eingSCHENKt: Kein Sprungbrett, eine Armutsfalletun & lassen

«Wer sein Leben lang gearbeitet hat, der hat nichts zu befürchten», heißt es in der Debatte um Notstandshilfe und Mindestsicherung immer. Jemand, der Mitte 30 ist, gerade eine Familie gegründet hat, schon? Was bedeuten die Vorhaben der Regierung, den Arbeitslosengeldbezug bei Krankheit nicht zu verlängern, die Notstandshilfe abzuschaffen und die Mindestsich- erung zu kürzen?

Besonders trifft das ältere Arbeitnehmer_innen, Personen mit gesundheitlichen Problemen jeglichen Alters, also Leute, die es jetzt schon sehr schwer haben. Die Abschaffung der Notstandshilfe bedeutet auch, dass es keine Zahlungen in die Pensionsversicherung mehr gibt. Das würde die Zahl der Personen in sozialer Not massiv erhöhen. 160.000 Menschen werden in die Einkommensarmut fallen, so die Studie des Europäischen Zentrums für Sozialforschung. 121.000 Arbeitslose erhalten im neuen System keinerlei Leistungen mehr, analysiert das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo. 37.000 davon wären Menschen mit einer Behinderung. 48 Prozent der behinderten Arbeitslosen würden damit keine Leistung mehr erhalten. Aus der Versicherungsleistung herausfallen würden zudem auch 6000 Jugendliche und 61.000 Personen, die nur einen Pflichtschulabschluss haben.

Alle diese Vorschläge führen dazu, dass soziale Unsicherheit bis weit in die unteren Mittelschichten hochgetrieben wird. Die Umwandlung einer Versicherungsleistung in eine Fürsorgeleistung mit weniger Rechten – das ist Hartz IV. Die Elemente im Regierungsprogramm sind dieselben: keine Statussicherung, sondern Bedürftigkeitsprüfung, Zugriff auf Erspartes, keine Pensionszeiten mehr, Einkommensverlust, keine Aktion 20000 für ältere Arbeitnehmer, stattdessen Ein-Euro-Jobs mit Zwangscharakter, Kürzung in der Mindestsicherung und die Nicht-Verlängerung des Arbeitslosengeldes im Krankheitsfall. Eine Fürsorgeleistung ist auch immer stärker mit Stigmatisierung und Abwertung verbunden. Soziale Rechte haben viel mit Würde zu tun.

Der Aufbau der ersten Sozialversicherungssysteme Ende der 1880er-Jahre setzte den Beginn hin zu einer aktiven Sozialpolitik, während gleichzeitig das «Armenwesen» in seinem rechtlosen Almosencharakter verblieb. Diese «Dualisierung sozialer Sicherheit» spaltete sich auf in eine disziplinierende Armutspolitik und eine mit Rechtsanspruch begründete Arbeiterpolitik. Hier die Sicherung jener Lebensrisken, die über Lohnarbeit beziehungsweise Erwerbsarbeit mit Rechtsanspruch und Sozialversicherung abgefedert werden, dort die Absicherung übriger Risken in lediglich rudimentärer und abweisender Form. Diese Spaltung schlägt bis heute durch.

In Deutschland hat sich die Zahl der Menschen, die arbeiten und trotzdem arm sind, seit 2005 verdoppelt. Der Anteil an absturzgefährdeten Arbeitslosen ist einer der höchsten in Europa.

Deutschland hatte in den letzten zehn Jahren den raschest wachsenden Niedriglohnsektor Europas. Das übte starken Druck auf die gesamte Lohnentwicklung aus. Die Konsequenz: Die Löhne stiegen nicht angemessen und bleiben weit unter der Produktivität wie auch der Inflation. Das hat dazu geführt, dass sich immer weniger Menschen das Leben leisten können. Das Versprechen war ja, dass über diese Billigjobs der Sprung in den Arbeitsmarkt gelingen würde. Aber alle internationalen Studien zeigen, dass das kein Sprungbrett, sondern eine Armutsfalle geworden ist.


Martin Schenk


www.sosnotstandshilfe.at