Die Kennzeichenpflicht für Fahrräder wäre aus bürokratischer Sicht Humbug, sie eignet sich einzig für populistische Antritte. Anton Tantner (Text und Foto) zeichnet eine kurze Geschichte des Nummerntaferls für Drahtesel nach.
Alle paar Jahre wieder poppt die Debatte um die Einführung einer Kennzeichenpflicht für Fahrräder auf, kürzlich etwa in Hamburg, wo ein CDU-Verkehrspolitiker derlei Nummernschilder forderte, um den «Kontrolldruck» auf unbotmäßige Radler_innen zu erhöhen. Wien erlebte eine solche Diskussion zuletzt im Sommer 2012, als der damalige Bürgermeister Michael Häupl in einem Interview zu Protokoll gab, über die bislang nur von FPÖ-Vertreter_innen erhobene Forderung zumindest nachdenken zu wollen.
Die Argumente gegen Nummernschilder – erheblicher bürokratischer Verwaltungsaufwand bei wenig praktischem Nutzen, in anderen Ländern wie beispielsweise der Schweiz deswegen auch abgeschafft – werden bei solchen Anlässen von den einschlägigen Organisationen der Radler_innen geduldig wiederholt, doch wer weiß, vielleicht wird die Debatte um sichtbare Kennzeichen in einer gar nicht so fernen, dystopischen Zukunft ohnehin so obsolet anmuten wie Telefonzellen, Festanstellungen oder Audiokassetten: dann nämlich, wenn die Herrschaftsträume von Überwachungsfreaks und Werbeindustrie wahr werden und nicht nur jedes Rad, sondern auch jede_r Fahrer_in elektronisch verfolgbar ist und subkutane Sensoren in Echtzeit Geschwindigkeit, Blutalkoholspiegel und StVO-widriges Fahrverhalten an Polizei und Gesundheitsbehörden weiterleiten, automatische Abbuchung etwaiger Strafgelder vom Bankkonto sowie Abzug von Sozialkreditpunkten inklusive.
Solange es noch nicht so weit ist, bringt der Blick auf vergangene Versuche, Nummern für Fahrräder in Wien einzuführen, immerhin eine tröstliche Erkenntnis: Nicht jede einmal etablierte Überwachungs- und Kotrollmaßnahme ist unwiderruflich, manchmal werden diese – auch auf Grund von Widerstand der Betroffenen – wieder aufgehoben.
1894: Ein gelbes Ei als Kennzeichen.
Die früheste, 1885 für Wien erlassene Fahrradordnung machte nicht nur Fahrprüfungen sowie Fahrerlaubnisscheine verpflichtend, sondern verlangte auch, die Nummer des Erlaubnisscheins am Rad sichtbar anzubringen. Neun Jahre später wurden diese Bestimmungen präzisiert: Wer auch immer mit dem Rad öffentliche Straßen zu benutzen beabsichtigte, brauchte ein von der Polizei ausgegebenes Kennzeichen, ein eiförmiges, gelb lackiertes Täfelchen, auf dem die Nummer in schwarzer Farbe angebracht war und das auf der linken Seite der Lenkstange befestigt werden musste.
Diese Regelung von 1894 wurde anfangs noch als äußerst liberal begrüßt, war Radfahren doch auf den meisten öffentlichen Straßen bis dahin verboten gewesen; mit der Zeit stieß sie jedoch zunehmend auf Kritik, vor allem wegen der mit der Registrierungspflicht verbundenen Abgabe: «Fort mit dem Nummernzwang und der Radfahrersteuer!», lautete in den nächsten Jahren die Parole – nicht nur in Wien, sondern in vielen weiteren Städten der Monarchie, wo derlei Bestimmungen in ähnlicher Form gültig waren.
Massenprotest der Bicyclist_innen.
Die 1890er-Jahre waren somit die Zeit beeindruckender Protestversammlungen, an denen zunehmend auch proletarische Radler_innen teilnahmen – die Arbeiter-Zeitung etwa rief im Februar 1897 mit der Losung «Radfahrer Wiens, heraus!» zur Frequentierung einer solchen Veranstaltung auf; als Redner war dort kein anderer als der überaus populäre, später ermordete sozialdemokratische Politiker Franz Schuhmeier in seiner Funktion als Obmann des Ersten Niederösterreichischen Radfahrerklubs angekündigt.
Der mancherorts von Demonstrationen begleitete Protest hatte Erfolg, 1897 wurden nicht nur die Straßen Wiens allgemein zur Benutzung durch Radfahrer_innen freigegeben, sondern auch die verhassten Kennzeichen abgeschafft.
Der Kampf des Austrofaschismus.
In den folgenden Jahrzehnten konnten die «bicycles» und «velocipeds» ohne polizeiliche Nummern herumfahren, vorbei war es mit dieser Freiheit erst wieder mit dem Austrofaschismus: Ab 1934 wurden in österreichischen Gemeinden wieder Fahrradkennzeichen eingeführt, beginnend mit Juni 1937 auch in Wien. Diese Erfassungsaktion war nicht mal notdürftig als Maßnahme der Verkehrssicherheit getarnt, sondern diente als reine Geldbeschaffungsaktion; unter der neu eingeführten «Fahrradabgabe» hatten insbesondere Arme und Arbeitslose zu leiden.
Die entsprechenden «Abgabekennzeichen» waren an der Achse des Vorderrads zu befestigen, es wundert nicht, dass sie bei den Wiener_innen äußerst unpopulär waren. Somit war es ein kluger Schachzug der eben erst etablierten NS-Diktatur, als nur wenige Tage nach dem «Anschluss» im März 1938 Fahrradabgabe und Nummernschilder abgeschafft wurden.
Nach der Befreiung vom Faschismus erlebten Fahrradkennzeichen in Wien ab Oktober 1945 ein kurzes, zwei Jahre dauerndes Revival, als die Polizei eine Registrierung aller Räder anordnete. In einem viersprachigen Ausweis wurden unter anderem die Marke des Rads, Rahmennummer, seine Farbe sowie allfällige besondere Merkmale eingetragen, das Nummernschild war auf der linken Seite der Vorderradnabe zu befestigen. Im Oktober 1947 war Schluss mit dieser Kennzeichenpflicht, seither fahren die Räder ohne Nummern und trotzen polizeilichen «Schwerpunkt-Aktionen», veralteten Gesetzen sowie einer immer noch auf die Bedürfnisse der CO2-Lobby ausgerichteten Verkehrspolitik.
Bild: Während das Technische Museum Wien in seiner Fahrradsammlung keine Kennzeichen aufweist, finden sich im Fahrradmuseum in Retz unter anderem Kennzeichen von 1945.