Eine Landpartie zu Kunst und Naturvorstadt

Manche Kunstwerke des Miguel Horn sind weit über das Land hinweg zu sehen. Eine Tour mit ihm durchs Most- und Mühlviertel zu einigen seiner thematisch breit gefächerten Freilichtskulpturen.
Text, Interview & Fotos: Johann Bogenreiter

In Amstetten holte mich Miguel mit seinem Auto vom Bahnhof ab. Unser erstes Ziel: Die Gobelwarte der ÖTK-Sektion Strudengau bietet auf einer Seehöhe von 484 Metern herrliche Rundblicke. Im Norden auf das Hügelland des Mühlviertels, im Süden auf die Ostalpen. Leider ist es an diesem Tag etwas diesig, und so reicht der Blick nicht in die Alpen, sondern nur ins umliegende Bauernland und hinunter auf die Stadt Grein und die Donau.
Neben der Warte hat Miguel Horn auf dem eigentlichen Gipfel der aus einem mächtigen Findling besteht, das Thema Burgen und deren Bewohner_innen abgehandelt. By the way, aber heute nicht auf unserem Weg: In der Stadt Grein sind in der Galerie am Kalvarienberg in Granit gemeißelte Nachrichten zu sehen. Miguel ließ sich dabei von, ebenfalls in Granit, Petroglyphen (hinterlassenen Botschaften) vorchristlicher Kulturen inspirieren.
Als wir die Serpentinen nach Gloxwald – eine kleine Ortschaft, die zur Gemeinde Waldhausen gehört – hinauffahren, um ein weiteres Werk von Miguel im Rahmen der Freiluftgalerie Kunst am Donausteig zu besuchen, berichtet mir Miguel, dass er im Fernsehen einen Bericht über sündteure Kunstwerke in New York und Hongkong gesehen hatte. Diese hohe, eitle Welt, hinter der stets auch ein Marketingkonzept steht, ist nicht die seine. Er möchte mit seiner Kunst nahe an den Menschen einer Region bleiben, sie auch möglichst in den Prozess der Entstehung einbeziehen.

Predigtstuhl im Schmalformat.

Als wir bei einem Bauernhof einparken, deutet in dieser bergigen Landschaft nichts darauf hin, dass wir am Weg über ein weites Feld und eine leichte Anhöhe auf einen Absturz hinsteuern. Das Naturdenkmal Predigtstuhl, eine natürliche Felskanzel im Weinsberger Granit, gipfelt auf 520 Meter Seehöhe und fällt von dort aus steile 300 Meter zur Donau hinunter.
Auf diesem schönen Aussichtsplatz thronen seit dem Herbst 2016 Miguel Horns Felsenreiter, die auf eine Donausage Bezug nehmen: Ein Raubritter stürzt, von Kaiser Maximilians Truppen in die Enge getrieben, mitsamt seinem Pferd in den Abgrund, während Skylla und Charybdis, ursprünglich vielköpfige Meeresungeheuer aus der griechischen Mythologie, nun in der Donau nach allen Seiten beißen und drängen. Der
Donaufürst Poseidon und die Donau-Nymphe mahnen zur Besinnung und der Graue Mönch setzt ein Zeichen des Friedens.
Von unten her beeindruckt der Aufbau des Predigtstuhls, ein Vergleich mit der gleichnamigen mächtigen Felswand im Wilden Kaiser in Tirol würde trotzdem ziemlich hinken. Als wir zum Bauernhof zurückkommen, sehen wir in einem großzügigen Gehege eine Rarität: Hühner mit stolzem Hahn.
Ich frage Miguel, wie der Bauer das Kunstwerk angenommen hat, ob er sich eventuell gestört fühlt. Nein, es gefällt ihm und er hat sogar aus eigenem Antrieb den Parkplatz beim Hof für Besucher_innen vergrößert, berichtet er. Die Beispiele für Kunst im öffentlichen Raum, die mit den Kommunen abgestimmt oder von ihnen in Auftrag gegeben wurden, kommen im Großen und Ganzen gut an und fördern möglicherweise auch den Tourismus in der Region. Sie zeigen jedoch nur eine Seite von Mi­guels Schaffen, in anderen Werken prangert er Fehlentwicklungen, die Zerstörung von Natur und Kulturen an oder ruft historische Tatsachen in Erinnerung, die gerne unter den Teppich gekehrt werden würden. Diese Facetten haben etwa zu heftigen Protesten des Kameradschaftsbundes (ÖKB) anlässlich einer Ausstellung in der Gemeinde Blindenmarkt im Jahr 1997 geführt.
Der Obmann der ÖKB-Ortsgruppe hätte sich, so erzählt Miguel, über eine Figur aus Eisen, die allgemein die Schrecken eines Krieges anklagt, fürchterlich aufgeregt. Schließlich erreichte der Obmann die Demontage der Figur, weil er gedroht hatte, der Kameradschaftsbund würde in Sichtweite dieser Figur keinen Kranz am Kriegerdenkmal niederlegen. Nun hat sie im Garten der Familie Horn einen Platz gefunden. Miguel erzählt dies ungerührt und ohne Groll, ihm ist bewusst, dass er mit kritischen Werken nicht alle Menschen ansprechen kann.

Haus und Garten voller Kunst.

Zu guter Letzt kehre ich beim Haus der Familie Horn ein, wo alle ausgeflogen sind, am Garagenplatz begrüßen mich jedoch große Skulpturen und im Garten sind überall Installationen und Skulpturen aus Eisen und Holz zu sehen. Dazwischen suchen auf der grünen Wiese Hühner nach Futter.
Miguel zeigt mir dann im Obergeschoß sein Atelier, voll mit seinen Werken. Das Prunkstück ist für mich eine riesige, gewundene Figur, herausgearbeitet aus einem dicken Holzstamm. Dabei setzte sich Miguel mit der atomaren Verwüstung des Bikini-Atolls auseinander. Die Inselgruppe im Pazifischen Ozean, nach der der zweiteilige Badeanzug benannt wurde, diente den USA in den 1940er- und 1950er-Jahren als Schauplatz zahlreicher Kernwaffentests. Die meisten Inseln sind wegen der hohen Strahlung bis heute unbewohnbar.

 

Interview: «Zufällig im Mostviertel gelandet»

Deine Lebensgeschichte mit so vielen Stationen in sehr unterschiedlichen Ländern in Europa, Nord- und Südamerika ist mehr als erstaunlich. Welche persönlichen und künstlerischen Erfahrungen an diesen Orten haben dich nachhaltig geprägt, und gibt es einen, der da besonders hervorsticht?

Hervorheben möchte ich eigentlich kein Land, es ist die Vielfalt, die mich immer in den Bann gezogen hat. Es war auch kein künstlerischer Impuls dahinter, zum Globetrotter zu werden, sondern einfach die Lust an Neuem, Unbekannten und mein Interesse an den Menschen, Kulturen und Skulpturen. Neben Deutsch und Spanisch, die für mich praktisch Mutter- und Vatersprache zugleich sind, spreche ich Englisch, Französisch und auch etwas Italienisch. Dabei konnte ich immer auf die Unterstützung der Menschen vor Ort vertrauen, die mir geholfen haben, die jeweilige Sprache zu lernen. Mich ärgert immer, wenn nun in Österreich mit so großer Vehemenz von Migrant_innen gefordert wird, Deutsch zu lernen, aber die wenigsten bereit sind, ihnen dabei zu helfen.

Deine frühe Kindheit hast du in der südchilenischen Stadt Osorno verbracht. Ich habe beim Wort Osorno sofort den erhabenen, schneeweißen Vulkankegel vor Augen. Strahlt dieser Berg nicht nur wegen der Schönheit, sondern auch wegen der latenten Ausbruchsgefahr ein besonderes Lebensgefühl aus?

Der Osorno wird einfach als sehr schöner und markanter Berg gesehen, die Ausbruchsgefahr ist unter den Einheimischen kein Thema, oder sie wird verdrängt. Der landschaftlich sehr schöne, aber auch karge Süden Chiles vermittelt ein Gefühl – mit den schier unüberwindlichen Anden im Rücken –, abgeschieden am Ende der Welt zu sein.

Wie hast du mit deiner Familie als «Zuagroaste» die ersten Jahre in der neuen Heimat Mostviertel erlebt, und warum seid ihr ausgerechnet dort sesshaft geworden?

Die Entscheidung für das Mostviertel war mehr oder weniger dem Zufall geschuldet. Ich habe im Zuge eines Kunstprojekts im Südosten Niederösterreichs meine zukünftige Frau kennengelernt. Wir haben nach einem für uns erschwinglichen Haus gesucht und sind eben in Neuhofen an der Ybbs fündig geworden.

Du besuchst Chile, wo du groß geworden bist, häufig, erst kürzlich warst du dort wieder auf Besuch. Wenn zwei Mittelpunkte deines Lebens so weit auseinanderliegen, ist eine Entscheidung für das eine oder andere wohl besonders schwer.

Das hat sich für mich im Lauf der Zeit relativiert. Heimweh nach Chile verspüre ich nicht mehr, aber ich fühle mich mit den Menschen dort noch immer verbunden. Es leben noch drei Brüder dort, einer ist Priester, einer hat die Solartechnologie ins Land gebracht, und der dritte ist Chemiker. Hier in Österreich fühle ich mich nun mehr zuhause, ich verstehe mich aber in erster Linie als Weltbürger.
Auf persönlicher Ebene wird es für dich und deine Frau wohl eine Freude sein, künstlerische Kreativität weitervererbt zu haben.
Meine Frau und ich haben keinen Druck über die Gestaltung des Lebensweges unserer Kinder auferlegt. Sigrid (Gewinnerin des Protestsongcontest 2019) ist auf einem guten Weg, den sie unbeirrt geht.
Bei Sigrids Liedern ist mir aufgefallen, wie vielschichtig und tiefschürfend sie sich mit der Region und ihren Menschen auseinandersetzt.
Sie wurde ja im Mostviertel geboren und hat von Anfang an vieles aufgeschnappt und es dann in ihren Liedern verarbeitet.

 

Miguel Horn wurde als sechstes Kind des Bildhauers Peter Horn und der Malerin Josefine Horn-Feja 1949 in Passau geboren und wuchs ab 1950 in Chile auf, wo sein Vater bereits vor dem Krieg eine Existenz in Osorno aufgebaut hatte. Wegen Heimweh von Josefine kehrte die Familie ausgerechnet im Jahr 1939 zurück, ohne zu ahnen, dass Hitler bereits Vorbereitungen für den Zweiten Weltkrieg getroffen hatte – Peter wurde umgehend eingezogen. Nach dem Krieg lebte die Familie vorerst in Passau, wo auch Miguel geboren wurde, dann im Innviertel. Der Vater von Miguel versuchte, vor allem mit Freskenmalerei ein Auslangen zu finden. Anfang der 1950er-Jahre kehrte die Familie wieder nach Chile zurück. 1971 brach Miguel Horn Richtung Europa auf, streute aber zwischendurch Aufenthalte in den USA, Mexiko und Brasilien ein, bis er sich mit seiner Frau in den frühen 1980er-Jahren in Neuhofen/Ybbs niederließ.

Die Langversion und weitere Fotos sind im folgenden Blog, in der Rubrik Solidarisches Tagebuch, zu finden: www.solidarische-abenteuer.at