Nackt und ohne Geld – eine kleine Geschichte der sommerlichen Erfrischung
Wien, Stadt der Bäder. Diesen Ruf hat sich die Donaumetropole mit der Eröffnung des Gänsehäufels 1907 und den zahlreichen Hallen- und Freibädern des Roten Wiens erwirkt. Das wilde Baden, stellt Anton Tantner fest, kam dennoch nie aus der Mode – und wird angesichts steigender Eintrittspreise wohl auch nicht so schnell verschwinden.
Illustration: Nanna Prieler
Für das Badevergnügen in Wien brauchte es in der Neuzeit über viele Jahrhunderte hindurch keine eigenen Anstalten, gab es doch ohnehin genügend dafür geeignete Plätze an der noch unregulierten Donau. Vor allem die männliche und weibliche Jugend floh vor der Sommerhitze in die Aulandschaften nördlich der Stadt, wo der Fluss dahinmäanderte, dass es eine Freude war.
Nackerte: ein irrer Fürwitz
Im Wasser plantschten die meisten nackt, eigene Badekleidung war damals höchstens in den Adel und Bürgertum vorbehaltenen Thermalbädern üblich. Mit der stärker werdenden Gegenreformation geriet dieses freizügige Treiben ins Visier der Obrigkeit, die mit Verboten gegen derlei wildes Baden vorzugehen versuchte: So wurde im ersten für Wien bekannten Badeverbot aus dem Jahr 1633 der «irre Fürwitz» der «jungen Leute» gegeißelt, die durch «den gerechten Zorn Gottes» oft in der Donau ertrinken würden. Spätere Badeverbote drohten Zuwiderhandelnden mit Geldstrafen, manchmal gar mit Zuchthaus und Prügeln. All dies nützte jedoch wenig, weiter badeten «Leute beederley Geschlechts» in der Donau, ganz gleich ob dies in der Spittelau, in der Rossau oder an den Weißgerberlände war, selbst im Wienfluss «fast mitten zwischen denen Häusern» – kurz: es war ein einziges «Ärgernis».
Badeschiffe für Arme und Reiche
Mit Verboten war dem ungezügelten Baden nicht beizukommen, und als mit zunehmender Naturschwärmerei und neuen Hygienevorstellungen das Schwimmen in der freien Natur auch bei den oberen Klassen der Gesellschaft einen besseren Ruf bekam, wurden ab dem 18. Jahrhundert Donaubäder eingerichtet, die strenger obrigkeitlicher Kontrolle unterworfen waren. Das 1781 unweit des hinteren Ausgangs vom Augarten durch den Stadtarzt Pascal Joseph Ferro angelegte Badeschiff war für den Großteil der Bevölkerung allerdings nicht leistbar, kostete der Eintritt mit 40 Kreuzern doch mehr als zwei durchschnittliche Tageslöhne; in den 1790er Jahren verlor es an Attraktivität und musste geschlossen werden.
1799 wurden an derselben Stelle zwei öffentlich finanzierte Badeschiffe errichtet, eines für Männer, das andere für Frauen. Der Eintritt war gratis, auch Handtücher wurden ohne Entgelt zur Verfügung gestellt, weswegen für das neue Angebot auch die schon zeitgenössisch als despektierlich wahrgenommene Bezeichnung «Armenbäder» verwendet wurde. Bis zu 150 männliche und 50 weibliche Badende konnten sich dort vor Blicken der Außenwelt abgeschottet im Donauwasser tummeln, wobei richtiges Schwimmen in den ins Wasser eingelassenen Badekörben nicht möglich war. 1829 wurden noch zwei weitere derartige Floßschiffe am Donaukanal zwischen Leopoldstadt und Brigittenau verankert.
Ein regelrechtes Strandbad wurde in der Nähe der «Armenbäder» im Jahr 1810 eröffnet: Als «Frey-Bad» bezeichnet und öffentlich finanziert, war es ebenfalls gratis zu benützen, allerdings nur Männern vorbehalten. Zusätzlich wurde – nachdem viele Soldaten im Krieg von 1809 wegen mangelnder Schwimmkenntnisse in der Donau ertrunken waren – 1813 eine eigene k. k. Militärschwimmschule gegründet, finanziert mittels einer Aktiengesellschaft. In ihr konnten auch Zivilisten gegen Bezahlung Schwimmen lernen, am Wochenende war die Anstalt zusätzlich für Frauen geöffnet, als Begleitung wohlgemerkt, nicht als Schwimmerinnen; erst ab 1831 sollte begüterten Frauen die von Elisabeth Wiener begründete Damenschwimmschule des Ferdinand- und Marienbads zur Verfügung stehen, der später noch eine davon getrennte Männerabteilung angeschlossen wurde.
Badehosenzwang
Für all diese Anstalten – ab 1827 kamen mehrere privat geführte Flussbäder dazu – galt der «Zwang zur Badehose», wie dies der Wiener Historiker Ernst Gerhard Eder bezeichnete. Schamgefühl und Ekel vor Nacktheit wurden auch mittels sozialpolitischer Maßnahmen propagiert, im «Frey-Bad» etwa wurden Badehosen – damals zumeist aus Leinen, im fortschreitenden 19. Jahrhunderts zählten dann auch Trikots zur männlichen Badekleidung – gratis verliehen.
Das wilde, teils gefährliche Baden konnte allerdings durch solche Maßnahmen nicht vollständig zurückgedrängt werden, auch nicht, als weitere, zunächst nach Geschlechtern getrennte Donaubäder kommunal oder privat geführt eröffnet wurden. Die mehrmalige Erhöhung der Eintrittspreise für städtische Bäder in den letzten Jahren (1995, 2003, 2007, 2009 und zuletzt 2014) wird dazu beitragen, dass das Baden ohne obrigkeitliche Aufsicht nicht ausstirbt.