«Ich mag sie olle»vorstadt

Lokalmatador

Yusuf Isufov rettet die Salzgurke im Holzfass und womöglich auch den Floridsdorfer Markt. Von Uwe Mauch (Text) und Mario Lang (Foto).

Saure-Gurken-Zeit ist für Yusuf Isufov das ganze Jahr über, auch schon um sieben Uhr in der Früh. Mit großer Sorgfalt und Liebe zum Detail bringt er heute erneut die sauren Klassiker vor seinem Stand in Position: das Sauerkraut und die Salzgurken aus dem Holzfass, das frisch geschnittene Kraut und auch das Sarma­kraut für die Krautrouladen.

In den Regalen seines Standes belässt er hingegen das haltbar Gemachte: die eingelegten Tomaten, Paprika und Pfefferoni. Und nicht zuletzt die Gläser mit dem feinen Karotten- und Sellerie-Salat. In seiner Auslage drapiert er sodann bulgarischen und griechischen Schafskäse sowie schwarze und grüne Oliven.

Herr Isufov ist mehr der Typus ruhiger Zeitgenosse, nicht der Marktrufer im herkömmlichen Sinn, der sich vor seinem Stand lautstark zu erkennen gibt. Das heißt aber nicht, dass er nicht gerne erzählt und zuhört: «Ich habe Deutsch auf dem Markt gelernt, von meiner Kundschaft.»

Die Hoffnung lebt.

Der gelernte Koch ist auch ein Hoffnungsträger auf dem Floridsdorfer Markt. Der Markt hat vor bald hundert Jahren seinen Standort rechts der Brünner Straße bezogen und liegt heute schön eingebettet zwischen zwei Gemeindebauten, dem Schlinger- und dem Conrad-Lötsch-Hof. Kein Geheimnis: Seit Jahren hat der Markt mit schmelzender Kunden-Frequenz zu kämpfen, worauf auch interne Querelen und verkürzte Öffnungszeiten fußen.

Das Grundproblem: So klug der Markt einst angelegt wurde, er liegt heute nicht an der zentralen U- und S-Bahnstation, sondern von dort fünf Minuten per pedes _entfernt. Das ist in einer Zeit, in der alles schnell-schnell gehen muss, um das berühmte Äutzerl zu viel. Und es ist hier mit dem eigenen Automobil nicht ganz so leicht zu parken, was für viele Bewohner_innen im Außenbezirk noch immer ein striktes No-Go bedeutet.

Umso mehr benötigen die Standler_innen auf dem Schlingermarkt neben einem außergewöhnlichen Angebot und einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis einzigartige Geschichten, mit denen sie sich von den uniformen Angeboten der Supermärkte abheben können.

Vom Schwarzen Meer.

Yusof Isufov kann so eine einzigartige Geschichte bieten: Er stammt aus einem ostbulgarischen Dorf, das rund 60 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt liegt. Und er fühlt sich heute gut in Wien integriert. «Nach meiner vierjährigen Koch-Ausbildung», erzählt der Standler, «habe ich in der Kantine einer großen Fabrik gearbeitet». Doch die Welt dort wurde ihm – wie so vielen jungen, gut ausgebildeten Bulgar_innen – bald zu eng. Deshalb folgte er dem Ruf eines guten Freundes nach Wien. «Das war vor acht Jahren.»

In der Zwischenzeit schlägt das Pendel der Migration in der EU auch wieder in die Gegenrichtung aus: «Der Freund arbeitet jetzt wieder in Bulgarien.» Seine Frau, eine Landsfrau, hat Yusuf Isufov wiederum in Wien kennen gelernt. «Und unsere Tochter Aysche wurde vor vier Jahren hier geboren.»

Erste Erfahrungen mit dem Wiener Marktleben hat er auf dem Viktor-Adler-Markt sammeln können. Seinen Stand auf dem Schlingermarkt hat er im Jänner 2013 einem gewissen Leopold Marchsteiner abgekauft. Der gilt im 21. Bezirk als der Gemüse-Einleger schlechthin und als einer der letzten Überlebenden des bäuerlichen Kleingewerbes, das in unmittelbarer Nachbarschaft zu den in der Monarchie angesiedelten Industriebetrieben und all den Wohnsiedlungen viel an Terrain einbüßen musste (siehe Lokalmatador Nr. 207).

Der 33-jährige Nachfolger möchte «Marchsteiners lokale Tradition mit den Gaumenfreuden aus meinem Heimatland verbinden». Yusuf Isufov versteht sein Geschäft. Seine ruhige, freundliche Art kommt gut an bei den Hiesigen, seine permanente Suche nach hochwertigen Lebensmittel bereichert auch das Angebot des Markts, der nach einer Phase der anhaltenden Agonie allmählich wieder mehr Zulauf erlebt. Die ersten beiden Jahre waren für Herrn Isufov sehr hart: «Viel Arbeit, wenig Einkommen. Aber inzwischen darf ich sagen, dass ich ganz gut über die Runden komme.»

Heute ist er mit seinem Stand hier nicht mehr wegzudenken. Auch seine Eltern, die weiterhin in Bulgarien leben, haben ihn schon einmal auf dem Markt besucht. Schön zu hören, dass er auf mehrfache Nachfrage zugibt: «Ja, schon. Sie sind stolz auf mich.»

Wien ist zu seiner neuen Heimat geworden. Auch das sagt der Leopold-Marchsteiner-Nachfolger. «Es ist eine große Stadt, eine schöne Stadt. Die Leute, die ich hier kennen gelernt habe, sind alle sehr freundlich und hilfsbereit. Viele, die über den Markt gehen, grüßen, auch wenn sie nix bei mir kaufen.»

Schon sehr zeitig in der Früh ist Yusof Isufov mit frischem Obst und Gemüse von Inzersdorf nach Floridsdorf gefahren. Sorgfältig finalisiert er nun seine Freiluft-Auslage. Dafür hat er gute Gründe: «Man muss versuchen, den Vorbeikommenden etwas zu bieten, damit sie stehenbleiben.»

Wichtig ist ihm auch eine möglichst gute Zusammenarbeit mit den anderen Standler_innen auf dem Schlingermarkt. Seine Idee: «Wenn die Leute bei meinem Nachbarn etwas kaufen, kann ich ihnen vielleicht auch etwas bieten.» Und auf gut Markt-Wienerisch erklärt er am Ende: «Ich mag sie olle.»

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