«Gegen den Ball»vorstadt

Lokalmatador

Thomas Pöltl hat für die Büchereien Wien die erste Fußballbibliothek der Stadt eingerichtet. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto)

Der Klassiker Die Kanten des runden Leders von Horak und Reiter steht ebenso im Bücherregal wie die Single-Schallplatte des Fußballers Hans Pirkner (mit dem klingenden Titel Tuat’s ned schimpfen über mi …). Die Biografien von Beckenbauer, Prohaska und Osim sowieso, dazu viel Lesenswertes zu den Themen Frauenfußball, Groundhopping, Fankultur, Sportgeschichte, sogar eine gebundene Sammlung der Panini-Alben.

Die erste Fußballbibliothek der Stadt und des Landes, gegründet in der Bücherei der Raritäten in der Zieglergasse im siebenten Bezirk, ist gerade einmal drei Jahre alt. «Doch sie wächst so schnell wie ein Nachwuchskicker in der Pubertät.» Freut sich der Bibliothekar Thomas Pöltl, der dieses spezielle Service der Büchereien Wien mit viel Herzblut eingerichtet hat.

Gepflegte Literatur.

Pöltl ist an sich ein Experte für Katalogisierung, doch er ist auch ein Liebhaber des gepflegten Fußballs und des gedruckten Wortes darüber. Stundenlang können sich Entlehner_innen mit ihm über die angeblich wichtigste Nebensache der Welt unterhalten, ohne dass ihnen dabei langweilig werden muss.

Der in Graz Sozialisierte erzählt, dass er als Bub gerne zu einem Fußballverein gegangen wäre. Doch seine Kindheitsträume durften in einem strengen Elternhaus mehrere Sommer lang nicht in Erfüllung gehen: «Eine gediegene schulische Ausbildung war meinen Eltern wichtiger als der Fußball, der damals noch mehr verpönt war als heute.»

Spätberufen, mit 14, fand der Schüler aus dem Akademischen Gymnasium doch noch den Weg zu einem Fußballverein, und dann gleich zum legendären SK Sturm Graz. Dort wurde ihm aufgrund seiner sprachlichen Gewandtheit vom ersten Tag an eine Art Sonderstatus zuteil.

Dort spürte er auch zum ersten Mal das Gefühl der inneren Zerrissenheit. In der Erinnerung klingt das so: «Ich wollte als linker Mittelfeldspieler draußen auf dem Feld spielen, aber mein Trainer sah in mir mehr einen Tormann, und ich brachte im Tor auch durchaus ansprechende Leistungen.»

So wird auch der junge Pöltl zum Traumfänger (Titel eines lesenswerten Buches über den unerwarteten Höhenflug und ebenso rapiden Abstieg eines deutschen Torwarts, natürlich auch entlehnbar). Doch mit 17 mag der Grazer Gymnasiast nicht länger Bälle fangen. «Ich habe schon zuvor viel gelesen, aber da habe ich mich dann komplett auf die Bücher und das Schreiben verlegt», erzählt der heute 51-Jährige. Auch deshalb, weil er davon ausging, dass das Spiel auf dem Rasen und der Spirit zwischen den Buchdeckeln unvereinbar sind.

Ja, das war damals in Österreich schon so. In manchen Gymnasien wehrten sich die Turnprofs mit Händen und Füßen gegen das Fußballspiel im Turnsaal. Bis heute finden sich – anders als etwa in Deutschland, England, Spanien oder Italien – ausreichend Intellektuelle, die um den Fußball physisch wie gedanklich einen weiten Bogen machen.

Das Ballestern rückt dann auch für Thomas Pöltl, der bald nach der Matura in Wien zu studieren beginnt, in weite Ferne. Er begeistert sich an der Hauptuni und an der Universität für Angewandte Kunst für zeitgenössische Philosophie und finanziert sich sein Studium von Anfang an mit Gelegenheitjobs sowie als Bühnentechniker bei den Wiener Festwochen.

Zurück zum Fußball bringen ihn Studienkollegen der Angewandten, die ihn zu ihren wöchentlichen Fußball-Happenings einladen. Bei den Büchereien Wien landet Thomas Pöltl wiederum aufgrund seiner Liebe zu den Buchstaben. Noch wichtiger für seine Bibliothekarskarriere ist seine schon in der Kindheit entdeckte Leidenschaft, all die Bücher seiner Eltern in eine schöne Ordnung zu bringen sowie eine für die ganze Familie leicht nachvollziehbare Katalogisierung zu erstellen. «Das ist genau meines.»

Club 2 x 11.

Öfters lösen sich scheinbare Gegensätze erst im Laufe eines Lebens auf. Heute spielt der lange Zeit Zerrissene gleich an mehreren Abenden einer Woche Fußball, als Tormann übrigens ebenso wie als Mittelfeldspieler. Seit zehn Jahren ist Thomas Pöltl auch in den Reihen des österreichischen Autoren-Fußballnationalteams aktiv. Ebenso lange hilft er beim Organisieren der Fußball-Diskussionsreihe Club 2 x 11 in der Hauptbücherei mit. Ebenso lange sammelt er Bücher über und rund um den Fußball.

So schließt sich langsam in der Mitte seines Lebens ein Kreis aus Sport und Kultur. Im Moment beherbergt die Fußballbibliothek, die auf vier Standorte aufgeteilt ist, gut 1500 Medieneinheiten, darunter auch einige Filme, Tonträger und Fachzeitschriften. Bibliothekar Pöltl betont, dass die Fußball-Bücher von allen Filialen aus vorbestellt werden können.

Auf ein Buch ist der Autorenteam-Spieler und Sturm-Graz-Fan besonders stolz. Es trägt den programmatischen Titel Gegen den Ball. Wenn Autoren kicken Die Texte des Buches haben seine Mitspieler im Team, fußballaffine Kollegen aus elf Ländern und er als Mitherausgeber beigesteuert.

Die Fußballbibliothek lebt indes nicht ausschließlich, aber auch von privaten Schenkungen. Der Appell des Fußballbibliothekars lautet somit: «Bringt eure nicht benötigten Fußballbücher bitte nicht zum Altpapier, ich freue mich über jeden einzelnen Titel.»

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