Harald Krassnitzer als Augustin-Kolporteur (2)tun & lassen

Nach ganz fest kommt ganz lose

In der geplanten ORF-Fernsehserie „Der Winzerkönig“ wird er einmal mehr als Held zu bewundern sein. „Mit vollen Hosen ist gut stinken“, sagte sich Harald Krassnitzer und schlüpfte eines Abends in der Wiener Innenstadt in die Rolle des Augustinverkäufers. Der deftige Aphorismus bedeutet: Wer in der Öffentlichkeit steht, wird weniger überhört. Ein Mensch der Öffentlichkeit signalisierte öffentlich seine Sympathie für das Augustin-Projekt. Im Folgenden die Fortsetzung des Gesprächs mit dem Schauspieler, das aus diesem Anlass geführt wurde.Was hat dich dazu bewogen, durch deine Aktivität – als prominenter Schauspieler -den Augustin zu verkaufen, auf diese Zeitung und damit auf die Problematik der Obdachlosigkeit und des sozialen Ausschlusses hinzuweisen?

Der Augustin ist einfach eine gute Zeitung, sehr informativ und gut geschrieben. Ich bekomme hier Background-Informationen, die ich in anderen Zeitungen nicht lesen kann. Und ich finde, dass das Thema Obdachlosigkeit aus unserer Gesellschaft verdrängt wird. Man vertreibt alle aus der Innenstadt, die in das Stadtbild eines touristisch-septisch-sauberen Wien nicht passen. So kommt es zur Zwangsverslumung. Das ist der eine Punkt, der mich sehr bewegt. Der andere ist, dass man kaum wahrnimmt, wie schnell man in die Obdachlosigkeit und in die Abhängigkeit geraten kann. Das kann ein falscher Schritt im Leben sein, das kann ein Unfall sein, eine unglückliche Beziehung, eine gescheiterte Karriere oder ein seelischer Knacks; wenn ein Mensch einen anderen Menschen verliert, den er liebt. Es gibt so viele Faktoren, die Menschen blitzartig aus einer gewohnten und stabilen Lebensbahn werfen können, und dann landen sie plötzlich auf der Straße und kommen nie wieder weg. Dann bleibt ihnen nur die innere Hierarchie: vom gewöhnlichen zum Edelobdachlosen oder zum von der Gesellschaft in Maßen Akzeptierten, weil er witzig ist, weil er nicht übel ausschaut oder einen guten Schmäh hat. Das sind dann jene Obdachlose, die sich im Rahmen des „Möglichen und Erlaubten“ bewegen. Diesen Ansatz finde ich merkwürdig. Die Hilfe beschränkt sich darauf, dass sie sich von Zeit zu Zeit eine warme Suppe oder neue Kleider holen können oder im Winter bestimmte Unterschlupfmöglichkeiten bekommen, damit sie nicht erfrieren, weil sonst mit unangenehmen Schlagzeilen zu rechnen ist. Das nimmt der Stadt Wien die Glaubwürdigkeit. Auf der anderen Seite meine ich, dass man diese Menschen – ich finde das Wort blöd – resozialisieren könnte. Sie sind ja nicht asozial. Also was gäbe es dann zu resozialisieren? Man muss ihnen nur die Chance geben, wieder Anteil zu nehmen an unserer scheinbar geordneten Gesellschaft. Das Potenzial ist bei vielen sehr hoch, es wird zu wenig genützt und es werden zu wenige Mittel zur Verfügung gestellt. Es geht um Qualität und nicht um Quantität. Und diese umzusetzen scheint mühsamer zu sein, als in einen Staats- oder Stadtsäckel zu greifen und zu sagen: Na gut, kriegt’s halt eure 100.000 oder 50.000 oder 20.000 Euro, oder dieses Haus, bis wir es abreißen. Es wäre wichtig, einen kreativen Ansatz zu finden. Wie können wir die einbinden, die an den Rand gedrängt wurden? Welche Bereiche könnten sie übernehmen? Das vermisse ich: Kreativität im Umgang mit dem Elend. Da herrscht Blindheit.

Vom Augustin und wenigen anderen Blättern abgesehen: Wie beurteilst du die Medienlandschaft?

Wenn ich unsere Medienlandschaft anschaue, finde ich wenige freie Journalisten, die sich getrauen, Dinge zu hinterfragen. Es wird immer noch großer Druck ausgeübt und es gibt nicht viele Journalisten in diesem Land, die in der Lage sind, die Dinge differenzierter und durchaus kritischer zu betrachten, um schließlich auch ihrem Beruf gerecht zu werden. Aber nichts bleibt, wie es ist. Meine Frau hat einen Spruch aus dem Nordrhein-Westfälischen, der mir sehr gut gefällt: Nach ganz fest kommt ganz lose. Immer wenn sich Schrauben stark andrehen und Menschen aus ihrer Verantwortlichkeit enthoben werden und restriktive Bedingungen herrschen, indem man sie zensiert und sie nicht die Möglichkeit haben, zu schreiben, was sie denken und umzusetzen, was sie fühlen, bildet sich eine Gegenbewegung. Betrachtet man eine junge Republik wie Tschechien – da haben sich Journalisten im Gebäude des öffentlich rechtlichen Rundfunks verbarrikadiert und gesagt: Wir wollen nicht politisch manipuliert werden! Wir akzeptieren keinen Chef, der den politischen Mainstream bedient! Wir wollen den freien Journalismus! Ich würde mir in Österreich Journalisten wünschen, die diesen Mut haben. Die gibt es und gab es ja auch, doch viele von ihnen sind in der Versenkung verschwunden.

In vielen sozialen Feldern stößt man immer wieder auf dein persönliches Engagement. Was verbindet dich zum Beispiel mit dem Verein Dunkelziffer?

Zu Dunkelziffer bin ich über meine Frau gekommen. Das ist ein Verein für sexuell missbrauchte Kinder, der sich um Opferschutz und um Aufklärung im Bereich Justiz und im Bereich Polizei kümmert. Er weist immer wieder massiv auf die mangelnde Gesetzgebung hin. Es ist in Deutschland nach wie vor Usus, dass du Kinderpornografie besitzen darfst. Du darfst nicht damit handeln, aber du darfst sie besitzen. Dunkelziffer vertritt stark die Meinung, dass man auch den Besitz unter Strafe stellen muss – und zwar unter Gefängnisstrafe. Die Konsumenten sind die eigentlichen Marktbestimmer, und wenn man weiß, dass dieser Markt mittlerweile an die 500 Milliarden Euro im Jahr weltweit umsetzt, hat man eine Vorstellung davon, wie groß er ist. Viele der Fälle, die in den vergangenen Jahren in Italien und anderen europäischen Ländern, auch hier in Österreich, für Schlagzeilen gesorgt haben, haben nie eine restlose Aufklärung in der Öffentlichkeit erfahren. Was steckt dahinter? Was ist wirklich passiert? Welche so genannten Ringe wurden ausgehoben? Durch welche Gesellschaften geht das? Es geht nämlich durch alle Gesellschaftsschichten, von den sehr hohen bis zu den ganz niedrigen, und ich finde es sehr wichtig, dass dieser Verein darauf hinweist. Und ich versuche ihn, soweit das meine restliche Zeit erlaubt, zu unterstützen.

Du meinst die Zeit außerhalb deines Berufs. Ich komme also zu dem Schauspieler Harald Krassnitzer zurück. Du hast auch in zahlreichen Theaterstücken gespielt. Was ist dir näher? Film oder Theater?

Ich glaube, dass mir Film und Fernsehen näher sind, weil ich hier das Gefühl habe, dass ich viel ausprobieren kann. Ich habe fast 20 Jahre lang Theater gespielt und da gab es irgendwann einen Punkt, wo ich gemerkt habe, dass sich eine gewisse Reibung verloren hat. Die Elfenbeinturmhaftigkeit am Theater ist mir sehr oft auf die Nerven gegangen, weil vieles Theorie bleibt, nie zur Realität wird. Ich meine, über das Elend und den Schmerz zu rezitieren, die Grausamkeit zu simulieren und die Dummheit, war mir irgendwann zu wenig Inhalt.

Gibt es für dich einen Lieblingsautor, einen Lieblingsregisseur?

Ja, aber die sind alle tot. Und insofern tu ich ihnen keinen Gefallen, sie zu nennen. Ich kann mich also nicht einmal mehr einschleimen.

Ich bin aber sehr neugierig.

Zum einen ist es Gombrovicz, zum anderen ist es Harry Mulisch und -weil er mich als Krimiautor immer interessiert hat, aber auch als Autor über afrikanische Geschichte – Henning Mankell. Und ansonsten querbeet.

Die Antwort Gombrovicz freut mich besonders, du hast ja auch in „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ gespielt.

Ich habe in „Yvonne, die Burgunderprinzessin“ und in „Die Trauung“ von ihm gespielt.

Bei all deinem Unterwegssein -hast du irgendwo Wurzeln? Und was bedeutet daheim sein für dich?

Für mich ist das Unterwegssein das Daheimsein. Wenn man mich auf eine Insel setzen würde, würde ich eingehen. Wenn man mich verpflichten würde, dort zu bleiben, könnte ich damit nichts anfangen. Ich brauche die Bewegung. Ich komme wo hin, sauge alles auf und dann muss ich wieder weg, weil ich mich frage, wozu jetzt noch die Sentimentalität bedienen, oder eine Form von Pseudoromantik. Das ist wie die berühmte Flasche Wein, die in Italien gekauft wurde, oder besser gleich fünf Kanister – und dann kommst du nach Hause, setzt dich auf den Balkon und plötzlich schmeckt der Wein so grauslich, dass du ihn wegschütten möchtest. Du wunderst dich, warum er in Italien so hervorragend war. Und alles ist zerstört, die ganze Erinnerung ist weg. Ich muss keine Dinge mitnehmen, um mir zu beweisen, dass ich dort war, oder um das sentimentale Gefühl zu verlängern. Es ist da, und wenn es weg ist, ist es weg. In der Erinnerung mutiert es dann und führt zu einem anderen Bild, oder es erscheint in Form einer Sehnsucht. Diese Spannung zwischen der Sehnsucht und dem Wissen, das Objekt dieser Sehnsucht gehabt zu haben, finde ich sehr schön. In der Regel besuche ich kaum einen Ort ein zweites Mal. Eigentlich gibt es nur einen solchen Ort, und der ist in Tirol: Mieming. Das ist die Gegend, wo wir „Bergdoktor“ gedreht haben. Ich weiß nicht, warum, aber ich muss dort immer wieder hin.

Mit Harald Krassnitzer sprach Alexandra Reisinger. Der erste Teil des Interviews erschien in Nr. 161 und ist im Internet nachzulesen: www.augustin.or.at

teilen: