Ein «Illegaler» unter DenkmalschutzArtistin

Mit dem Marcus Omofuma Stein protestierte Bildhauerin Ulrike Truger 2003 gegen die Asylpolitik Österreichs auf ihre Art: in Stein. Heute steht er unter Denkmalschutz [Foto: (c) Jana Madzigon]

Der Marcus Omofuma Stein steht seit Oktober 2003 in der Öffentlichkeit, seit November 2003 am Beginn der Mariahilfer Straße, seit 2014 ebendort, am Platz der Menschenrechte. Und seit Kurzem unter Denkmalschutz.

«der stein muß weg, sofort, sagt die MA 28 als eigentümer-vertreterin, es gab keine ­genehmigung, es wird keine geben, illegal.» So beginnt die Bildhauerin ­Ulrike Truger im Oktober 2003 ­ihren offenen Brief an den damaligen Wiener Bürgermeister Michael Häupl, wenige Tage nachdem sie ihr drei Meter hohes Mahnmal für Marcus Omofuma vor der Wiener Staatsoper ohne Genehmigung aufgestellt hatte. Der 25-jährige Nigerianer hatte in Österreich vergeblich um Asyl angesucht und war am 1. Mai 1999 auf dem Abschiebeflug mit Klebebändern gefesselt und geknebelt worden und ist dadurch qualvoll erstickt.
«die illegalität aber ist teil meines MARCUS OMOFUMA STEIN-­projekts, so wie sie teil des themas asylpolitik ist. neben der skulptur als repräsentanz des tragischen schicksals von marcus ­omofuma stellvertretend für viele leidtragende menschen ist auch die illegale aufstellung ein symbol: für die ausweglosigkeit im legalen kampf um einen platz in der wohlstandsgesellschaft. die ­schere geht auseinander, wir müssen uns was überlegen», setzte Truger im Brief fort.
«Was überlegen» mussten sich an ­jenem Freitagvormittag aber erst einmal ganz konkret die eilig angerufenen ­Behörden: Wen geht der Fünf-Tonnen-Stein des Anstoßes überhaupt was an? Baupolizei (MA 37)? Stadtplanung (MA 19)? Kultur (MA 7)? Oder gar Inte­gration (MA 17)? Einstweilen wird es Mittag. Und wer braucht so kurz vorm Wochenende so ein stachelig-störendes, retardierendes Moment? Eben. Damit blieb der von ­Ulrike Truger zeitlich wie örtlich wohlplatzierte Stein vorerst an Ort und Stelle und wurde zum Politikum.

Kein Stein ist illegal

Abschiebung, Fesselung, Knebelung, Erstickungstod. Diese sonst irgendwo hinter Schwechat ausgelagerten Themen landeten nun an der Adresse Herbert-von-Karajan-Platz 1. «Die Arbeit ist erst getan, wenn sie einen guten, richtigen Platz hat», sagt die 74-jährige, im Burgenland lebende Bildhauerin über ihre «kräftigen Aussagen» aus Marmor oder Granit. «Es ist wichtig, Stellung zu beziehen.» So kam es auch bereits vor 30 Jahren, im Dezember 1993, in ihrem Geburtsort Hartberg in der Steiermark zum ersten Einsatz ihrer drei Meter hohen ­Wächterin aus weißem Marmor im Rahmen eines Lichtermeers in Solidarität mit dem sogenannten «Ausländer-Pfarrer» Janisch, auf den ein rechtsextremes Briefbombenattentat verübt worden war. Dabei standen die Hartberger:innen unterm Christbaum und formulierten «Fragen an die Wächterin». Die Skulptur entwickelte ein zivilgesellschaftliches Eigenleben. «Das war einfach großartig!», erinnert sich Truger.
Im Jahr 2000 wurde die erste schwarz-blaue Regierung angelobt und Truger beteiligte sich an den Protesten dagegen auf ihre Art: in Stein. Sie ließ ihre weiße Wächterin vor dem Burgtheater aufstellen, ohne Genehmigung und auf eigene Kosten, als «Zeichen der Wachsamkeit gegenüber den politischen Veränderungen in Österreich». Als Auftakt zu den Donnerstagsdemonstrationen fand monatlich eine eigene Frauenkundgebung bei der Wächterin statt, zahlreiche Aktionen folgten.

Straße, Stein, Papier

Bekannter noch als ihre 2004 legalisierte Wächterin wurde aber eine andere ihrer tonnenschweren Interventionen im öffentlichen Raum: der Marcus Omofuma Stein. Nach Anfrage einer Aktivistin bezüglich eines Mahnmals für Marcus Omofuma hatte Ulrike Truger rasch ein Bild im Kopf von abstrahierten Einschnürungen, fertigte ein Modell an und bemühte sich um Förderungen sowie einen Aufstellungsort. Stadt und Land hatten jedoch kein Interesse an einem Denkmal für den unter systematischer Polizeigewalt getöteten Asylwerber. Ganz im Gegenteil. War es doch gerade erst mühsam gelungen, die Proteste gegen die österreichische Asylpolitik im Allgemeinen und gegen die tödlichen Praktiken der Abschiebebehörden im Besonderen sowie die monatelangen Mahnwachen des African Community Network nach dem Tod von Marcus Omofuma aus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu verdrängen und stattdessen eine vermeintliche nigerianische «Drogenmafia» in den boulevardmedialen Fokus zu nehmen. Stichwort «Operation Spring».
Mitten in dieses Klima hinein ­setzte Ulrike Truger nun ihren «Stachel» – eigen­initiativ und selbstfinanziert. Es gelang ihr, zehn kleine Bronze-Abgüsse des Modells an private Sammler:innen zu verkaufen. Damit erwarb sie in ­Carrara, Italien, einen afrikanischen Granit, «Nero Assoluto Zimbabwe», den sie in ihrem Prater-Atelier erstmals maschinell, mit der Trennscheibe ­bearbeitete. Nachdem alle Gespräche mit offiziellen Stellen erfolglos verlaufen waren, beschloss Ulrike Truger, den Stein am 10. Oktober 2003 um 8 Uhr morgens ohne Genehmigung neben der Staatsoper aufstellen zu lassen. Die Chefin der beteiligten Transportfirma, mit der sie mittlerweile befreundet war, spielte mit. Neben regem medialen Interesse und heftigem politischen Beschuss trug ihr das auch ein Abtragungsverfahren durch die Baupolizei ein. Fünf Wochen dauerte es schließlich, bis der 7. Bezirk als «Asylgeber» des Gedenksteins aufzeigte und der «vorschriftswidrige Bau» Mitte November 2003 auf den finalen Standort am Anfang der Mariahilfer Straße übersiedelte.

Black Matter Lives

Dort ging es aber erst so richtig los: Schnell war das Mahnmal nicht nur zum Treffpunkt für antirassistische Demonstrationen, zuletzt etwa die große «Black Lives Matter»-Kundgebung im Juni 2020 mit rund 50.000 Teilnehmer:innen, sondern auch zum ­Objekt rechtsradikaler Beschmierungen und von Vandalismus geworden. Der schwarze Stein wurde mit weißer Farbe überschüttet, besprüht, die Beschilderung mehrfach zerstört. Anfangs war es noch Ulrike Truger selbst, die den Stein immer wieder reinigte, bis nach einigen Monaten die Grünalternative Jugend diese ­Arbeit übernahm.
2014 wurde der Platz umbenannt in «Platz der Menschenrechte», was ­Truger als «Verwässerung» ihres Anliegens empfand. Ab diesem Zeitpunkt übernahm die Bezirksverwaltung die Säuberung des Steins sowie die Miete der «Liegenschaft» in Höhe von 60 Euro pro Jahr, die Ulrike ­Truger als «Eigentümerin der Baulichkeit» bis dahin an die MA 28 (Straßenverwaltung) bezahlt hatte. Sonst sah die Stadt Wien, die sich zeitgleich zur «Stadt der Menschenrechte» ausgerufen ­hatte, keinen Zusammenhang, und damit auch «­keine Möglichkeit», das Denkmal eventuell anzukaufen. Schließlich habe man bereits 2001 Trugers Skulptur ­Elisabeth erworben und man wolle «einzelne Künstler:innen im Stadtraum nicht überrepräsentieren».
Dieser Ankauf war aber seinerzeit auch nur durch Trugers berüchtigte «Sitzungen» zustande gekommen. Sie hatte sich wöchentlich vors Büro des Kulturstadtrats gesetzt und Zeitung gelesen. «Ich hab’ gewusst, ich muss körperlich auftreten, mit ­Papier geht des nimma.» Und zwar so lange, bis jener schließlich entnervt herausstürmte und sich doch noch ein Ankaufsbudget für die Skulptur aus dem Hause Gottseibeiuns Truger aufstellen ließ. «Immer diese Durchsetzerei!», ruft Truger aus. «Es ist unglaublich mühsam, aber es hat Wirkung. Und wie sich jetzt zeigt: nachhaltige Wirkung! Und deswegen fürchten sie sich so!»

Unter Denkmalschutz

Furchtlos, selbstständig und für Truger völlig überraschend trat nun im Dezember 2022 das Bundesdenkmalamt auf den Plan und entschied, den Marcus Omofuma Stein als Teil des österreichischen Kulturgutbestands unter Denkmalschutz zu stellen. Das Amtssachverständigengutachten konstatiert eine «überregionale Bedeutung als Mahnmal gegen Gewalt, Rassismus und menschenverachtende Asylpolitik». Es solle weiters «zu Zivilcourage und Widerstand auffordern». Angesichts der Entstehungsgeschichte des Werks eine durchaus frappierende Wendung!
Weiters heißt es im Gutachten: «Eine zusätzliche kulturelle Bedeutung besteht darin, dass es ein Auftragswerk aus der Mitte der Gesellschaft ist, das nicht von offizieller Seite in Auftrag gegeben ­wurde. Diese Art der Vereinnahmung des öffentlichen Raums ist ein Spezifikum in ­Ulrike Trugers Werk.»
Was bedeutet das nun konkret für die Künstlerin? «Es ist eine große ­Entlastung. Und es ist befriedigend.» Beim Treffen vor Ort entdeckte Truger, dass der Stein verrückt wurde – aber nicht angesichts der erstaunlichen Entwicklungen, sondern ganz konkret: Offenbar war ihm die Baustelle im Frühjahr zu ­Leibe ­gerückt. «Damit kann sich jetzt aber das Denkmalamt befassen!» In der Tat: Ende Juli wurde der verschobene Stein wieder zurechtgerückt – auch die MA 28 war vor Ort und legte behutsam mit Hand an.