Freistil zurück am Heumarktvorstadt

Die Ice Freestyler Allstars bringen ungewohnte Bewegungen in den altehrwürdigen Eislauf-Verein. Wie sieht das aus?

TEXT: HANNES GAISBERGER
FOTOS: CAROLINA FRANK

Wer will sie zählen, die Sportarten, die schon alle am Heumarkt ausgeübt worden sind? Boxen, Ringen, Tennis, Catchen, Beachvolleyball. Und das ist nur die Nebensaison! Im Winter verwandelt sich das Areal zwischen Stadtpark und Konzerthaus alljährlich in einen sehr großen und sehr schönen Freilufteislaufplatz. Zu Walzer- und Hitparadenklängen gleiten die Fortgeschrittenen ihre Runden mitten in der Stadt, während Neulinge und Kinder hauptsächlich versuchen, sich auf den Beinen zu halten. Große Schautafeln erinnern an die Zeiten, als der Eislauf-­Verein ­internationale Erfolge in Serie eingefahren hat. Der ­letzte große ­Triumph – der Europameis­tertitel im Eiskunstlauf von Claudia ­Kristofics-Binder – liegt nun auch schon 40 Jahre zurück. Im Eishockey wurde man gar vor 60 Jahren zuletzt Meister. Mit den historischen Gebäuden ringsherum und der glorreichen sportlichen Vergangenheit muss man natürlich aufpassen, dass es nicht zu altehrwürdig und nostalgisch wird, dass man auch für die Jungen interessant bleibt.
In diese Bresche springen nun die Ice Freestyler, und das im wahrsten Sinn des Wortes. Will man sie von den anderen Eislaufenden unterscheiden, so fällt das nicht schwer. Von der zu dem harmonischen Liedgut mäandernden ­Masse ­heben sich Tomas und seine Crew durch Sprünge, Handstände, Breakdance-Tricks und gewagte Schrittfolgen ab. Ihr Treiben hat schon etwas Eigenbrötlerisches, wenn sie mit Kopfhörern im Ohr einen anderen Sport zu anderer Musik machen. Nach einem besonders spektakulären Trick von Tomas stürmen gerade vorbeifahrende Kinder begeistert auf ihn zu. Man sieht, der neue Freistil kommt gut an auf dem Heumarkt.

Ein Sport für alle – im Prinzip.

Der europäische Ursprung des Ice Freestyle soll, ­belegt durch erste öffentliche Veranstaltungen, im Karlsruhe des Jahres 2006 liegen. Heute gibt es – vor allem in Mitteleuropa – über 100 Vereine, die den noch jungen Sport betreiben. Und er besteht aus tausenden Elementen, die mittlerweile definiert worden sind. Man spricht grundsätzlich von Footwork und Jumps, dann franst das gewaltig aus mit all den Flips, Stops und Spins. Wir werden hier nicht zu genau darauf eingehen.
Tomas Kunovjanek ist großgewachsen und athletisch, aber kein aggressiver Typ. Wenn er in seine Musik und ­seine Schrittfolgen und Moves versinkt, wirkt das kreativ und verspielt. Man merkt gleich, hier hat einer seinen Sport ­gefunden. Am Tag des Interviews ist er allein auf dem Platz, die anderen Allstars sind «außer Gefecht». Kein Wunder, bei manchen Tricks gleiten sie wie bei einem Torjubel über das Eis und müssen dann ja ganz nasse Hosen haben. Da ist man wohl dauernd verkühlt? «Nein, überhaupt nicht», näselt Tomas durch seine stark verstopfte Nase, an der sich Tröpfchen abzeichnen. Wir einigen uns darauf, dass man schon ein bisschen ­robust sein muss, um das stundenlange Training auf dem Eis genießen zu können. ­Tomas trainiert zum Beispiel fünf bis sechs Stunden, an jedem Tag des Wochen­endes. «Vor Events können es auch zehn bis zwölf Stunden werden.» Natürlich kann es auch vorkommen, dass sich unter der Woche die Möglichkeit ­ergibt, ein bisschen Eiszeit einzuschieben. «Ich bin ganz normal berufstätig und opfere ­eigentlich meine ganze Freizeit für das Ice Freestyle.»
Der gebürtige Slowake ist ein Missionar seines Sports, er möchte, dass er sich verbreitet und eines Tages olympisch wird. «Im Grunde genommen kann man mit dem Ice Freestyle direkt anfangen – wenn man das Eislaufen beherrscht. Es gibt schon ein paar Moves aus dem Breakdance, die man gezielt lernen und zuerst in der Halle auf Boden üben sollte, bevor man sie auf dem Eis macht. Sonst kann das wirklich sehr schiefgehen.» Also ein Sport für alle, die einigermaßen wetterfest sind, hervorragend eislaufen können und sich darüber hinaus Handstände und Saltos auf dem Eis vorstellen können. Natürlich tastet man sich erst nach und nach an die gefährlicheren Teile heran, der Sport ist vielseitig, und es soll für jeden und jede was dabei sein. «Ich möchte überhaupt nicht, dass sich das zu einem reinen Männersport entwickelt, wo nur extreme oder gefährliche Tricks zählen. Es ist ein Sport für alle, wo man selbst entscheidet, wie weit man gehen möchte.» Das Limit ist das Know-how.

Kein Selbstläufer.

Aus seiner kufenbegeisterten Heimat kannte Tomas natürlich Eishockey und Eiskunstlauf, «aber das war mir irgendwie zu langweilig, weil das jeder macht». Erst in Wien, am Eisring Süd, habe er vor gut fünf Jahren die Liebe zum Freestyle entdeckt. «Das habe ich dann selbstständig erlernt, zu Beginn viel durch Online-Tutorials für Anfängertricks. Ich finde es schön, dass man hier selbst kreativ sein und ­eigene Tricks erfinden kann. Der ­nächste Schritt war, ein Team zu gründen, mit Leuten, die von diesem Sport genauso ­begeistert waren wie ich.» Insgesamt konnte Ice Freestyle in relativ kurzer Zeit viele Menschen für sich ­begeistern, aber «in Wien mussten wir bei Null anfangen». Als der Eisring Süd wegen ­Umbaus vorübergehend geschlossen worden ist, landete man auf der Suche nach einer ­neuen Heimstätte im Eislauf-Verein, wo man auch sehr freundlich aufgenommen ­wurde. Es folgte der erste Auftritt bei ­einem ­internationalen Event in Buda­pest, 2020 waren die Allstars ­bereits auf ein Dutzend ­Aktive ange­wachsen. ­Obwohl man als Freiluftsport vom ­Corona-Lockdown kaum ­betroffen war, konnte Tomas nicht alle bei der ­Stange halten, und nun ist man zu siebt. Die meisten kommen vom Eislauf und lernen die Freestyle-Tricks Schritt für Schritt, so lange, bis sie auftrittsreif sitzen.
Wie das aussieht, kann man sich einer­seits online ausführlich ansehen, da die Allstars regelmäßig Videos in diver­sen sozialen Medien hochladen. Noch besser ist es natürlich, einer Live-Darbietung beizuwohnen. Dafür gibt es bald eine hervorragende Möglichkeit, denn am 3. Februar veranstalten die Freestyler Allstars im Wiener Eislauf-Verein ein großes Event. «Es werden zahlreiche Gruppen aus der Szene kommen, es wird Battles geben, einen Showteil, bei dem sich die Teams präsentieren.» ­Tomas hofft, man wird den Sport so noch mehr Menschen näherbringen können und einige ­davon so begeistern, dass sie mitmachen wollen. Während die Dance-Battles ein paar wildere Momente bein­halten, gibt es Einlagen, bei dem die Freestyler synchron tanzen wie eine Boyband auf Kufen. Stunts, die man sonst eher aus dem Motorsport kennt – über am ­Boden kauernde Menschen springen –, sind ebenso im Programm.
Wer das nicht mehr erwarten kann, sollte einfach am Wochenende zum Eislauf-Verein pilgern, dort sind Tomas und seine Crew anzutreffen und da können Interessierte jederzeit Kontakt aufnehmen. So ist der Freistil auf den Heumarkt zurückgekehrt, wenn auch nicht im Ringeranzug, sondern mit Eishockeyschuhen und Gelenkschonern. Catch-­Legende Big Otto Wanz, dem ungekrönten König des Heumarkts und einst für jede Hetz zu haben, würde es gefallen.

www.instagram.com/ice.freestyler.allstars

Bildbeschreibung: Tomas Kunovjanek, Ice Freestyler