Gewalt in homosexuellen Beziehungentun & lassen

Über Gewalt in Beziehungen sprechen: Wenn überhaupt, dann betrifft das heterosexuelle Paare. Gewalt in homosexuellen Beziehungen jedoch wird öffentlich so gut wie nicht thematisiert. Text: Johannes Greß, Fotos: Jana Madzigon

Es ist ein Problem, das die Minderheit einer Minderheit betrifft. Zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung. Auch deswegen, weil es nicht mit bekannten Mustern einhergeht. Die Rede ist von Gewalt in homosexuellen Beziehungen. Ein Thema, das in der Öffentlichkeit so gut wie kaum eine Rolle spielt – auch weil die Schwulen- und Lesbencommunity selbst lange Zeit darüber schwieg.
Johannes Wahala lädt in seine Praxis in der Windmühlgasse in Wien-Mariahilf. Wahala ist Sexualtherapeut, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Sexualwissenschaften und Leiter der Beratungsstelle Courage. Rund 1.000 Klient_innen nehmen bei ihm jährlich Platz. «Ja, Gewalt ist auch bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften ein Thema, keine Frage», sagt Wahala. Die Beweggründe für gewalttätige Übergriffe unterscheiden sich dabei oft nicht von jenen in heterosexuellen Beziehungen. Es geht um Macht. Oder besser: um deren Ungleichverteilung innerhalb einer Partnerschaft. In einer Vielzahl der Fälle, so Wahala, dreht es sich um ökonomische Abhängigkeiten.
Täter_innen. Doch bleibt die Frage offen, wieso dieses Thema so selten den Weg in die Öffentlichkeit findet, es – im Gegensatz zu Gewalt unter Heterosexuellen – kaum wissenschaftliche Studien oder Fachtagungen gibt. «Wir haben es hier mit einem erstaunlichen Gender-Gap zu tun», erklärt Andreas Brunner von ­QWIEN, dem Zentrum für queere Geschichte, das ein Archiv und eine Bibliothek beherbergt sowie Forschung und Vermittlung durchführt. Gewalt spiele in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem dann eine Rolle, wenn der Mann als Täter, die Frau als Opfer auftritt.
Einen Grund dafür sieht Brunner in der Art und Weise, wie Männer sozialisiert werden. Gemäß dem heute vorherrschenden Männlichkeitsideal ist ein Mann nie Opfer, immer nur aktiv, nie passiv, immer nur Subjekt, nie Objekt. Und Schmerz kennt er nicht. «Natürlich haben auch Männer in homosexuellen Beziehungen dieses Männlichkeitsideal internalisiert», erklärt Brunner. «Denn auch die werden heteronormativ erzogen.» Wenig verwunderlich, dass es, in Wien wie anderswo, kaum Beratungsangebote oder Präventionsstellen für Gewalt unter homosexuellen Männern gibt. Einfach deshalb, weil die Nachfrage fehlt.
Vorstellungen über Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale schreiben sich auch in der Art und Weise fort, wie gleichgeschlechtliche Paare in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Homosexuelle Beziehungen gelten landläufig als harmonischer, konfliktfreier, weil das Machtgefälle zwischen den beiden Geschlechtern zu fehlen scheint. Weil dort, so die zugrundeliegende Annahme, der vermeintlich dominante, überlegene Mann nicht auf die vermeintlich passive, unterlegene Frau trifft. Homosexuelle Beziehungen werden tendenziell als Partnerschaften unter Gleichen wahrgenommen.

Rollenverteilung.

Diese Wahrnehmung ist so auch nicht ganz falsch, findet Sexualtherapeut Wahala. Die als «traditionell» bezeichnete Rollenverteilung, wonach der Mann für Lohn, die Frau für das Heim zuständig sei, ist in gleichgeschlechtlichen Beziehungen schlichtweg nicht aufrechtzuerhalten. Homosexuellen Paaren falle es daher deutlich leichter, wechselseitig verschiedene Rollen einzunehmen. Die Aufgabenverteilung im Beziehungsalltag orientiere sich oft einfach an den Fähigkeiten und Kapazitäten des jeweiligen Partners, der jeweiligen Partnerin.
Hinzu komme, so Wahala, dass ökonomische und gesellschaftliche ­Abhängigkeiten zwischen Menschen gleichen Geschlechts oft weniger stark ausgeprägt sind. Das muss nicht heißen, dass es in homosexuellen Beziehungen keine Machtungleichgewichte und Abhängigkeiten, etwa nach Herkunft, die sich auch finanziell auswirken kann, gibt, aber «in der Tendenz» zeige sich, dass Schwule und Lesben eine «gleichwertigere Form der Beziehung» führen. Wahala zieht daraus den Schluss, dass beides – die egalitärere Aufgabenverteilung im Beziehungsalltag sowie weniger stark ausgeprägte Abhängigkeiten – dazu führe, dass Beziehungen zwischen Personen desselben Geschlechts weniger von Machtgefällen, Konflikten und folglich Gewalt geprägt sind.
Im Unterschied zu heterosexuellen Beziehungen verortet Wahala das Konfliktpotenzial oft auch außerhalb einer Beziehung, in gesellschaftlichem Druck, Stereotypen und – in den letzten Jahren wieder mit steigenden Fallzahlen – homophoben Übergriffen auf Schwule oder Lesben. Brunner spricht in diesem Zusammenhang von «internalisierter Homophobie». Sämtliche Zerrbilder, die es in dieser Gesellschaft gibt, gehen auch an Homosexuellen nicht spurlos vorbei. Auch wenn sich bereits vieles zum Besseren gewandt habe, «ist es bis zum heutigen Tag eine Belastungssituation, Mitglied der LGBTIQ-Community zu sein. Das geht wirklich an die Psyche der Menschen.»
In einer Vielzahl der Fälle, mit denen Wahala befasst ist, geht es um die Drohung, den oder die Partner_in zu «outen». Ein klassischer Fall von psychischer Gewalt innerhalb einer Beziehung. Die dadurch entstehende Stresssituation sei häufig ein Herd für Konflikte und auch Gewalttaten. Denn wird eine_r vom anderen «geoutet», kann das weitreichende Folgen haben, bis hin zum Jobverlust und sozialer Ausgrenzung. «Die noch immer vorherrschende Heteronormativität» – also die Annahme, dass eine Beziehung aus Mann und Frau zu bestehen habe – berge «echtes Gefahrenpotenzial».

Emanzipation und Gleichstellung.

Dass der Kampf um Anerkennung und Gleichstellung für Homosexuelle in vielen Fällen vom Optimum noch einiges entfernt ist – auch das ist ein Grund, warum Gewalt unter Homosexuellen kaum Thema ist. Weil es darum von der Community selbst lange Zeit nicht thematisiert wurde. «Gegeben hat es dieses Phänomen schon immer», erklärt Brunner von ­QWIEN. Es dauerte in Österreich bis ins Jahr 1971, bis das Totalverbot von Homosexualität aufgehoben wurde. Vorher wurden Gewalterfahrungen nur äußerst selten zur Anzeige gebracht. Denn die Partner_innen riskierten eine Strafe wegen «Unzucht wider die Natur».
Und selbst nach der Aufhebung des Totalverbots standen andere Themen im Vordergrund: «In den 1970ern war erst einmal die Auslebung der eigenen Sexualität das zentrale Thema. Es ging um sexuelle Befreiung. Beziehungen waren out», so Brunner. Neben der sexuellen Befreiung und dem Kampf um rechtliche Gleichstellung «sind Fragen, die Beziehungen betreffen, stark in den Hintergrund getreten». Auch solche, die Gewalt betreffen.
Als Wahala vor über 20 Jahren die Beratungsstelle Courage gründete, war er einer der Ersten in Österreich, die den Fokus auf gewaltvolle Konflikte innerhalb homosexueller Beziehungen legten. Weswegen er nicht selten mit Kritik von Schwulen und Lesben konfrontiert wurde. Das sei durchaus nachvollziehbar, sagt Wahala. «Wenn man so um gesellschaftliche Anerkennung kämpft, will man nicht die eigenen Morbiditäten in den Vordergrund stellen.» Zugunsten von Emanzipation und Gleichstellung sollten die Probleme erstmal leisetreten.
Mittlerweile ist in Österreich die eingetragene Partnerschaft für homosexuelle Paare möglich, seit 1. Jänner 2019 auch die Eheschließung. Trotz all der Kämpfe, die es an anderer Stelle noch auszufechten gibt, sieht Wahala heute die Möglichkeit, «auf manche Themen der konkreten Lebenssituation wieder einen stärkeren Fokus zu legen». 

Translate »