Das nackte Leben spezial:
Mehmet Emir ist Sozialarbeiter beim Augustin. Daneben beschäftigt er sich intensiv mit der Kunst des Fotografierens. Von seinen Heimatbesuchen im kurdischen Teil der Türkei kehrt er immer mit Fotoserien zurück darunter auch Dokumentationen von Hochzeitsfesten.Die Hochzeiten in meinem Dorf sind auch nicht mehr Hochzeiten wie früher! Der Schlussakt endete mit einem Musikstück der spanischen Gruppe Gipsy Kings!
Der Bräutigam und viele aus dem Dorf fuhren mit Kleinbussen und einem BMW mit Tübinger Kennzeichen 160 Kilometer weit weg, um die Braut ins Dorf zu holen. Früher holte man die Braut mit Davul und Zurna (= Schalmei). Davul ist eine große Trommel, die auch in der Janitscharenmusik anzutreffen ist. Aber die Mutter der Braut wollte unbedingt eine Musikkapelle haben. Obwohl die Brautmutter auch aus dem gleichen Dorf ist. Die Zeiten haben sich geändert. Früher dauerten die Hochzeiten drei Tage lang. Diese Hochzeit dauerte nur noch sechs Stunden. Und an allen Ecken und Enden wurde gespart.
Es waren über 600 Gäste anwesend. Neun Schafe wurden geschlachtet. Es saßen immer 20 Personen an der Tafel. Anfangs nur Männer, mit der Zeit wurden es gemischte Gruppen: junge Frauen, alte Männer, Kinder. Es tanzten hauptsächlich junge Menschen. Die älteren Frauen saßen wie bei vielen anderen Hochzeitsfesten am Rande und beobachteten, ob sich etwas Interessantes ergeben würde und sprachen darüber.
Viele Autos parkten auf dem knapp bemessenen Dorfplatz Autos von Gastarbeitern, die aus Frankreich und Deutschland in den kurdischen Teil der Türkei gereist waren! Wenn man sich dort mit solch tollen Schlitten präsentiert, bekommt man Pluspunkte. Ich erhielt keine, denn ich fahre keine deutsche Edelmarke! An dieser Stelle muss erwähnt werden: Benzin und Diesel sind in der Türkei sehr teuer!
Gegen 23 Uhr erhielten die Braut und der Bräutigam die Geschenke. Über ein Mikrofon sind als Erste die Verwandten gebeten worden, der Reihe nach der Braut ihre Geschenke zu überreichen. Die Geschenke bestehen nur noch aus Geld und Gold!
Früher wurden hauptsächlich Schafe, Ziegen, Zucker, Butter usw. überreicht.
Jetzt wissen alle, wer wie viel Geld dem Brautpaar schenkt, oder wie viel Gold! Der Höhepunkt des Feierns war ein Tanzstück keines von Johann Strauß, sondern von den Gipys Kings!
Das erste Mal, dass mich eine Hochzeitsfeier in meiner Heimat so schockieren konnte. Mir wurden die großen Veränderungen bewusst, vorher idealisierte ich die Zustände über Jahrzehnte hinweg! Ich sehne mich in Phasen, in denen ich mich mit meinem Jetzt nicht zurecht finde, nach den alten Zuständen ich wünschte, in diese Vergangenheit flüchten zu können!