Ein paar naive Fragen stellen …tun & lassen

Die Krise kommt im Mai - IV

LogoKrise.jpgDer Künstler, Ausstellungskurator, Kunst- und Medientheoretiker Peter Weibel vertrat unlängst im Kulturjournal des ORF die Meinung, dass die Mehrheit der Künstler und Künstlerinnen selbst Komplizen des Marktes“ seien. Zudem hätten die meisten gar keine adäquate Ausbildung, um die komplexen Zusammenhänge unseres Wirtschaftssystems zu verstehen.

Damit bestätigte er die von Sabine Oppolzer vorgegebene These: Obwohl die Finanzkrise fast täglich die Schlagzeilen fülle, meldeten sich Intellektuelle überraschenderweise kaum dazu zu Wort. Und das, obwohl doch Künstler und Literaten immer gerne in Anspruch genommen hätten, die Vordenker oder das moralische Gewissen der Nation zu sein. Die Sendungsgestalterin erinnerte an die so genannte „Wende“ zur schwarz-blauen Koalition im Jahr 2000: Da habe eine deutlich hörbare Entrüstung geherrscht.

Weibel zählt sich zu den Ungebrochenen. Eine seiner aktuellen Installationen: der Glaube an das ewige Wachstum als oberster Glaubenssatz des Kapitalismus. Er wird in einer Glasvitrine dargestellt, in der man ein Foto schwerelos schweben sieht: Es zeigt einige Broker mit Sektgläsern in der Hand, wie sie jubelnd den Aufstieg der Aktienkurse beobachten. Die Linie, die den Börsenindex zeigt, besteht aus Kokain, daneben liegt ein eingerollter Hunderter, mit dem das Kokain in die Nase befördert werden kann. Denn das wahre Rauschgift sei das fiktive Geld, so Weibel. Dass der kapitalistische Kulturbetrieb solcherlei Provokationen mittlerweile wie selbstverständlich schluckt, ist traurig, aber wahr.

Zu einer weniger pessimismusfördernden Einsicht in das Verhältnis Kunst & Krise verhilft uns das Mai-Programm des Aktionsradius Wien, das mit prominenten BeraterInnen erstellt wurde: dem Filmemacher Erwin Wagenhofer und dem Schriftsteller Ilija Trojanow. Denkbar, dass diese bald jene Rolle spielen, die die isländischen KünstlerInnen in der sozialen Bewegung ihres Landes spielten, die als Erste seit Ausbruch der Krise die Regierung stürzen konnte. Den Weibel kann man sich, mit Verlaub, in dieser Rolle schwer vorstellen. Denn die Kunst des Herunterbrechens ist nicht sein Metier, im Gegensatz zu Trojanow, vor allem aber zu Wagenhofer.

Diese Kunst des Herunterbrechens wird anlässlich der Eröffnung von Wagenhofers Fotoausstellung thematisiert. Gemeint ist damit die Übersetzung der wirklichkeitsverschleiernden Sprache der Börse und Volkswirtschaftslehre in die MUNDART der Menschen da unten. Modellhaft zeigt Wagenhofers Film Let’s make Money die Chancen auf, die im Herunterbrechen liegen. Eine nicht mehr durch akademische Verschleierungsbegrifflichkeit geschminkte Sprache der Krise, also eine zurückeroberte Sprache, kann die Zusammenhänge der Krise für jeden und jede verständlich machen. Das kann nicht mehr vom Markt inhaliert werden: entlarvend ehrliche Antworten von Verursachern der Spaltung der Gesellschaft in 1 Prozent Mächtige und 99 Prozent Ohnmächtige. In die Falle der Wagenhofer’schen Meisterschaft des naiven Fragens sind die Täter gegangen. Friedrun Huemer wird den Filmemacher (5. 5.) um genauere Auskünfte bitten.

Ein Experiment der unmittelbarsten Verknüpfung von dramatischer Kunst und politischer Theorie und Publikumspartizipation ist Maren Rahmanns Musik-Theater-Projekt Marie übt die Anarchie (12. 5.). Was als Theater beginnt, endet in einem Zukunfts-Workshop; die sympathisch aufmüpfige Supermarktkassiererin Marie ist der Link zwischen den beiden Welten. Sie ist es, die die unerhörten Fragen stellt: Ist eine Welt ohne Geld vorstellbar? Was wäre, wenn es ohne Kapitalismus weiterginge? Wie könnte ein gutes Leben in Wien ausschauen?

Ilija Trojanow, der meistens in Wien lebende bulgarische Globetrotter und Anarchist, hat sieben Jahre in Simbabwe verbracht. Bei der Diskussion über die Weltwirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf Afrika (18. 5.) sollte ihn jemand nach seiner Interpretation des Phänomens der Seeräuberei in den somalischen Gewässern befragen. Er wird eine nonkonformistische Erzählung zu hören bekommen, die trotz ihrer Plausibilität keinen Eingang in die Massenmedien findet. Die Fischgründe vor der 3000 Kilometer langen Küste zählten zu den reichsten in Ostafrika. Seit 1991 die letzte zentralstaatliche Autorität in Somalia zerfiel, wurden die einheimischen Fische von einer übermächtigen Konkurrenz verdrängt. Industrielle Fangflotten aus Europa und Asien jagen in den ungeschützten Hoheitsgewässern den Thunfisch, dessen Bestände mittlerweile massiv bedroht sind. Den Fischern blieb nichts mehr übrig, als Seeräuber zu werden.

Der Neoliberalismus hat uns beinahe um unsere Fantasie gebracht, Zusammensein zu denken, und hat uns eingeredet, es sei gut, dass wir nicht mehr zusammenhalten, das zeuge vom gewonnenen Grad an Autonomie. Kunst und Kultur sind gefordert: Vielleicht schaffen sie, was politische Opposition nicht mehr schafft. Vielleicht bringen sie Menschen zueinander, die sonst gegeneinander leben würden, formuliert der Aktionsradius Wien den Anspruch seines Mai-Veranstaltungsreigens. Und weil nun einmal Menschen am besten beim gemeinsamen Fest zusammenkommen, wird der Samstag, 9. 5., zum Tag des sinnlichen Intermezzos und der augenzwinkernden Verdrängung der Weltwirtschaftskrise erklärt.

Das Afrika-Fest im Augarten und in der Bunkerei hat eine Vorgeschichte: Zahlreiche in Wien lebende MusikerInnen konnten bereits in Simbabwe und anderen Ländern Afrikas aufspielen und musikalische Erfahrungen sammeln. Anlässlich des Besuchs der Tonga-MusikerInnen aus Simbabwe und Sambia in Linz09 erwidern nun Otto Lechner, Karl Ritter, Slavko Nini und KollegInnen die Gastfreundschaft. Zwischen 14 und 22 Uhr im Augarten mit dabei die Tonga-MusikerInnen von Simonga-Maliko aus Simbabwe und Sambia mit ihren raumfüllenden Ngoma-Buntibe-Musikritualen; aus Burkina Faso die Balafone von Lege Lege Foli, aus Sansibar die zwei Zumari-Hornisten Siga & Sekembuke und aus Marokko die Gnawa-Trance-Musiker mit ihrem Master Abdeljalil Kodssi. Das Afrika-Fest ist ein Kooperationsprojekt von Aktionsradius Wien, kulturen in bewegung/vidc, Windhundkultur, Arge Zimbabwe Freundschaft und Bunkerei Augarten.

Das Motto des Themenmonats stammt von Bertolt Brecht: Unsichtbar macht sich das Verbrechen, indem es große Ausmaße annimmt. So sehr sie Brecht lieben: Wagenhofer, Trojanow und Co. sorgen im Mai dafür, dass das große Verbrechen sichtbar wird.

Alle Veranstaltungen: siehe www.aktionsradius.at oder Tel. (01) 332 26 94

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