A g’mahde Wiesnvorstadt

Sensenfrauen & Dengelmänner

Die Sense wird fast nur noch im Sprachgebrauch geschwungen, wie auch das «Niedermähen» fast nur noch beim Fußball vorkommt. Karl Weidinger (Text & Fotos) hat einen Schnitterkurs inmitten von Wien besucht und die Sense geschwungen.

Das Wichtigste zuerst: Oktober ist die Zeit der Ernte, des Erntedanks und der letzten Mahd. Die Sense hatte schon bessere Zeiten. Die Traktorisierung brachte sie an den Rand. An den Mähsaum, wo die Technik nicht mehr hinkann. Gesenst wurde im römischen, keltischen, germanischen und slawischen Kulturraum, also praktisch überall. Und jetzt im Botanischen Garten im Oberen Belvedere in Wien-Landstraße. Sie ist ein analoges Werkzeug aus vorindustriellen Zeiten, noch vor der technischen Revolution – und das im digitalen Zeitalter. Nun erlebt die Sense ein Revival, da sie sich gut zur Pflege von bienenfreundlichen Blumenwiesen eignet. Inzwischen steigt die Nachfrage nach Mäh- und Dengelkursen.

6th Sense.

Klaus Kirchner hält solche Kurse ab, Sensenkurse. Und er biegt mit seinen Mord-, pardon Mähwerkzeugen um die Ecke, TÜV-gerecht verstaut und sicher verpackt in einem Golfwagerl, seinem Sensen-Caddy. Das scheint auch u-bahn-tauglich zu sein, in Zeiten von Amokläufen, Attentaten und Terrorbedrohung. Der Ziehbock bietet Platz für 13 zerlegte Sensen, die Klingen mit Schnittschutz versehen. Es muss eine zwischen Numero 5 und 7 sein. Damit das Wortspiel passt: the 6th Sense.

Im Sprachgebrauch wird sie noch fleißig geschwungen, die Sense. Im Fußball wird heftig umgemäht, auch ist die «gute Schneid» noch ein geflügeltes Wort. Alles sensentechnisch gesehen «a g’mahde Wiesn». Wie auch die Scharte, die ausgewetzt wird. Mit Dengelhammer oder Wetzstein, getragen im Kumpf, original ein wassergefülltes Kuhhorn.

Am Anfang war das Rupfen. Erst dann kam das Schneiden. Begonnen hat alles im Neolithikum. Mit der kleineren Schwester der Sense, der Sichel. Ursprünglich zugeschliffene, zugespitzte Tierkiefer, um Schilfrohr, Gräser, Getreide, Laub und Kräuter zu schneiden. Mit dem geschmiedeten Eisen kamen dann die schärferen Klingen auf – und zum Einsatz. Entweder ließ man das Vieh auf die Weide, oder die Weide kam zum Vieh als Mahd. Der mittelhochdeutsche Begriff leitet sich von «mähen» ab, mitgemeint bei der Mahd ist der gesamte Erntevorgang sowie auch dessen Ergebnis, die Ernte.

Sensenlehrer Klaus.

Der Sensenkurs im Botanischen Garten dauert von 7 bis 11 Uhr, also vier Stunden und kostet 95 Euro pro Person. Kurs-Inhalt: Wer pflanzt und sät, muss auch ernten und mähen. Vier Stunden interaktiver, praktischer Workshop: optimale Senseneinstellung, Handhabung, Schärfen, verschiedene Mähsituationen. Alle Werkzeuge werden gestellt. Gleichzeitig ist es ein «Back to the roots» und ein Beitrag, altes wertvolles Handwerk neu zu beleben. Die Mahd mit Sense war Normalität und ist es stellenweise noch immer.

Klaus Kirchner hat eine fundierte Tanzausbildung. Er tanzt durchs Gras und erzählt vom philosophischen Überbau. Er träumt von einem Sensenballett. Gisela ist seine Sensenschülerin. Noch zu wenig für ein Ballett! Sie absolviert den Sensenkurs erfolgreich – und auch folgenreich?

«Ich habe schon einen Schafscherkurs gemacht und diesen Kurs geschenkt bekommen. Nun gedenke ich, die Sense im Waldviertel einzusetzen. Weil auf dem Traktor sitzen und mähen kann bald wer», sagt Sensenschülerin Gisela.

Der Kurs beantwortet Fragen. Was ist eine «guate Schneid»? Wie stelle ich die Sense richtig ein? Wie kann das Mähen mit der Sense eine gute Ausgleichsbewegung für meinen Rücken sein? Wie dengle und wetze ich die Sense? Klaus Kirchner betreibt den Blog www.schnitter.in und bietet seit 2013 diese Sensenkurse an.

Auf Körpergewicht, Größe, Links- oder Rechtshändigkeit ist zu achten. Die Richtung für den Schwung ist entscheidend – von rechts nach links ist am geläufigsten. Zum Führen der Sense wird ein Holz- oder Metallstiel verwendet, der als Worb, Wurf, Sensenbaum, Sensenstiel oder Sensengriff bezeichnet wird. Die Länge richtet sich vorwiegend nach der Körpergröße und dem Einsatzgebiet. Der Sensenbaum kann gerade oder S-förmig geschwungen sein. Am Stiel sind zwei rechtwinklig abstehende Griffe angebracht. Der vordere an einer L-förmigen Verlängerung montiert, um durch den Neigungswinkel ein entspanntes und ergonomisches Arbeiten zu ermöglichen. Der hintere Griff ist meist direkt am Sensenwurf angebracht.

«Die Sense für die normale Grünland-Mahd hat eine zirka 60 bis 80 Zentimeter lange, hinten breite und sich nach vorne zu einer Spitze verjüngende, einwärts (zum Mäher hin) gebogene und im Profil leicht nach unten gewölbte Klinge aus geschmiedetem Stahl, das sogenannte Sensenblatt.» Sensenlehrer Klaus erläutert die archaische Mähtechnik. Dabei ist auch aufs regelmäßige Wetzen und Dengeln zu nicht vergessen.

«Das Dengeln dient zum Austreiben oder Verdünnen und zur Härtung der Schneide, wodurch eine Schärfung eintritt.» Durch diese Art der kalten Verformung kann man auch Scharten bis zu etwa fünf Millimeter Tiefe in der Schneide eliminieren. «Durch das Dengeln mit kurzen Nachwetz-Unterbrechungen auf dem Feld wird über eine längere Einsatzzeit eine gute Schärfe aufrechterhalten», sagt Sensenlehrer Klaus tänzelnd auf seiner frisch gemähten Wiese.

Auch die «g’mahde Wiesn» ist so ein Sprachbild der fertigen, erledigten Arbeit. Wird aber auch verwendet für eine Entscheidung, die ohnehin feststeht; eine ausgemachte, sichere Sache, eine einfache Angelegenheit. Und sogar der als Schimpfwort gebräuchliche «Hiafler» kommt aus diesem Jargon.

«Der Hiafler ist einfaches Trockengerüst. Ein Ast, eine Stange, die in der Erde steckt und wo das Heu zum Trocknen angehäuft wird. Diese Heumadln ergeben oft eine Reihe von Hiaflern, was dann wie Land-Art aussieht», weiß Sensenlehrer Klaus.

Bilder im Kopf.

Das siebente Siegel (Originaltitel: Det sjunde inseglet) ist ein in Schwarzweiß gedrehtes schwedisches Filmdrama aus dem Jahr 1957 von Ingmar Bergman. Darin tritt der personifizierte Tod als Sensenmann auf und prägte diese Erscheinungsform von Gevatter Tod, der als Schnitter um die Ecke biegt.

Die Infrastruktur vom Dengelhammer bis zum Kumpf ist für heutige Zeiten auch jenseitig. Eine Logistik, vom nachhaltigen Wetzstein bis zum ausgehöhlten Kuhhorn, natürlich bio, regional, haltbar, zuverlässig, fair gehandelt und fair produziert, aus nachwachsenden Rohstoffen: Dengelamboss, Dengelbock, Dengelhammer, Heugabel, Heurechen, Hiafler, Kumpf, Schnittschutz, Schlagdengelapparat, Sensenbaum, Sensencaddy, Sensenring, Sonnenhut, Vorstecker, Wetzstein, Worb, Wurf, Ziehbock. Im Selbstbau werden auch Sensenwurf, Rechen, Dengelbock und Hiafler bei Kursen zusammengestellt, die in Österreich, Ungarn und Deutschland abgehalten werden. Es geht aber nicht darum, etwas zu verkaufen. Mittlerweile gibt es das Ding auch im Baumarkt (ab 20 Euro aufwärts).

Sensenschülerin Gisela.

Die Wiesen des Botanischen Gartens im Oberen Belvedere sind natürlich artenreich. Hier dürfen sie wachsen und gedeihen, blühen und fruchten als Lebensraum für Insekten und andere Tiere, bis die Sense kommt – en passant beäugt von zahlreichen Jogger_innen.

Das Mähen im Botanischen Garten hat Tradition. Bis in die 1970er-Jahre durften Fiaker_innen hier für ihre Pferde Gras mähen und zu Heu dörren. Im logischen biologischen Kreislauf, auch Symbiose genannt, lieferten sie wertvolle Rossäpfel als Dünger für die Zierpflanzen im Ziergarten.

Was bleibt da noch vom anderen Leben, abseits der Sense? Klaus ist nicht nur Sensen-Coach, sondern auch Mediator und betreibt Teambuilding und Supervision. Da drängen sich viele Vergleiche auf. Durch die Kursbeiträge wird der Botanische Garten unterstützt. Neben den öffentlichen Kursen finden auch Workshops für geschlossene Gruppen statt.

Es gibt auch den Mäh-Service für die Dachterrasse, den Innenhof, den Garten. Alles kann mit der Sense gemäht werden, handgemäht mit Bobo-Gütesiegel. Lautlos und flexibel gesenst im Urban Gardening, nachhaltig mit hundertprozentiger biologischer Energie. «Die Sense ist in ihrer CO2-Bilanz, ihrer Wendigkeit und ihren Einsatzmöglichkeiten den motorisierten Rasenmähern und Motorsensen überlegen», sagt Klaus. Sie schneidet ohne Auspufflärm und Benzingestank. Sensenmähen kann am Wochenende und sehr früh am Morgen geschehen, ohne Nachbar_innen aufzuwecken oder zu verstören. «Wer gut mit der Sense mäht, steht bequem und entspannt, atmet den Duft des frischen Schnittes, hört Vögel, Insekten und das leise Zischen der Sense», sagt Sensenlehrer Klaus. Sensenschülerin Gisela nickt dazu und sagt: «Ich putze die Klinge mit einem frisch gemähten Grasbüschel ab, damit der Grassaft nicht auf die Klinge einwirkt, weil diese dann schneller rostet. Dann wische ich mit einem Fetzen trocken und packe zusammen». Für heuer soll’s das gewesen sein. Mit Mähen im Freien unter Zuhilfenahme der Sense, zumindest was die Sensenkurse anbelangt.



Blog: www.schnitter.in