Die Postüberwachung begann in der Stallburg
Geht es nach der Bundesregierung, erlebt das Briefgeheimnis in Bälde eine massive Aufweichung. Anton Tantner (Text und Foto) hat das an Staatskanzler Metternich und die übelsten Traditionen habsburgischer Geschichte erinnert. Eine Recherche.
Die Wiener Stallburg ist bis heute ein wenig einladendes Gebäude, das in seiner Geschichte verschiedenste Funktionen erfüllte. Nach der Errichtung im 16. Jahrhundert residierte hier zuweilen der Kaiser. Außerdem diente das Gebäude zwischen Michaelerplatz und Josefsplatz der Gemäldegalerie und der Hofapotheke als Heimstatt. Im Erdgeschoß tummeln sich bis in die Gegenwart die Lipizzaner, die Räumlichkeiten darüber werden derzeit unter anderem vom Stenographischen Dienst des Parlaments, der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und etlichen weiteren mehr oder weniger vertrauenswürdigen Think Tanks genutzt.
Weniger bekannt ist, dass der quadratische Bau vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis 1848 eine Einrichtung beherbergte, die das ihre zum düsteren Ruf beitrug, den die Habsburgermonarchie nicht nur bei europäischen Freiheitskämpfer_innen, sondern auch bei anderen Staaten, gleich ob Freund oder Feind, genoss.
Wettbewerb der Infamie.
Diese Behörde hatte im Laufe ihres Bestehens verschiedene Namen. Eine Zeitlang rief man sie Geheime Kabinetts-Kanzlei, auch Geheimes Chiffrenkabinett, Ziffernkabinett, oder – noch altertümlicher – Zyffer-Secretariat wurde sie genannt. Die dort angestellten, hochqualifizierten Beamten – viele von ihnen wohnten auch in der Stallburg – betrieben ein Geschäft, für das kakanische Amtsprosa so schöne Begriffe wie «spoliieren», «perlustrieren» und «interzipieren» ersann. Nüchterner ausgedrückt bestand ihre Tätigkeit darin, fremde Briefe zu beschaffen, zu öffnen, gegebenenfalls zu dechiffrieren, davon Abschriften anzufertigen, sie schließlich wieder zu verschließen und an ihren eigentlich geplanten postalischen Bestimmungsort zu senden.
Derlei Postüberwachung war in vielen Staaten üblich, der habsburgische hatte es in diesem Wettbewerb der Infamie aber zu einer besonderen Meisterschaft gebracht. Mitwisser und Mittäter saßen auch in der offiziellen Post: Im Wiener Obersthofpostamt in der Wollzeile war eine der berüchtigten «Postlogen» angesiedelt, die im Auftrag des «Ziffernkabinetts» verdächtige Poststücke auszusortieren hatte. Die sichergestellten Briefe wurden darauf in Körben in die Stallburg zur weiteren Verarbeitung transportiert; der Umfang war durchaus beträchtlich, knapp vor der Revolution von 1848 wurden in Wien täglich 80 bis 100 Briefe solcherart behandelt.
Delikate Geheimnisse.
Auch in anderen Städten der Monarchie wurden derlei «Postlogen», auch «schwarze Kabinette» genannt, installiert, und zwar dank der guten Verbindung zur Thurn- und Taxis-Post selbst in Städten außerhalb des habsburgischen Herrschaftsbereichs – sehr zum Ärger der preußischen Behörden übrigens. Jährlich konnten somit etliche tausend Briefabschriften («Interzepte») angefertigt werden. Ganz gleich, ob es sich dabei um die Korrespondenz des Papstes, Napoleons, des russischen Zaren oder des bayrischen Königs handelte: Die österreichische Staatsspitze erhielt von politisch brisanten oder sonst irgendwie delikaten Geheimnissen Nachricht und setzte sie bei diplomatischen Verhandlungen bereitwillig ein. So manche abgefangene Geldsendung besserte obendrein noch das Salär des einen oder der anderen Beamt_in auf.
Dass sich die Staatsmänner gegenseitig bespitzelten und selbst die Angehörigen des Kaiserhauses von derlei Überwachung nicht ausgenommen blieben, erlaubt entsprechende Analogieschlüsse für Gegenwart und Zukunft. Mit ein wenig Phantasie lässt sich eine schlechte Schmierenkomödie ausmalen, in der etwa ein_e Innenminister_in peinliche Geheimnisse des Bundeskanzlers zugetragen bekommt und diesen daraufhin zu erpressen versucht.
Dokumente der Niedertracht.
Für die Vergangenheit belegt ist jedenfalls, dass der neben Kaiser Franz eifrigste Leser fremder Post, Staatskanzler Metternich, wusste, dass seine eigene Korrespondenz nicht sicher war, weswegen er zuweilen einen eigenen persönlichen Kurierdienst durch Boten des Bankhauses Rothschild in Anspruch nahm. Pech nur, dass auch eine solche Vorsichtsmaßnahme keine absolute Geheimhaltung garantierte. Historiker_innen nehmen an, dass auch dieser Kommunikationsweg der Überwachung nicht entging.
Auch die Tätigkeit des Geheimen Ziffernkabinetts sollte nicht verborgen bleiben, weder vor ausländischen Mächten noch vor der Wiener Bevölkerung. Während der Revolution von 1848 gingen aus Zorn über diese allen Grundrechten Hohn sprechende Einrichtung auch die Fenster der Stallburg zu Bruch. Die dort noch vorhandenen Briefabschriften wurden währenddessen von den verbliebenen Beamten verbrannt, trotzdem haben sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv Unmengen solcher Dokumente habsburgischer Niedertracht erhalten.
Mit der Revolution endete die Tätigkeit des Geheimen Ziffernkabinetts in der Stallburg, doch mit der einsetzenden Konterrevolution erlebte die Briefüberwachung wieder ihre Auferstehung, diesmal als Teil der Tätigkeit des Außenministeriums. Das Staatsgrundgesetz von 1867 garantierte schließlich das Briefgeheimnis per Gesetz, fortan war dessen Verletzung nur mehr in wenigen Fällen – etwa zu Kriegszeiten – legal.