Zu Besuch bei Johnny Parth, Wiens produktivstem Schallplatten-Produzenten
Der Verein für österreichische Subkulturforschung «Trash Rock Archives» betreibt Spurensuche für den Augustin. In einer dreiteiligen Miniserie stellen wir einmal pro Monat in Vergessenheit geratene Held_innen der heimischen Popgeschichte vor. Diesmal sind Al Bird Sputnik (Text) und Mario Lang (Foto) nach Floridsdorf gefahren, um den (wahrscheinlich) Produktivsten unter den Produzenten zu treffen: Johnny Parth. Ein Porträt von der ersten Jazzplatte bis zur letzten Blues-Aufnahme.In einem geräumigen Neubau im 21. Bezirk treffen wir Schallplatten-Produzent und Labelbetreiber a. D. Johnny Parth, Jahrgang 1930. Ähnlich stilvoll und aufgeräumt wie seine Wohnung erleben wir auch den gebürtigen Ottakringer als zurückhaltenden Zeitgenossen, der zu Beginn des Gesprächs noch darauf verweist, dass er seit einem Schlaganfall öfter Dinge vergisst, alle wesentlichen Informationen zu seinem umfangreichen Schaffen dann aber stets akkurat zur Hand hat. Auch der renommierte «Keeping The Blues Alive»-Award, den er 2001 als erster Europäer von der US-amerikanischen «Blues Foundation» verliehen bekommen hat, steht beim gegebenen Stichwort rasch am Tisch. Die Wände sind von mannshohen CD- und LP-Regalen gesäumt, dicht bestückt mit einer Hundertschar säuberlich beschrifteter Parth-Produktionen aus sechs Dekaden. Hier lagert ein Lebenswerk, das seinesgleichen sucht.
Vom «St. Louis Blues» zum «Hot Club de Vienne»
Johnny Parth kam im zarten Alter von 13 Jahren erstmals mit Jazz in Berührung. Eine Begegnung, die sein Leben prägte. «Das war in der Hitler-Zeit. Da hat ein Schulkollege zu mir gesagt, ich soll zu ihm nach Hause kommen. Er spielt mir was vor. Eine Schellackplatte. ‹Na, hör ma sich’s mal an. Was wird das schon Großartiges sein?›, hab ich mir damals gedacht. Und er hat mir dann den ‹St. Louis Blues› von Louis Armstrong aufgelegt. Ich bin halbert z’sammbrochen, als ich die Nummer gehört hab.» Es folgten etliche weitere Treffen, bei denen die Musiksendungen des vom NS-Regime verbotenen amerikanischen Radiosenders im Mittelpunkt standen, doch Parths erwachte Liebe zum Jazz musste vorerst ein Geheimnis bleiben. Selbst seine Eltern weihte er nicht ein.
Nach Kriegsende schlug sich Parth als Übersetzer in englischen Kasernen durch, bevor er eine Ausbildung zum Maler an der Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt absolvierte. Seine stark ausgeprägte künstlerische Ader und sein Erfindungsreichtum machten sich bezahlt und verhalfen dem jungen Bohèmien zu hochdotierten Jobs bei namhaften Wiener Werbeagenturen. Wie sich erweisen sollte, war das Geld bei ihm in guten Händen: Als etwa der stadtbekannte «Hot Club de Vienne» eines Tages seine Monatsmiete nicht aufbringen konnte, zahlte Parth kurzerhand die Zeche und wurde im Gegenzug zum Präsidenten des legendären Jazz-Clubs ernannt. «Die nächsten 10 Jahre bin ich jedes Mal regulär wiedergewählt worden und hab’ in dieser Zeit sehr viele Abende organisiert. So haben wir den Menschen den Jazz nähergebracht. Das war ja damals komplettes Neuland für die meisten Leute.» In die Ära der «Hot Club»-Präsidentschaft (ca. 1955–1965) fielen auch Parths erste Experimente als Musikpublizist. In kleinen Stückzahlen begann er damit, rare Jazz-Aufnahmen für seine Stammgäste pressen zu lassen und erstaunliche Tonträger mit gänzlich unkommerzieller Musik in Umlauf zu bringen; Schallplatten, über die sich in Österreich wohl kein etabliertes Label drübergetraut hätte.
Das goldene Blues-Verdienstzeichen
Mitte der 1960er Jahre entwickelte Johnny Parth ein Interesse an Blues und Gospel. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Evelyn betrieb er ab 1967 das Label «Roots Records». «Basierend auf dem Wunsch, die besten Sachen zusammenzustellen, damit die Musik erhalten bleibt. Ohne kommerzielle Hintergedanken. Seltene amerikanische Blues-Aufnahmen, aber auch österreichische Folk-Bands, wie die Blue Grass Specials haben wir da veröffentlicht. Das waren größtenteils Platten mit Auflagen von 100 bis 300 Stück.» Diese Produktionen fanden auch erstmalig den Weg über die Landesgrenzen, bis in die USA. Gleichzeitig lieferte «Roots Records» auch einer jungen, heimischen Folkszene mit späteren Stars wie der Worried Men Skiffle Group oder Al Cook wichtige Impulse.
In den frühen 1970er Jahren schickte Johnny Parth ein weiteres Pferd ins Rennen: «Paltram Records», das nun mit historischen Wienerlied-Aufnahmen ein weiteres unkonventionelles Genre bespielte. «Paltram hat die Straße geheißen, in der ich mein Haus hatte. Da ging es vorrangig um österreichische Musik.» Befragt zur seltsamen Allianz von Gospel und Wienerlied, analysiert der Kenner präzise: «In beiden Fällen handelt es sich um authentische Volksmusik. Gospel, die Volksmusik der Südstaaten. Wienerlied, die Volksmusik der Wiener. Musik, die echt und unverfälscht ist.»
Die umfassendste und weltweit meistbeachtete Arbeit des Johnny Parth, mit der er sich letztlich unsterblich machte, sollte allerdings erst in den 1980er Jahren das Licht der Welt erblicken: «Document Records». «Die Idee war: Bringen wir doch zu jedem amerikanischen Bluesmusiker, der zwischen 1880 und 1940 Musik aufgenommen hat, eine eigene Platte heraus mit den kompletten Aufnahmen in chronologischer Reihenfolge. Damit das Material für die Nachwelt und für die Musikforschung erhalten bleibt. Das war mir das Wichtigste. Ob es sich gut verkauft, war völlig sekundär.» Beinahe wöchentlich veröffentlichte Parth in der Hochphase des Projekts einen neuen Tonträger mit obskurer und ultra-obskurer amerikanischer Blues-Musik. «Ich hab meinen Sammlerfreunden in aller Welt meine Suchlisten zugeschickt und die haben mir dann von ihren Schellacks Tonband-Aufnahmen gemacht und überspielt. Damit bin ich dann ins Studio gegangen und hab’s herrichten lassen. Da mehr Höhen, dort mehr Tiefen. So hat das funktioniert. Umso weiter fortgeschritten die Serie war, desto mehr Sammler waren begeistert und wollten mithelfen. Das Telefon hat bei mir Tag und Nacht geläutet. Wenn einer aus Australien angerufen hat, der nicht gewusst hat, wie spät es gerade bei uns ist, musste ich während der zärtlichsten Liebesstunde plötzlich aufspringen. Um sachlich zu telefonieren.»
Nach etwa 900 (!) Vinyl- und CD-Produktionen, die sich rund um die ganze Welt verkauften, steht Parths Name inzwischen synonym für die Rettung rarer Tondokumente aus einer Zeit lange vor der Ankunft des Rock ’n’ Roll. Im Jahr 2002 war das unglaubliche Mammut-Projekt «Document Records» für ihn abgeschlossen. Er verkaufte die Firma nach England und zog sich allmählich aus dem Musikbusiness zurück.
Nach unserem langen Interview spazieren wir zu einer Pizzeria, einige Blocks entfernt, und plaudern noch ein wenig. Restaurantbesitzer Mohammed kennt seinen langjährigen Gast gut und weist uns zum Stammplatz der Produzenten-Legende. Als wir sitzen, fällt es endlich auf: Parth trägt bereits den ganzen Abend am Revers seines Sakkos das Goldene Verdienstzeichen, das ihm die Stadt Wien im Jahr 2002 verliehen hat. Der gute Mann ist stolz auf sein Lebenswerk. Und das zu Recht. Ein Hoch auf Österreichs umtriebigsten Beatnik im Ruhestand, den unglaublichen Johnny Parth!