«Helfen können»vorstadt

Lokalmatadorin Nr. 350: Marlene Panzenböck

Marlene Panzenböck setzt sich dafür ein, dass

Flüchtlinge in Wien zur Schule gehen können.

Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).Plötzlich entspannt sich das Gesicht des jungen Manns aus Afghanistan. Und er stellt mit Freude fest: «Das ist jetzt das erste Mal in Österreich, dass jemand auf eine Frage von mir mit Ja antwortet.» Mit Ja geantwortet hat Marlene Panzenböck. Sie sitzt mit dem jungen Mann, der kaum jünger ist als sie, in einem Klassenraum des Gymnasiums in der Rahlgasse. Nicht als Lehrerin, sondern als Sozialarbeiterin. Sie arbeitet für die private Initiative PROSA – Schule für alle.

Beide lachen. Das Lachen beweist ihr gegenseitiges Vertrauen. Und es sollte nicht beim einzigen Lachen an diesem Nachmittag bleiben.

«PROSA wurde von jungen Menschen gegründet», erzählt Marlene Panzenböck nach ihrem Beratungsgespräch mit Faiz, der derzeit für den Pflichtschulabschluss lernt und später einmal studieren möchte. «Wir wollten uns nicht damit abfinden, dass junge Leute in Österreich keine Schule besuchen dürfen, obwohl es ein Menschenrecht auf Bildung gibt. Die Idee war: Wenn der Staat nichts anbietet, müssen wir das selbst in die Hand nehmen.»

Und wie sie es selbst in die Hand genommen haben! Die Sozialarbeiterin erlaubt Einblick in ihre Statistik: Knapp hundert junge Asylwerber_innen (die meisten sind männlich) gehen derzeit durch ihre Schule. Viele kommen aus Afghanistan, Somalia und Nigeria. Alle sind minderjährig und unbegleitet aus ihrer Heimat geflohen. Aus einem Bürgerkrieg, vor politischer Verfolgung und/oder einer Kindheit ohne Schule, ohne Perspektive. Alle haben eine lebensgefährliche Flucht hinter sich. Alle leben jetzt in der ständigen Ungewissheit: Ist ihre Familie noch am Leben? Was wird aus ihrem Asylantrag?

Die private Bildungsinitiative wird zur Gänze aus Spenden finanziert. Kein gutes Zeugnis für eine Stadt, die sich ständig als eine der reichsten, liebenswertesten und lebenswertesten Metropolen der Welt präsentiert. Auch ein Schuss vor den Bug jener Jugendforscher_innen, die gerne beklagen, dass die Jugend von heute nicht mehr so rebellisch eingestellt ist wie seinerzeit ihre Generation.

Marlene Panzenböck hat keine Zeit für eine Rebellion der Worte. Sie rebelliert mit ihrem Tun. Weil sie praktisch seit dem Projektstart von PROSA vor drei Jahren dabei ist, konnte sie viel zum Aufbau der Nichtregierungsorganisation beitragen. Bis dato hat sie – so wie alle Lehrer_innen – ehrenamtlich gearbeitet. Durch die tägliche Konfrontation mit den jungen Flüchtlingen, die um ihr Überleben kämpfen, durfte sie immerhin ihren Horizont erweitern.

Die Tochter einer Montessori-Pädagogin und eines gut ausgebildeten Handwerkers ist 24, und steht mit beiden Beinen im Leben. Sie hat sich schon während ihrer Schulzeit für die Menschen am Rand der Gesellschaft eingesetzt. Dazu ermutigte sie auch das Gymnasium in der niederösterreichischen Kleinstadt Berndorf.

Dass sie als Studentin das sozialarbeiterische Netz bei PROSA knüpfen durfte, bezeichnet sie als großes Glück: «Mir taugt, dass wir konkret und unbürokratisch helfen können. Bisher hat niemand von unseren Leuten auf der Straße oder in einer Notschlafstelle übernachten müssen. Bevor das passiert, wird schnell herumgefragt, und irgendwo findet sich immer eine Couch für die eine oder andere Nacht.»

Die Prosa der realen Fluchtgeschichten hat sie demütig gemacht. Auch die Geschichte von Faiz, der seiner Kindheit und Jugend beraubt wurde, der mit 17 und seinem jüngeren Bruder an der Hand von zu Hause flüchten musste. Der nicht nur seine Heimat, seine Eltern, seine Familie, Freunde, sondern auch den Bruder auf der monatelangen Odyssee verloren hat.

Oft stößt die Bildungsinitiative an realpolitische Grenzen. Erfolgserlebnisse, Zweifel und Verzweiflung liegen dann nah beieinander. So können auch die besten Schulnoten nicht vor einem negativen Asylbescheid und der daraus resultierenden Abschiebung schützen. Und entgegen der Behauptung, dass es keinen Bedarf für Einrichtungen wie PROSA gibt, wird die Warteliste immer länger. Derzeit hat die Sozialarbeiterin 150 Namen bzw. 150 persönliche Schicksale in ihrem Laptop aufgelistet.

Auch den Schüler_innen geht viel durch den Kopf, weiß Marlene Panzenböck. «Einige leiden ständig unter Kopfschmerzen und an nicht bewältigten traumatischen Erlebnissen.» Umso erstaunlicher sei es, wie konzentriert sie auf ihren Schulabschluss hinarbeiten.

Während des Studiums auf der Fachhochschule hat sie viel zum Thema Abgrenzung in der Sozialarbeit gelernt. Doch in der täglichen Arbeit mit jungen Menschen, die unverschuldet ins Abseits geraten sind und jetzt in Wien um Anerkennung ringen müssen, bleibt das Gelernte oft Theorie: «Abgrenzung ist schwierig.»

Unterm Strich würden aber ihre Erfolgserlebnisse die Zweifel aufwiegen: Immer wieder wird ihr von den Schüler_innen für ihr Engagement gedankt. Und schon wieder schickt sich ein Jahrgang an, den Abschluss zu schaffen und das nächste Ziel, eine universitäre Ausbildung, ins Auge zu fassen. Informationen über ehrenamtliche Mitarbeit bei PROSA und finanzielle Unterstützung gibt es im Café Prosa am Sparkassenplatz 3 in Wien 15 sowie unter www.vielmehr.at.