Im Prinzip eine BandArtistin

Musikarbeiter unterwegs … in klingenden Gedanken

Jolly ist das Debütalbum von Das Schottische Prinzip. Zehn eigenwillige, eigensinnige Lieder von einer der spannendsten neuen Formationen aus Wien.

TEXT: RAINER KRISPEL
FOTO: MARIO LANG

Die Musik ist weit weg.

Die Sommerfrische zieht ihre Wirkung aus der Nähe des Kindes, der Mutter, des Bruders … Menschen! Dieser See! Schwimmen. Wind. Ein Onkel zu verabschieden, eigentlich ist Urlaub. So viel traurig, so viel warm. Ein Roman, der «Liebe!» schreit, brüllt, gibt (Jardine Libaire). Sehne mich danach, wie nach Musik, die mir so durch und durch geht, wie sie das einmal konnte. Das weiße Tonspuckerl ist mit. Einmal spielt es Little Feat, einmal Die ­Aeronauten ab. Kristofferson. Nino bleibt eingeschweißt. True Faith, eine Kompilation. Weinen, spätestens bei den Staple Singers. Odetta sagt: «Geh’ und erzähl’ es auf dem Berg!» Freunde besuchen. Leichtigkeit, Tretboot, Plaudern. Der tollpatschige Lokal-Kapitalismus spart am Personal, verschenkt so eine Pizza und, bewusst, ein Tiramisu. Aus den Gesprächen am Abend ist das Desaster nicht fernzuhalten. Sorge. Zorn. Unverständnis. Zu wenig Alkohol. Vergessene Augustin-Deadline. Dabei würde ich Jolly jetzt gerne hören. Oder Das Schottische Prinzip live sehen. Gleich da vorne, wo heute später das Strandkonzert ist. Das wäre etwas.

Anders wär.

Zuletzt wurde das Album in Wien gehört. So konzentriert, dass ich jetzt aus der Erinnerung und ohne Hören in den Sound, den starken, unkorrumpierten, tiefgehenden Charakter dieser Musik eintauchen kann. Am Tag nach dem Treffen mit den vier Musikerinnen, Julia Reißner (Stimme, Gitarre), Viktoria Mezovsky (Gitarre), Jana Mitrovic (Bass) und Petra Fraißl (Schlagzeug), versuchte ich ein Lieblingsstück auszumachen. Dabei verliebe ich mich wechselweise schon in die Titel dieser Lieder. «Befeuer doch die Mächte», «Alle Lust will Ewigkeit», «Kein Halleluja» und, endlich wieder einmal: «Baudelaire». Die Übung misslingt. Dreimaliges Hören ergibt gänzlich unterschiedliche Favoriten-Bescheide. Doch die Ohren und der Mensch dazwischen picken geradezu glühend an der tiefen, wunderbaren Stimme und den Worten von Reißner. Und an der Musik, die diese Band dazu, darunter, darüber macht. Das kann nämlich etwas, was schon (auch) verloren scheint: Nerven. Verstören. Fordern. Was soll denn das überhaupt für eine Musik sein? Gleichzeitig: Aha-Momente galore. Zeile um Zeile, Passage um Passage, die einen so treffen, sich so in ­einen einbauen, dass mensch dann doch noch «Halleluja!» ausruft. «Und du lässt mich doch nur sprechen, damit du mich aufreißen kannst» aus dem Opener «Anders wär» ist nur eine von so unpackbar vielen großartigen Zeilen. Wer jetzt «Frauenband» oder «Mädchenband» sagt, muss leider gehen!

Hoffnung.

Beim Biertrinken mit den vier vom Schottischen Prinzip – wie immer hatte ich vergessen nach dem Bandnamen zu fragen, oder wurde die Frage höflich negiert? – wird schnell klar: Hier geht es um etwas, denen geht es um etwas. Das war auch beim Fotomachen so, im Juni bei der Albumpräsentation im Chelsea. Da war diese gewisse Aufregung, eine Spannung, die Musik längst nicht mehr prinzipiell innewohnt. Die wollen eine Band sein, die sind eine Band, und sie sind nicht bereit, dies zur belanglosen Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit herunterzuspielen. Anders als so viele Bands dieser Tage wienerlt Das Schottische Prinzip nicht, das hat nichts mit der so vertrauten und selbstvergessenen Onanie einer eigentlichen Provinzstadt zu tun, freie Kultur unter freiem Himmel, wenn’s schön ist, ist’s schön! Mit dem stahlharten, messer­scharfen Unfrei, vor allem so vieler «anderer», arrangieren wir uns dann schon. Wir reden und trinken seitlich vom Rochusmarkt, in einem Lokal namens «Moped», dort steht das Sofa, auf dem die Band sich für das Bandfoto zum Album ablichten hat lassen. Reißner liefert das Grundmaterial, aus dem die vier diese Wundermusik machen, als eine Band, die schon sehr weit, aber längst noch nicht fertig ist. Weil sie wohl gerade erst anfängt, sich noch viel weiter zu entwickeln und zu wachsen. Dieses Debüt von Thomas Pronai mit seiner No-Nonsense-Technik zum genau richtigen Zeitpunkt genau richtig aufgenommen – eine Musik ohne Routinen, Posen, lebendig, brodelnd, wollend, von diesen vier Menschen vorbehaltslos und gescheit gesungen, gespielt, gelebt, gemeint. Phantastisch!

Das Schottische Prinzip: Jolly (Bader Molden Recordings)
www.facebook.com/dasschottischeprinzip