Ein Museum für den Rittervorstadt

Trotz Sanierungsarbeiten am Kalte-Rinne-Viadukt ­geöffnet: das Ghega-Museum (links im Bild) [Foto: C. Fellmer]

Die Bahnstrecke zwischen Mürzzuschlag und Gloggnitz ist nur 42 Kilometer lang, gehört aber zu den technischen Meisterleistungen des 19. Jahrhunderts. Ihrem Erbauer ist das «Carl Ritter von Ghega Museum» am Semmering gewidmet.

Mehr als 100 steinerne Brücken und Durchlässe, 14 Tunnel und bis zu 28 Promille Gefälle: Die von Carl Ghega, der 1851 in den Ritterstand erhoben wurde, erbaute Semmeringbahn ist ein Hybrid aus Technik und Kunst. Sie wurde 1854 fertiggestellt und gehört seit 1998 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Sie geht auf eine Initiative von Erzherzog Johann zurück, der sich eine Bahnverbindung von Wien über den Semmering nach Triest wünschte, und wurde unter Kaiser Franz Joseph I. in Betrieb genommen. Eine Pionierleistung, der sich das «Carl Ritter von Ghega Museum» am Semmering angenommen hat. Als einziges Ghega-Museum reflektiert es das Werk des 1802 in Venedig geborenen Ingenieurs, zu dessen frühen Arbeiten Straßen- und Wasserbauten in Venetien gehören. Das Ghega-Museum liegt am Semmering-Bahnwanderweg zwischen den Bahnhöfen Semmering und Breitenstein und ist am besten zu Fuß zu erreichen. Man könnte auch über die Kalte-Rinne-Straße bis auf hundert Meter zufahren, aber das wäre unsportlich.

«Mühsame Begehungen»

Am Bahnhof in Triest befindet sich eine Büste von Carl Ritter von Ghega. Auch am Bahnhof Semmering gibt es – neben einem Semmeringbahn-Infopoint mit dem Charme eines Souvenirshops – ein Ghega-Denkmal. Es markiert den Anfang des Bahnwanderwegs, auf dem man ein bisschen in den Schuhen des Ritters wandeln kann. «Ich habe in der That wiederholte und mühsame Begehungen der Gegend vornehmen müssen, um das Terrain vollständig aufzufassen», hielt er in seiner 1854 erschienenen Publikation Malerischer Atlas der Eisenbahn über den Semmering fest. Mittlerweile gibt es ausgetretene Pfade über den Semmering, sodass sich Mühsal und – geht man Richtung Wien – Steigungen in Grenzen halten. Gute zwei Stunden sind es bis zum Ghega-Museum und auf dem Weg liegen zahlreiche Artefakte verstreut, die entweder frisch restauriert sind (wie das Kartnerkogel-Viadukt) oder noch ein bisschen dem Glanz des feinen Gesellschaftslebens in der österreichisch-ungarischen Monarchie nachtrauern. Das Kurhotel Semmering beispielsweise, 1909 eröffnet, neben dem Panhans und dem Südbahnhotel das einstige Epizentrum der gehobenen Schicht, droht wehmütig einzustürzen und soll als Grand Semmering wiederbelebt werden.

20-Schilling-Blick

Auf nicht ganz halbem Weg zum Ghega-Museum wird auch die Erinnerung an die bis 2002 verwendete österreichische Landeswährung wiederbelebt: Am «20-Schilling-Blick» öffnet sich die Sicht über den Semmering, so wie man sie vom vorletzten 20-Schilling-Schein (entspricht 1,45 Euro), der 1967 ausgegeben wurde, kennt. Wer sich noch erinnert: Die Vorderseite zeigt den Bahnbauer Ghega, die Rückseite ein Semmering-Panorama mit dem Viadukt über die Kalte Rinne – das wahrscheinlich schönste Bauwerk entlang der Strecke. Von diesem Blickpunkt aus offenbart sich auch die technische Meisterleistung des Gesamtkunstwerks: Durch massiven Fels gebrochene Tunnel, dann wieder Viadukte und danach durch den Wald führende Strecken ergeben ein atemberaubendes Bild, bei dem sich die Dimensionen verschieben. Schaut man auf ein perfektes Diorama oder ist das Gewoge aus grün, felsgrau, braun und ziegelrot echt? Spätestens am 20-Schilling-Blick stellt sich die Frage: Was wäre der Semmering ohne die Eisenbahn? In seiner Ghega-Biografie hält Wolfgang Straub fest, dass sich Ghegas beruflicher Zenit, die Semmeringbahn, auch in einem großen Selbstvertrauen spiegelt: «Er beschreibt die Semmeringbahn als ‹einen großartigen, vom Standpunkt der Kunstgeschichte in der That monumentalen Bau›.» Auch der Kaiser hatte Spaß an der ersten Überfahrt. In einer Festschrift zum 25. Jahrestag der Eröffnung heißt es: «Se. Majestät nahm sämtliche Kunstbauten mit besonderem Interesse in Augenschein, zeigte dafür die lebhafteste Theilnahme und sprach dem Erbauer der Bahn Seine volle Befriedigung und Sein Allerhöchstes Wohlgefallen aus.»

Einfamilienhaus mit Garten

Nach der Unterquerung der Fleischmannbrücke und einem moderaten Anstieg taucht das Kalte-Rinne-Viadukt am Horizont auf und gleich links daneben auf 827 Meter Seehöhe das Ghega-Museum. Es sieht aus wie ein Einfamilienhaus mit Garten, und das ist es auch, aus Bahnbesitz erworben. Über die Jahre hat es Museumsbetreiber Georg Zwickl renoviert und 2012 das Museum eröffnet. Nachbar:innen hat Zwickl, der mit seiner Frau im Obergeschoß wohnt, keine: Um ihn herum sind Wald, eine Forststraße, auf der ein im Winter notwendiger Geländewagen parkt, und die Südbahn. Am Ghega-Stammtisch im Garten steht der Ritter als Pappkamerad an einem Fernrohr und beobachtet die Arbeiten an der Kalten Rinne. Das Viadukt allerdings sieht dem Bau auf dem 20er-Schein nicht einmal ähnlich: Baustellennetze, ein Kran sowie Bagger und LKWs prägen das Bild. Seit dem Frühjahr wird es saniert: «Ghega hat das Viadukt in zwei Jahren gebaut», sagt Zwickl, «die ÖBB brauchen für die Sanierung vier Jahre.»
Im Museum herrscht enger Enthusiasmus, keine eleganten Jugendstil-Plakate von Fahrten über den Semmering nach Triest, wie man sie im Infopoint am Bahnhof bekommt, sondern fast schon Alltägliches aus einer anderen Zeit. Neben Büchern zum Thema, Modellen und alten Bahnuniformen, hat Zwickl eine große Sammlung an Originaldokumenten zusammengetragen, die von Ghega selbst stammen. Dazu gehören Pläne, Skizzen, Briefe, Aufzeichnungen und auch Utensilien aus der Zeit des Eisenbahnbaues. Ein Schreibtisch, an dem der Ritter bis vor kurzem noch gesessen haben könnte, und ein Zeichentisch versuchen vergangenes Ambiente zu vermitteln. Bilder, Fotos, ausgemusterte Zugsitze und Zugbeschilderungen (etwa vom IC 559 «Ritter von Ghega» von Wien Südbahnhof nach Graz) verdeutlichen Georg Zwickls Leidenschaft fürs Sammeln. In einer Werkstatt neben dem Museum häufen sich Kleinbahnmodelle, weil jährlich auch zwei Modellbautauschbörsen stattfinden. Dazu kommen noch sommerliche Kulturaktivitäten, wie kleine Konzerte. «Axel Zwingenberger war schon zweimal bei uns», sagt Zwickl.
Lokales Desinteresse. Offizielle Förderungen bekommt Zwickl für den Museumsbetrieb nicht, obwohl es über fehlende Besucher:innen nicht klagen kann. «An einem schönen Wochenende kommen durchaus 50 Wanderer zu uns. Manchmal melden sich auch Gruppen an, die mit dem Autobus kommen und nur die letzten Meter zu Fuß gehen.» Wie erwähnt, ein eher unsportliches Verhalten, weil man sich nicht erwandert, was man später erklärt bekommt. Zur Führung gibt es im Museum Getränke und kleine Stärkungen. Unter den Einheimischen herrscht hingegen ein eher überschaubares Interesse, abgesehen vom Semmeringer Bürgermeister, der Ehrenmitglied im «Club der Freunde Ghegas» ist. Woher das lokale Desinteresse kommt, kann sich Zwickl nicht wirklich erklären – genauso wenig wie den Umstand, dass die Semmeringbahn und das Ghega-Vermächtnis kaum touristisch erschlossen werden. Spenden und der jährliche Mitgliedsbeitrag des hinter dem Museum stehenden Vereins, sind die einzigen Einnahmen. Von denen und von seinem Privatgeld kauft Zwickl neue Ghega-Artefakte, «um möglichst viel über den Menschen zu zeigen», erklärt er: «Man muss sich vorstellen, der ist dagesessen und hat aus dem Kopf heraus einen Plan gezeichnet, nach dem über 150 Jahre später immer noch Züge fahren.»

Von Mai bis Oktober geöffnet,
telefonische Voranmeldung empfohlen:
0676 524 83 97
2673 Breitenstein, Kalte Rinne-Straße 45
www.ghega-museum.at