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) in die Pflicht: «Streiks gelten in der GÖD immer als letztes Mittel. Aber das letzte Mittel kommt nie. Es ist bei der GÖD noch nicht durchgedrungen, dass die Kolleg:innen am Limit sind.» Damit ein Streik vielleicht auch von unten organisiert werden könne, sei noch ein Stück Weg zu gehen. «Wir müssen uns als Organisation dafür unter den Kolleg:innen Respekt aufbauen. Dafür sind viele Schritte nötig. Aber wir wollen uns auch mit Streiks wehren können.»
Ein erster Schritt wird bereits am 4. Juli 2023 gemacht werden. An diesem Tag hält die GÖD ihre Gewerkschaftskonferenz ab. Und Aktivist:innen von «Schule brennt» werden dort sein und Flugblätter mit ihrer Streikforderung verteilen.
Links:
https://aktion-bildung.at/
https://www.schulebrennt.at/
Foto: Lisbeth Kovačič