Eine Reise in die VergangenheitDichter Innenteil

Die Abenteuer des Herrn Hüseyin (Juli 2020)

Vor einiger Zeit bekam Hüseyin eine Nachricht via WhatsApp. Eine dem Hüseyin nicht bekannte Person fragt ihn, ob er den Hidir kennt, der früher bei der Firma Mayreder gearbeitet hat. Hüseyin schreibt zurück und möchte den Namen des Schreibenden wissen. Er schreibt zurück. Es ist der Kemal, den Herr Hüseyin im ersten Jahr seines In-Österreich-Seins kennengelernt hat. Kemals Vater arbeitete auch bei der gleichen Firma. Er kam 1971 nach Österreich. Nach einiger Zeit bringt er seine Familie mit, im Gegensatz zu den anderen Gastarbeitern. Neben seiner Tätigkeit als Bauarbeiter in der Nähe der Baufirma bekommt er noch einen Hausmeisterposten. Die zwei Kinder, Frau und Vater wohnen in dieser kleinen Wohnung, in der es keine Duschmöglichkeiten gibt. An den Wochenenden brachte er den kleinen blonden Kemal zu den Baracken, um sich und ihn zu waschen. Es gab einige Duschen dort. So lernt der Hüseyin den kleinen Kemal kennen. Hüseyin ist selber 16 Jahre alt. Kemal ist 6 Jahre. Hüseyin besuchte auch den Kemal und die ein Jahr jüngere Dilek in der kleinen Hausmeisterwohnung im 21. Bezirk. Nachdem Hüseyin die Firma verlässt, hat er keinen Kontakt mehr zu dem kleinen Kerl Kemal.
Der Vater von Kemal besucht die Ausstellung im Haus der Geschichte **100 Jahre österreichische Geschichte**. Dort sieht er den Videofilm und Fotografien von Herrn Hüseyin, die er von den Arbeitern in den Baracken gemacht hat. Davon erzählt er seinem Sohn Kemal. Und Kemal findet übers Internet die Telefonnummer von Herrn Hüseyin. Nachdem Kemal über WhatsApp seinen Namen genannt hat und wessen Sohn er ist, weiß Herr Hüseyin, um wen es sich handelt. Den Kemal hat der Herr Hüseyin seit 39 Jahren nicht gesehen. Herr Hüseyin bekommt die Telefonnummer von Kemals Vater. Kemal hat die HTL für Nachrichtentechnik gemacht und die kleine Dilek hat Wirtschaft und Rechtswissenschaften studiert. Der Kemal war auch als österreichischer Soldat im Nahen Osten lange Zeit unterwegs. Sie machen sich etwas aus. Hüseyin trifft den Kemal und seinen Vater in dessen Wohnung in Floridsdorf. Hüseyin ist nervös, aber auch neugierig, wie denn der kleine blonde Kemal heute ausschaut. Der Hüseyin ist pünktlich beim Vater Kemals. Der Arbeiter aus der Türkei ist in Wien geblieben. Seine Frau ist vor neun Jahren gestorben. Obwohl er wie viele andere Gastarbeiter auch in seiner alten Heimat ein Haus gebaut hat, bleibt er hier. Seine Tochter hat drei Kinder.

Nach einer Viertelstunde kommt der Kemal auch. Von dem blonden Kemal ist nichts übrig geblieben. Er hat genau so wenig Haare am Haupt wie Hüseyin. Kemal ist noch nicht verheiratet, obwohl er 46 Jahre alt ist. Sie reden über die Arbeitskollegen von der Baufirma, die sie kennen. Kemals Vater ist informierter über die ehemaligen Arbeitskollegen als der Hüseyin. Viele sind gestorben. Die Fotoalben kommen auf den Tisch. Sie schauen sich gemeinsam Fotografien aus den 70er Jahren an. Hüseyin weiß, welche Fotos sein Vater gemacht hat. Es sind die Posen, aber auch die Kulissen. Ähnliche Fotos hat er schließlich auch immer nach Hause geschickt.

Die Tochter ist auch mit ihnen via Videotelefonie verbunden. Sie würde den Hüseyin nicht erkennen, weil er auch viele Haare verloren hat. Kemals Vater hat für den Hüseyin Speisen vorbereitet. Bevor sie sich an den Tisch setzen, kramt er einen Koffer hervor, aus dem er einen alten Fotoapparat herausnimmt. «Den Fotoapparat hat dein Vater mir im Jahre 1971 verkauft!» Er hatte auch in den 70er Jahren wie Hüseyins Vater als Gastarbeiter-Fotograf in seiner Freizeit gearbeitet. Nach dreieinhalb Stunden verabschiedet sich Hüseyin. Hüseyin macht an diesem Wochenende eine Reise in seine Vergangenheit. Die kleine Dilek ist kein kleines verwöhntes, verspieltes Kind mehr und Kemal ist ein Herr geworden, der die Bundespräsidenten Klestil und Fischer kennengelernt hat. Herr Hüseyin ruft seinen Vater in der Türkei an, er gibt das handy an Kemals Vater weiter und diese beiden alten Herren hören sich das erste Mal nach 25 Jahren.

 

Herr Hüseyin wünscht Ihnen gesunde Tage!