Ein See, der „blubb“ machtArtistin

Gert Jonkes kleine Schwester Bella Ban ist eine große Künstlerin

Bella Ban will luftige Textschachteln für Gert Jonke schaffen, arbeitet den Kärntner Nationalsozialismus ab und schafft neue Räume in Wortskizzen, Performances und Bildern. Das politisch-ästhetische Kunstprojekt Cafe OM in Klagenfurt durchlebte sie mit Viktor Rogy, dem letzten Dadaisten Kärntens. Viktor Rogy starb 2004, Gert Jonke vor einem Jahr. Bella Pan im Augustin-Gespräch.Wie bist du schon als Schülerin zu den Bildhauern gekommen?

Mein Vater Boris Ban eine schillernde Persönlichkeit, ein Abenteurer und Geschäftsmann war gegen die Bildhauerei, und ich bin deswegen von zu Hause ausgerissen. Im Sommer ging ich zu einem Bildhauer arbeiten. Mein Vater sagte ihm, er soll mir das ausreden. Später schickte er die Freundinnen, sie sollen mich zum Baden abholen. (lacht) Am Ende sagte er: Na, die haut sich lieber die Hände blutig, bevor sie sich abbringen lasst von irgendwas. Stationen am Anfang waren auch der Steinbruch Krastal und der Bildhauer Otto Eder. Jetzt gerade erhielt ich jugoslawische Unterlagen, dass mein Vater seit seinem 14. Lebensjahr vom Geheimdienst observiert wurde. Zusätzlich soll es auch im Kärntner Landesarchiv einen Akt geben, erzählte mir der NS-Forscher Helge Stromberger. Mein Vater war Partisan im Kreis von Edward Kozbeck, fünfmal verheiratet, saß aber auch u. a. wegen Industriespionage im Gefängnis (lacht). Mein Vater wurde von den Ustascha an die italienischen Faschisten ausgeliefert und gefoltert, davon wurde er ein bissl schizophren ein Macho war er wohl immer schon. Ende Januar kommt nun das Buch Die Gedenkanlage Annabichl neu gestalten, herausgegeben vom Drava Verlag, dessen Leiter der kürzlich freiwillig aus dem Leben geschiedene Franz Marenits war. Darin sind meine Projekte Tatort Kärnten 1938 bis 1945 und Grabort Klagenfurt mit Lichtinstallationen dieser ganzen vom Helge erforschten Namen von NS-Opfern (liest): Vis-à-vis vom Café OM befindet sich das Hotel Sandwirt, von dessen ehemals über dem Haupteingang befindlichen Balkon Adolf Hitler die Klagenfurter Bürger in seiner für ihn üblichen Manier begrüßte. Wenn man am Abend vom Innenraum des Café OM hinaus und hinüber blickt, sieht man die Spiegelungen der Namen der Opfer in der Luft und über die Straße, auf der Fassade des Hotels. Es entsteht ein imaginärer Korrespondenzraum zwischen Opfer und Täter. 2006 war das Café OM zehn Jahre alt, und ich bekam mal wieder die Kündigung wegen Mietrückstand. Ich hatte es bewusst über den Tod von Viktor hinaus geführt, aber es raubte mir die Kräfte. Bei der Rathaussitzung warnte der Geschäftsführer der Immobilie davor, das OM einem Nachfolge-Verein von Angelika Hödl von Radio Agora zu übergeben (liest vor): Denn er hätte Hödl gesagt, dass in keinem Falle eine politische Aktion geduldet würde. Nach Angaben von Frau Hödl könne sie keine Garantie abgeben, dass der Verein dort nicht das Dritte Reich abarbeiten würde. Der Klagenfurter Stadtsenat entschied sich gegen das Café OM.

Warst du als Kind auch schon so eine eigenständige Persönlichkeit?

Ich hatte italienische Pflegeeltern, weil mein Vater ja nie Zeit hatte. Nach der Scheidung ist meine Mutter, eine Pianistin, erstaunlicherweise noch einmal für zehn Jahre zu ihm zurück. Kurzfristig war ich in einem Kinderheim, das so schlecht geführt war, dass es aufgelassen wurde. Meine Mutter kümmerte sich mehr um den Gert, der war für sie im Mittelpunkt. Aber ich habe die Mama schon sehr lieb gehabt. Während sie Klavier übte, spielte ich Domino unter dem Flügel. Als sehr kleines Kind bin ich viel mit dem Ocka (Opa) in Ljubljana in die Kaffeehäuser gegangen. Er zum Zeitung lesen, während ich im Café des Hotel Slon (Elefant) oder im Europe auf der damaligen Titova cesta schon gestalterische Anwandlungen hatte. Ich beobachtete, ob die Leute mit einem guten Stoff angezogen waren, denn mein Vater fuhr viel mit mir nach Triest, Stoffe aussuchen. Ich war zwischendurch immer wieder sehr allein, aber fühlte mich nicht so einsam, weil ich mir innerlich eine eigene Welt aufbaute. Es ist auch jetzt so, nach Viktors Tod ich bin im Kern kein anderer Mensch, die Umstände sind anders, und manchmal machen es einem die Umstände schwer oder man selber auch. Dann geht es wieder leichter. Ich war als Kind vielleicht sogar erdiger als jetzt, jetzt bin ich mehr luftig. Ich habe schon eine Freude, wenn ein bissl etwas hinhaut. Bei mir gab es nie einen Einbruch, das Künstlerische zieht sich durch. Mich wundert das, denn nach dem Tod vom Viktor dachte ich, dass ich in ein ziemliches Loch fallen werde, ich habe aber dann doch sehr viel gemacht. Das war eben schon von meiner Kindheit her so obwohl alles ein bissl chaotisch war habe ich das Bei-sich-Sein schon sehr verwurzelt gehabt, obwohl ich es nicht benennen konnte. Das ist eine Kraft, die mich weitertreibt. Es ist wie bei einem See, der lange still ist, und dann macht es blubb. (lacht)

Das ist hart, als Kind viel alleine und dann eine Symbiose auch im künstlerischen Bereich mit einem Menschen, und der stirbt einem weg



Viktor und ich haben uns gegenseitig besprochen und erzählt und gelernt voneinander. In der Nacht, wenn man so halbwach war, sagt plötzlich der eine zum anderen: Ich würde da aber schon ein bissl kürzer machen, und wir konnten wirklich eine Stunde über fünf Millimeter reden. (lacht) Entweder für seine Sache oder für meine. Wenn man zusammen ist, entstehen künstlerische Sachen aus dem Blödeln oder Ernsten heraus wie ein Puzzle. Seine Kunst wirkte für damalige Verhältnisse provokativ, dabei war er ein Minimalist. Wenn es auf etwas angekommen ist, reagierte er, und wenn er reagierte, war das manchmal wie ein Gewitter. Richtig zu ihm gezogen bin ich 1991, wir waren vorher auch schon in dem sukzessive entstandenen Lokal Die rote Lasche gemeinsam unterwegs. Ich habe einen starken Bezug zu Räumen, projezierte z. B. in einem leer stehenden Geschäft eine Koffer-Installation. Fremd bin ich eingezogen, fremd zog ich wieder aus. Jetzt bei den Literaturtagen in St. Veit stand hinter der Lesebühne im Renaissance-Rathaushof ein vergrößerter Digitaldruck eines Fotos von mir. Das Bild verwob sich mit der Architektur, und der Tänzer Erich Pacher verwob sich mit dem Bild. (Liest) Alles interessiert mich, Punkte, Linien, Flächen, Räume, vor allem das, was man nicht sieht. Es ist wie mit den unendlichen Spiegelungen in alle Richtungen, es ist wie mit dem Spiegel, wie ein Bild, das nicht da ist, zumindest nicht dort, wo ich es sehe.

Dein Bruder Gert studierte Musikwissenschaften, oder?



Eigentlich studierte er auf der Filmakademie fast fertig und Germanistik. Auf jeden Fall kannte er sich besser mit Musik aus als mancher Musikwissenschafter. Eines meiner Lieblingsbücher vom Gert ist Das Erwachen zum großen Schlafkrieg. Es kommen viele Bilder vor, die mir sehr nahe sind. Ich las alle seine Bücher im Laufe der Zeit, ich war ganz stolz, auch wenn ich nicht immer alles gleich gelesen oder verstanden habe. Je älter er wurde, desto mehr ist er eins geworden mit dem, was er gemacht hat. 2009 ist beim Verlag Jung und Jung Der Kopf des Georg Friedrich Händel als Hörbuch-CD herausgekommen. Das schrieb er in meiner Studienzeit. Er lebte damals in der Porzellangasse in einer riesigen Wohnung. Da war er gerade von seiner Frau verlassen, glaube ich, es war ziemlich leer und groß und kalt. Wir sind auf einer Couch gesessen, und er las mir immer daraus vor. Das war eigentlich als Filmdrehbuch gedacht, nach einer Vorlage von Stefan Zweig, denn da gibt es so ein Kapitel in Sternstunden der Menschheit. Er machte ganz etwas Eigenes daraus. Ich kenne seine Art von Rhythmus, die ist mir oft sehr nahe. Er rief mich um elf Uhr in der Nacht an, jetzt geht er arbeiten, und ich habe meistens auch in der Nacht irgendetwas gemacht.

Dem Gert hat meine Ausstellung (t)raum ein raumbild in der Burgkapelle mit den Anspielungen auf die Reichskristallnacht und den Glasscherben von über drei Tonnen zerschlagenem Glas so gut gefallen. Meine Performance war im Oktober 2007 auf den Glasscherben. Im Januar hielt er eine Lesung im Museumseingang. Die Burgkapelle war auch so ein Ort, an dem sie im Nationalsozialismus Leute festhielten. Zeitweise überschnitten sich unsere musikalischen Interessen. Wir sagten zueinander, hör einmal dies oder das, ich stand auf minimalistische Sachen, Gert hatte gerade eine Mahler-Phase. Wir waren mit dem Komponisten Lampersberg sehr verbunden, mit dem diese Geschichte mit dem Thomas Bernhard seinem Roman Holzfällen war.

Direkt nach dem Tod vom Gert fuhr ich mit dem Zug an der Sporthalle Friesach vorbei. Ich war schon vorher zu diesem Kunst am Bau-Wettbewerb geladen und dachte, ich käme da zeitlich nicht mehr zurecht. Da sah ich das Gebäude aus dem Zug heraus und das Konzept war klar. Dann reichte ich ein Kunst am Bau-Projekt mit Texten von ihm für die Fassade der Sporthalle ein, wurde aber zweitgereiht, weil das Ganze nichts mit Sport zu tun hatte.

Hintergrundfarbe war anthrazyt, für die finstere Innenhofseite schlug ich ein helles Blaugrün vor. Die Halle sollte zu einer luftigen Textschachtel werden.

Aufschriften für die Sporthalle Friesach aus Texten von Gert Jonke (nicht realisiert):

Nicht immer ist jeder Tag finster und jede Nacht

hell nicht immer ist russ weiß und Schnee

Schwarz nicht immer ist Leben lähmend

und sterben bewegend nicht immer ist

Hinterseite des Gebäudes:

Was könnte auffallender

sein als ein Blitzblanker

Himmel um uns gegenseitig

die Umrisslinien unsere Ge

stalten uns gegenseitig hi

nauf zuwerfen als wuerden

wir die Wolken erfinden

                                (Aus dem Freien Fall)

Seitlich:

Jetzt wird alles gut kein na

gel wird mehr fuerchten

dass ihm ein Hammer den

Kopf einschlaegt denn die Koe

pfe der Naegel werden nicht

rosten und die dor

nen der Rosen wer

den uns streicheln

                              (Aus dem Fernen Klang)