Gaudenzdorf: der Ausgangspunkt von Georg Danzer
Gaudenzdorfer Gürtel 47: Georg Danzer, dessen theoretischer «Siebziger» heuer noch vielerorts ein Thema sein wird, wuchs hier auf. Seinem Elternhaus widmete er zwei Jahre vor seinem frühen Tod ein Lied. Auch seine Herkunft Gaudenzdorf soll an dieser Stelle gewürdigt werden, findet Karl Weidinger (Text und Fotos).
«Am Gürtl staut si‘ da Berufsverkehr, I hear a Straßenbahn von weit weit her. I steh am Fenster und bin 14 Joahr und hättert so gern lange Hoar», singt der im Jahre 2007 mit nur 61 Jahren verstorbene Barde auf dem Album «Von Scheibbs bis Nebraska». Gegen Meidling hat er sich – im Gegensatz zur Kiste Austropop – nie gewehrt.
Vor Ort tobt der Gürtelverkehr um die Hunde-, Basketball-, Fußball- und Beachvolleyballzone. Alles Zone hier – auch im Käfig. Verkehr hat Vorrang. Fliegt ein Ball raus, ist die Hölle los. Auch wenn «Freedom», also Freiheit, mit färbigem Lichtschlauch am Gatter steht.
Die «Straßenbahn von weit her» bezieht sich auf die Tram-Linien 6 oder 18. Der Mittelstreifen fiel so breit aus, weil die Stadtbahn (heute U6) vom Westgürtel (Westbahnhof) zur Südbahn weiterführen sollte. In dieser Gegend war das Klima immer schon etwas rauer als an anderen Orten, wie etwa dem Meidlinger Tivoli, wo sich die bessere Gesellschaft vergnügte.
Gaudenzdorf krallte sich am Wienfluss fest. Namensstifter war der Kirchenfürst Gaudentius Andreas Dunkler. Die Industrialisierung schuf 1855 Jobs im Gaswerk. Fabriken folgten, stellten Seifen und Kerzen her. Rund um den Wienfluss siedelten sich Manufakturen an, die hochgiftige Gerbereien betrieben. 1866 wurde die erste Gewerkschaft in Gaudenzdorf gegründet, und es wurde etwas friedlicher, weil organisierter.
Inschrift: In diesem Haus lebte und starb Otto Glöckel (1874–1935). Er war der bedeutendste österreichische Schulreformer des 20. Jahrhunderts.
Otto Glöckel wurde 1874 geboren. Er forderte 1911 eine strenge Trennung von Religion und Schule. Als Gegner von Bildungsprivilegien trat er für die Gesamtschule ein und kämpfte gegen die kirchliche Vormachtstellung. Von den Austrofaschisten wurde er nach der Februarrevolte 1934 (an der Glöckel nicht beteiligt war) in seinem Büro des Stadtschulrates im Palais Epstein verhaftet und ins Anhaltelager Wöllersdorf gebracht. Glöckel überlebte die Inhaftierung nur unwesentlich und starb wenig später an den Folgen an seinem Wohnort, dem Haus am Gaudenzdorfer Gürtel 47.
Im selben Haus erblickte Georg Danzer 1946 als Sohn eines Magistratlers und einer Angestellten das Licht der Vorstadtwelt. Nach seiner Matura trampte er durch die Lande. Vom Autostopp zum Austropop, sozusagen.
Oder «Von Scheibbs bis Nebraska». Im Bonus-Track mit der Nummer 13 dieses Albums erinnert sich Danzer, nur von der akustischen Gitarre begleitet, an seine Kindheit hier.
«Der Himmel dehnt si so unendlich weit, der Sommer spinnt a Netz aus leerer Zeit. I les a Buach, des i no ned versteh, und irgendwia tuat alles weh. I hab a Radl, des is no ausn Kriag, und wann i damit durch die Gassn fliag, bin i so frei wia a verirrte Taubn und möcht an alles Guade glaubn.»
Prophetische Worte. Zu Danzers Zeit gab es die Tschick-Arretierer. Bedürftige, die Zigarettenstummel mittels eines zugespitzten Stocks aufsammelten. «Tschik» handelt vom Alltag eines Obdachlosen. Mit rau verstellter Stimme verherrlichte er auch seine eigene Sucht. Diese Heroisierung eines Außenseiters war für manch tugendhafte Zeitgenossen geradezu skandalös. Bis zum Durchbruch mit «Jö schau, so a Sau» war es noch weit. Und Danzer schrieb mehrere Soundtracks zu «Kottan ermittelt» und spielte darin mehrmals als Stricher bzw. Transvestit mit. Und nicht nur das, er übersetzte Bücher aus dem Spanischen, blieb aber immer vorstädtisch bescheiden – wie die ganze Gegend hier.
«Hupf’ in Gatsch», «Fett wia a Radierer», «Ruaf mi net an» oder der legendäre «Wixerblues» waren einige akustische Landmarken, die er auf etwa 400 Liedtexten setzte. In den letzten Lebensjahren machte er durch sein Mitwirken bei «Austria 3» und durch sein umstrittenes Album «13 schmutzige Lieder» von sich reden. Aber auch Texte, getragen von Melancholie und Trostlosigkeit. Wie den Song «Graue Herren», in dem er den Selbstmord seines Vaters thematisierte.
«Oba na, i bin ned ängstlich, weu i hab a Grundvertraun. Dass wem gibt, der’s mit mir guad mant und der wo scho auf mi‘ schaut. Und tiaf drinnen bin i sicher, es fangt grad was Neues an – des ghört mir, a wann i’s ned begreifen kann.»
Georg Danzer hatte hier seinen Ausgangspunkt in die Welt und kehrte etwa 15 Jahre vor seinem Tod nach Wien zurück, spielte gemeinsam mit Ambros & Fendrich etliche Konzerte zugunsten Obdachloser. Zur Jahrtausendwende übernahm er den Vorsitz von SOS Mitmensch, weil er sich immer schon gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus engagierte.
Ein Suchender oder gar ein Flüchtender?
Der «Danzer-Schurli» gab vielen Orten einen Namen, seinen Namen. Das erste Georg-Danzer-Haus für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wurde 2015 in Wien-Döbling eröffnet. Zwei weitere wurden in Oberlaa und Stockerau eröffnet. Und seit 2009 trägt die Donaubrücke der Wiener U6 den Namen Georg-Danzer-Steg.
Das Ehrengrab der Stadt Wien, wie es Künstler_innen seines Rangs gebührt, hatte er dankend abgelehnt. Vor Vereinnahmung nahm er zu Lebzeiten Reißaus. Gaudenzdorf blieb ein Teil von ihm. Auf seinem Elternhaus ist die Gedenktafel für Otto Glöckel angebracht. Aber das wird sich bald ändern, an dieser unscheinbaren Nachtautobus-Haltestelle. Denn die Aufwertung der Region ist schon im Gange.
«Die Sunn geht unter hinterm Nachbarhaus. Mei‘ Vater rechent si‘ sei‘ Taschengeld aus. Mei‘ Mutter kummt grad von da Arbeit ham. Und i verlier‘ mi‘ in an Tram.» («Gaudenzdorfer Gürtel 47», © Georg Danzer, 2005)