Ein Mann gegen eine Pipelinetun & lassen

Die EVN buddelt seinen Grund schon auf, doch Bauer Haider kämpft weiter

Ein Bauer weigerte sich zwei Jahre lang, der EVN das Recht einzuräumen, eine Gasleitung unter seiner Wiese zu verlegen. Nun hat die Republik ihn dazu gezwungen. Doch er hat Verbündete: In einigen Dörfern in Salzburg und Kärnten wehren sich Dutzende BürgerInnen gegen eine geplante Gastransitleitung.Der Mann kämpft nicht gegen Windmühlen. Er kämpft gegen eine Gasleitung. Dennoch hat der Kampf etwas Don-Quijote-Artiges an sich. Es ist ein Mann gegen die EVN, Niederösterreichs mächtigen Strom- und Gaskonzern. Im Augenblick hat die EVN gesiegt. Doch Erwin Haider gibt nicht auf.

Wir stehen in einem hügeligen Land am Fuße des Semmering. Wiesen rundherum, und Wälder. Die ungewöhnlich warme Novembersonne gibt Zeugnis von einem insgesamt wärmer werdenden Klima. Erwin Haider zeigt auf meterlange, 80 Zentimeter dicke Rohre, die auf der nackten Erde liegen. Neben den Rohren steht ein Bagger, der eine mehrere Meter breite Schleuse gebuddelt hat. Wohin der Blick auch reicht, überall liegen metallisch glänzende Rohre in der Gegend herum. In der Ortschaft Schlagl, hoch über Gloggnitz, verlegt die EVN eine Transitgasleitung mit dem Namen Südschiene, die von Gänserndorf bis an die niederösterreichische Grenze am Semmering führt. Von dort aus gräbt die Gasnetz Steiermark GmbH weiter. Nur ein einziger von rund tausend betroffenen Grundeigentümern in Niederösterreich, Don Quijote alias Herr Haider, hat sich zwei Jahre lang der EVN widersetzt. Er kämpft dagegen, der EVN ein Leitungsservitut einzuräumen, nämlich das Recht, unter seinem Grund die Gasleitung zu verlegen. Doch er hat verloren. Ende Oktober hat ihm die Republik Österreich einen Bescheid zugestellt mit der Mitteilung, dass er gemäß Paragraph 57 des Gaswirtschaftsgesetzes das Servitut einräumen muss. Eine Art Enteignung, obwohl ihm das Grundstück weiter gehört. Doch er hat nun Einschränkungen. Er darf zum Beispiel im Bereich über der Gasleitung keine tiefwurzelnden Pflanzen setzen. Dafür erhält er eine einmalige Entschädigung, die allerdings wesentlich geringer ist als bei freiwilliger Einräumung.

Nun buddelt die EVN auch seinen Grund auf, doch Haider kämpft weiter. Sein Anwalt Reinhard Schanda hat beim Verfassungsgerichtshof eine Beschwerde eingebracht, die, sollte sie erfolgreich sein, das Zeug dazu hat, die derzeitige Energiepolitik Österreichs auszuhebeln.

Haider steht vor dem Erdwall, der neben den Rohren aufgeschüttet wurde. «Die Gasleitung wird sich erst in 30 Jahren amortisieren», sagt er. «Wir binden uns also für die nächsten Jahrzehnte an das Erdgas. An den Herrn Putin, der die Erdgaspreise vorgibt. Jetzt schon zahlen wir mehr als zwei Milliarden Euro pro Jahr für das Erdgas ans Ausland, hauptsächlich an Russland. Das wird in Zukunft noch viel mehr werden. Das Geld könnten wir in erneuerbare Energie stecken. Wir könnten energieautark werden, wenn wir es wollen.»

Pellets statt Putin

So hätte Erwin Haider vor zwei Jahren nicht geredet. Um Energiepolitik hat er sich damals nicht gekümmert, um Putin auch nicht. Er hatte so schon genug Arbeit, als Polizist und als Bauer. Er hat sich eher um den Weiterbestand seines Erbes gekümmert eines uralten Steinhauses und der bergigen Gründe rundherum. Er ist traditionsbewusst. Seit 1706 ist dokumentiert, dass die Haiders in Schlagl leben, und wahrscheinlich taten sie das auch schon vorher, nur damals ist die Kirche samt allen Dokumenten abgebrannt.

Der Beginn seiner politischen Bewusstwerdung lässt sich auf den Tag genau bestimmen: Es war der 30. Oktober 2008. Da erhielt er einen Anruf eines EVN-Vertreters. Der wollte bei ihm vorbeischauen, wegen einer Gasleitung, die gebaut werden solle. Zehn Minuten später war der Mann schon da, setzte sich in die Küche und breitete Pläne und Verträge auf dem Küchentisch aus. Die Gasleitung werde über seinen Grund führen, die EVN zahle eine schöne Abfertigung, rund 60 Euro pro Laufmeter, und da an dieser Stelle sei der Vertrag zu unterschreiben.

Diese Überfallstaktik kam bei Haider gar nicht gut an. Er wollte Zeit haben, um die Verträge durchzulesen. Zwei Wochen später war der EVN-Mann schon wieder da. Alle hätten bereits unterschrieben, er als Einziger noch nicht, jetzt müsse er aber, denn die EVN wolle schon vermessen. Das, so glaubte Haider, war glatt gelogen. Er rief seinen Nachbarn an der hatte noch nicht unterschrieben, und die Gemeinde auch nicht. Der Druck stieß Haider sauer auf. Auch kamen ihm immer mehr Bedenken. Was würde mit seinen drei Brunnen passieren? Die könnten versiegen, wenn die Wasseradern durch die Verlegung der Gasleitung einen anderen Lauf suchen. Und wusste die EVN auch, dass der Hang rutschgefährdet war? Vor vier Jahren gab es eine grobe Überschwemmung in seinem Hof, der Boden hatte den starken Regen nicht mehr aufnehmen können, das Wasser stürzte den Hang hinunter, direkt in die Mulde, in der sein Haus liegt. Seine Mutter wäre dabei fast ertrunken. Durch die Grabungsarbeiten beim Verlegen der Leitung würde die Humusschicht zerstört, der Lehm käme nach oben, und so könnte starker Regen nicht mehr in die Erde sickern, sondern würde den Hang hinunterschießen und sein Haus unterspülen. Und die Erdstöße, die er immer wieder registriert? Schlagl liegt in der Erdbebenzone vier.

Über diese Einwände hat Haider immer wieder auch mit der EVN geredet. «Wir haben lange und ausführliche Gespräche mit Herrn Haider geführt», sagt der EVN-Pressesprecher Stefan Zach. «Leider ist es zu keiner Lösung gekommen.» Aus technischen Gründen konnte die Leitung nicht woanders verlegt werden. Haiders Sicherheitsbedenken hält die EVN für unberechtigt. Tausende Kilometer von Leitungen, bei denen nichts passiert, würden dies beweisen.

Auch die Argumente der EVN für die Notwendigkeit der Südleitung sind durchaus einleuchtend: Die Leitung ersetze zum Teil alte Gasleitungen aus den 1960er Jahren, die ausgetauscht werden müssen, erklärt Zach. Zum Teil ist die Leitung neu und dient der Versorgung der Gaskraftwerke Mellach bei Graz, die der Verbund gerade baut. Ob Mellach eine sinnvolle Investition sei oder nicht, sei nicht Sache der EVN zu entscheiden; die EVN errichte in diesem Fall nur die Leitungen. Grundsätzlich seien Gaskraftwerke zum jetzigen Zeitpunkt aber sinnvoll. Nicht nur, weil damit die weitaus schädlicheren fossilen Energieträger Kohle und Erdöl ersetzt werden können. Sondern weil Gaskraftwerke als Ergänzung zur Windkraft benötigt werden. Wenn plötzlich kein Wind weht und Strom erzeugt, kann sekundenschnell ein Gaskraftwerk hochgefahren werden. Die EVN habe auch überhaupt kein Problem damit, Gas durch Biomasse zu ersetzen, wo es möglich ist. Doch derzeit sei Gas einfach noch nötig.

Doch Haider hat sich in seinen nächtelangen Computersitzungen längst weiterbewegt. Er las über den Klimawandel, die Energiekrise, die Möglichkeiten, energieautark zu werden.

Störrische Bauern

Und über das Internet fand er Verbündete: in Salzburg und in Kärnten. Dort engagieren sich viele Bauern und andere BürgerInnen gegen die geplante Tauerngasleitung, die von Bayern über Oberösterreich, Salzburg und Kärnten nach Italien gebaut werden soll. Ende 2007 gründeten die E.on Ruhrgas und mehrere österreichische Energieversorger ein Unternehmen, um das Projekt Tauerngasleitung zu prüfen. E.on ist zu 45 Prozent daran beteiligt, die Salzburg AG und die Energie AG Oberösterreich zu je 15 Prozent. Erst einmal sollten eine Machbarkeitsstudie und Verhandlungen mit Gemeinden und Grundbesitzern durchgeführt werden. In einigen Salzburger Gemeinden, wie Kuchl, Abtenau, Flachau und Scheffau, regte sich sofort Widerstand gegen das Projekt. Und der war auch bald gut organisiert, da sich viele SalzburgerInnen schon jahrelang mit dem Verbund herumschlagen, der eine 380-kV-Stromleitung bauen will. Die Leitung solle unter der Erde verlegt werden, wird gefordert, was aber die Kosten gewaltig erhöhen würde. Und nun organisieren sich viele BürgerInnen auch noch gegen die Gastransitleitung, schreiben Leserbriefe an die «Salzburger Nachrichten» und die «Kronen Zeitung», fordern Termine mit LandespolitikerInnen und Bundesministern. Doch bei weitem nicht alle sind gegen das Projekt. Der Geschäftsführer des Tauerngasleitungsprojekts, Thomas Kettl, sagte Mitte November, dass bereits mehr als 90 Prozent der betroffenen Grundbesitzer Vorverträge abgeschlossen hätten. Nur in Scheffau und Kuchl gebe es Probleme.

«Bei uns in Kuchl ist ein Großteil der Bauern dagegen», sagt der Kuchler Land- und Fostwirt Stefan Weiß. Auch in Adnet bei Hallein haben erst vier von 24 Bauern unterschrieben. Was viele Leute besonders erzürnt hat, war ein Beschleunigungszuschlag für Grundbesitzer, die besonders schnell einen Vorvertrag unterzeichnen. Dabei wurde mit sehr viel Geld gelockt: Mehr als doppelt so viel Entschädigung, nämlich zusätzlich bis zu 80 Euro pro Laufmeter, würde man bekommen, wenn man bis Ende 2009 unterschreibt. «Die Bauern wurden erpresst», sagt Weiss.

Der Ausbau der Gasinfrastruktur werde auf Jahrzehnte hinaus die Abhängigkeit vom Gas zementieren, argumentieren die Pipelinegegner. Statt auf die Energiewende zu setzen und nur in erneuerbare Energie zu investieren, begebe man sich weiter in die Abhängigkeit von Gas. Die rund eine Milliarde Euro, die die Leitung nach heutigem Stand schätzungsweise kosten wird, sollten die heimischen Energieversorger lieber in Biomasseheizwerke, Windräder und Solaranlagen investieren.

Die Betreiber der Tauerngasleitung argumentieren mit Versorgungssicherheit. In Italien würde in die Gasleitung Erdgas aus Libyen und dem arabischen Raum eingespeist, damit würde die Abhängigkeit von Russland reduziert. Ein Argument, das die Gegner nicht nachvollziehen können. Schließlich ist der russische Energiekonzern Gazprom an E.on beteiligt.