Einstiegsdroge in die angewandte Silologievorstadt

AUGUSTIN-Leser_innen mit langem Gedächtnis ist das leider immer noch nicht an Universitäten gelehrte Forschungsgebiet der «Angewandten Silologie» in guter Erinnerung: Dabei handelt es sich um die Untersuchung ästhetischer und landschaftsbildnerischer Fragen im Zusammenhang mit ländlichen Speicherbauten, Schöpfer dieses wenn schon nicht eines Nobel- Preises, dann zumindest eines Österreichischen Kunstpreises würdigen Wissensfelds ist niemand anderer als der Herr Groll des Erwin Riess (siehe etwa AUGUSTIN Nr. 260), der schon in den 1990er-Jahren damit begann, die durch niederösterreichische Flurbereinigungsprogramme sowie päpstliche Enzykliken von Schleifung gefährdeten Silos des Marchfelds penibel zu dokumentieren.

Kathedralen der Lagerhaltung. Noch schmücken aber diese zuweilen heftig angefeindeten Kathedralen der Lagerhaltung nicht nur die Weiten des Marchfelds, sondern gereichen auch dem Waldviertel zur Zierde. Wer dort eine Einstiegsdroge in die Welt der hochgezogenen Betontürme sucht, der und dem sei das in Waidhofen an der Thaya befindliche Silomuseum wärmstens empfohlen.
Gewiss, dessen Name verspricht mehr, als der unter dem Dach eines 52 Meter hohen Silos befindliche Ausstellungsraum einlöst, denn wer von diesem Silomuseum eine Darstellung der Geschichte der Getreidespeicherung und der dafür errichteten Bauten erwartet, wird enttäuscht.
Keine Modelle des seligen Henninger-Turms zu Frankfurt am Main (2013 abgerissen, er war an der Gebäudeoberkante gemessen 120 Meter hoch) oder des Silos Schapfenmühle in Ulm (116 Meter) sind zu bestaunen, keine Dokumentation der kontroversen Debatten um den zu Zürich 2015 zum weltweit höchsten Kornspeicher aufgestockten Swissmill Tower («118 Meter Hässlichkeit», «grauer, fensterloser Betonklotz», «Fremdkörper im Stadtbild» so die ignoranten Banaus_innen, «Campanile an der Limmat» und «schlankes Symbol der elementaren Brotproduktion», so die wahren Feinspitze und Liebhaber_innen brutalistischer Architektur), keine Einführungen in die Technik der Gleitschalungsbauweise, die ab den 1960er-Jahren Gebäude dieser Höhe erst kostengünstig errichten ließ, erwartet die Besucher_innen und auch keine Abhandlungen über die ab dem 19. Jahrhundert sich einer ausgeklügelten Kombination von Eisenbahn, Telegraph, Börse, Lagerhaltung und Terminkontrakten («Futures») bedienende
Getreidespekulation.

Highlight Blutwurstfüller. Auch die Umgestaltung einstiger Silos in hippe Kunstmuseenund Luxushotels – so geschehen im Fall des gigantischen Grain Silo in Kapstadt – wird in Waidhofen nicht thematisiert, ausgestellt werden stattdessen ausrangierte landwirtschaftliche Geräte: Von der Decke baumelt ein blau gestrichener Kuhleiterwagen, an den Wänden hängen Brotschaufeln, Pferdehalfter und Flachsstriegel, in den Regalen stehen ein Gugelhupftopf sowie Schmalz- und Butterfässer, Petroleumlampen und sogenannte «Mohnnaben», die der Mohngewinnung dienen. Spinnräder haben hier ihren Unterschlupf gefunden, des Weiteren Krämerwaagen, Melkschemel, Mistgabeln und eine Wäschepresse. Mein persönliches Highlight ist ein Blutwurstfüller (Provenienz: Strohmayer Walter aus der Ortschaft Thaya), dessen sich die Künstler_ innengruppe monochrom wohl gern für ihre Eigenblutwurst-Performance bedient hätte.
Eine Besichtigung der sonstigen Räumlichkeiten des 1962 bis 1964 errichteten Waidhofner Silos ist leider nicht gestattet, dafür führt der kundige Mitarbeiter des Lagerhauses die Besucher_innen auf das Dach des Betonkubus, von wo aus sich ein prächtiger Ausblick auf das Thayatal mit seinen Karpfenteichen, Industriebetrieben, Heizkraftwerken und Einkaufszentren eröffnet. 3500 Tonnen Getreide kann der Silo speichern, angeliefert wird es von den Bauern der Umgebung mit ihren Gefährten, der Abtransport erfolgt per LKW, da die angeschlossene Eisenbahnstrecke weitgehend aufgelassen und auf einem Abschnitt zu einem Radweg umgestaltet wurde.

Tiefer in den Silo eindringen. Wer nun nach diesem ersten Hineinschnuppern in die Welt der Getreidespeicher das Gebiet der Silologie weiter erkunden möchte, kann sich zum Glück online leicht einen Überblick verschaffen: Denn, als hätte es den Ruf des Herrn Groll erhört, unterstützte das österreichische Bundeskanzleramt in den letzten Jahren das Projekt SiloArchiv.org, das 200 Silos in Niederösterreich und Umgebung verzeichnet. Wer noch tiefer in die Materie eindringen möchte, dem und der seien die Schriften der Schweizer Logistik-Historikerin Monika Dommann empfohlen: Viele Jahre schon erforscht sie die Getreidespeicherung und die damit zusammenhängende Infrastruktur (wussten Sie etwa, dass Bertolt Brecht sich am Sujet der Getreidespekulation die Zähne ausbiss und sein Stück Jae Fleischhacker in Chikago von 1926 Fragment blieb, bevor er sich dann dem Studium des Marxismus zuwandte?), eine umfassende Studie ist unter dem Titel Materialfluss für Herbst als Fischer Taschenbuch angekündigt.

Silomuseum
Raiffeisenstraße 14, 3830 Waidhofen/Thaya
Eintritt frei, Voranmeldung unter (0 28 42) 52 535