Für eine gerechtere Gesellschafttun & lassen

Käthe Leichters Arbeitsplatz: In der Ebendorferstraße 7 befand sich das AK-Frauenreferat (Foto: © Michael Bigus)

Wie aktuell sind Käthe Leichters Werk und ihre Forderungen? Was ist das Besondere an ihrer Arbeit? Welche Ansprüche ergeben sich in einer sich verändernden (Arbeits-)Welt? Der Augustin sprach darüber mit der Historikerin Brigitte Pellar.

 

Wissenschaftliche Arbeit

Käthe Leichter hat Forderungen der Gewerkschaft und der Sozialdemokratie aufgegriffen. Das Neue war, sie belegte sie wissenschaftlich durch große Studien. Sie war ja Austromarxistin. Diese Richtung des Sozialismus geht ausgesprochen davon aus, dass Forschungsarbeit Teil der politischen Arbeit ist. Die AK ist auch heute vom Gesetz her verpflichtet, «wissenschaftliche Erhebungen und Untersuchungen, die die Lage der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreffen, durchzuführen oder sonst daran mitzuwirken». (Anm: siehe Arbeiterkammergesetz 1992)

Veränderte Arbeitswelt

Außerdem geht es um die Adaptierung der Forderungen für die veränderte Arbeitswelt der 1920er- und 1930er-­Jahre, wo die Rationalisierung und das Fließband aus den USA herüberkommen. Sie formuliert es in einer Form, die auf die neue Arbeitswelt zutrifft. Das ist, glaube ich, eine Parallele, nicht auf die Frauenpolitik beschränkt, wenn jetzt in der AK, mittlerweile auch in den Gewerkschaften, Expert:innen sagen, der Kampf gegen die Klimakrise geht nicht ohne die Änderung der sozialen Rahmenbedingungen. Arbeitsmarktpolitik, Berufsbildungspolitik, Sozialpolitik, auch Mitbestimmungspolitik müssen integriert sein in diese neuen Anforderungen. Das ist nicht retro, wie das jetzt bei den aktuellen Babler-Forderungen immer wieder von neoliberalen Wirtschaftsexpert:innen dargestellt wird, sondern das ist die Grundforderung für eine gerechtere Gesellschaft, die Käthe Leichter noch als klassenlose Gesellschaft bezeichnet hat.

 

Rolle der Frau, Emanzipation

Käthe Leichter war mit Maria Jahoda, der Hauptautorin der Studie Die Arbeitslosen von Marienthal (1933), befreundet und sie war die Erste, die eine allgemein verständliche Darstellung der Ergebnisse dieses bahnbrechenden Sozialforschungsprojekts in der AK- und Gewerkschaftszeitschrift Arbeit und Wirtschaft publiziert hat. Da betont sie besonders auch die Rolle der Frauen, die die soziale Struktur stabilisieren. Dass Frauen z. B. mit Bienenzucht oder «Garteln» die Familie während der Arbeitslosigkeit der Männer am Laufen halten. Bei ihr stehen die arbeitenden Frauen im Vordergrund. Sie würde sich heute wahrscheinlich vehement dagegen wehren, als Feministin bezeichnet zu werden. Es gab Gemeinsamkeiten mit der bürgerlichen Frauenbewegung, sie haben ja auch viel gemeinsam gemacht. Ich sage es mit meinen Worten: Ihr war der Bauhilfsarbeiter näher als die Frau des Doktors, die ein bisschen in der Ordination mithilft. Sie hat auch immer wieder betont, erst in der sozialistischen Gesellschaft ist die Emanzipation der Frau zu 100 Prozent durchsetzbar. Sie wird nie durchgesetzt sein, solange die Gesellschaft insgesamt ungerecht ist. Das war ihr Credo. Und das wird heute zum Teil von der feministischen Wissenschaft kritisiert.

 

Nicht-/Privilegierte

Für Käthe Leichter gibt es bei allen Unterschieden nur zwei Gruppen mit jeweils gemeinsamen gesellschaftlichen Interessen. Es gibt diejenigen, die gesellschaftliche Privilegien haben und sie nutzen und die, die sie nicht haben – und das ist der große Unterschied. Das Momentum Institut übersetzt es heute in «die Vielen». Käthe Leichter steht auf der Seite derjenigen, die nicht zu denen gehören, die das System nutzen und großartig für sich gestalten können.

 

Faschismus und Feind:innen der Demokratie

Ihre Analyse des italienischen, des deutschen und des Austrofaschismus finde ich eine der gescheitesten und interessantesten zeitgenössischen Darstellungen davon, was Faschismus ist (u. a. Die ­beste Abwehr, 1933, Die Gewerkschaften im Faschismus, 1936). Die österreichische und die Weimarer Republik, die aus den demokratischen Revolutionen 1917/1918 hervorgegangen sind, waren immer nur von einem Teil der Bevölkerung akzeptiert. Das Entscheidende war, dass die alten Eliten die demokratische Entwicklung nicht akzeptiert haben und vor allem nicht in Form eines Sozialstaats, der bedeutet, dass es nicht allein um die Sozialversicherung oder Bildungschancen geht, sondern um Kollektivvertragsgesetz, Betriebsrätegesetz, Arbeiterkammern, das heißt Mitbestimmung auch im wirtschaftlichen Bereich. Das haben die nie akzeptiert. Daher wurde das System an sich von Anfang an in Frage gestellt.

 

Teilhabe

Die Resilienz und Resistenz gegenüber Rechtsentwicklungen und antidemokratischen Entwicklungen hängt unheimlich stark damit zusammen, in welchem Ausmaß Menschen einbezogen werden und wählen dürfen. Das ist nicht die einzige Ursache, aber eine entscheidende.
Käthe Leichter kommt in ihrer Sprache und gemäß ihrer Zeit zu einer ähnlichen Schlussfolgerung. Sie stellt fest, dass die Leute den populistischen Politikern nachrennen, aus Verzweiflung, aus Hoffnungslosigkeit, wenn die bestimmende Politik die Interessen der großen Mehrheit der Menschen nicht mehr berücksichtigt und die demokratische Möglichkeit, ihre Interessen durchzusetzen, eingeschränkt wird.

 

Mehrfachbelastung

Was auch noch heute aktuell ist, ist die Doppelbelastung der Frauen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat schon Leichter angesprochen. Was in vielen Darstellungen zu kurz kommt, ist ihre Rolle, aktiv Interessenvertreterin zu sein. Etwa, dass sie Betriebsrätin in der Arbeiterkammer war. Obwohl es gewollt war, dass Frauen Betriebsrätinnen sind, war es sehr schwierig, als Frau für den Betriebsrat zu kandidieren. Da gab es diese Schere, nicht zuletzt wegen der Doppel- und Dreifachbelastung.

 

Selbstermächtigung

Berühmt sind auch die Geschichten, dass sie Arbeiterinnen nicht nur zugehört, sondern die Frauen auch angeregt hat, selbstbewusst zu werden, für sich selber zu sprechen. Sie hat ja die «Frauenstunde» in der Arbeiterkammer-Sendung im Radio initiiert. Es war das neue Medium in den 1920er-Jahren.
Es ging ihr darum – und das ist auch heute im modernen Sozialstaat wichtig –, nicht etwas für die Leute zu tun, sondern sie selbst zu ermächtigen, für ihre Interessen einzutreten. Die Frauen umso mehr, die noch weniger die ­Chance hatten und darin noch weniger Erfahrung hatten – man darf nicht vergessen, Frauen waren bis 1918 politische Tätigkeiten verboten. Und sie geht zu den normalen Arbeiterinnen und sagt: Ihr könnt das auch!

 

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der Arbeitnehmer:innen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Geschichtsinstituts in der Wiener Arbeiterkammer.

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