Ist das Kunst oder kann das weg?Artistin

Clara Koch (li.), Franz Braun und Martin Ritzinger (re.) tun viel, um das KunstQuartier in Meidling zu erhalten (Foto: © Carolina Frank)

Im KunstQuartier Wien Meidling haben 70 Künstler:innen ihre Ateliers. Die Zukunft des Hauses ist ungewiss. Abriss oder Selbstverwaltung?

Zeichnungen, Stoffe, Nippes, auf einem freien Stück Tisch eine kleine Overlockmaschine. «Ich liebe Farbe», beschreibt ­Vanessa ­Achilles-Broutin das Offensichtliche und lädt in ihr Atelier ein. Eng, aber äußerst gemütlich ist es hier, und, wie sie lachend betont, «aufgeräumt, auch wenn andere Leute das nicht so bezeichnen würden.» Achilles-Broutin ist gelernte Innenarchitektin, hat als Bühnenbildnerin und Kostümschneiderin an vielen Theatern gearbeitet und widmet sich jetzt der Kunst, die sie am meisten liebt: dem Modemachen. Im KunstQuartier Wien Meidling (KQWM) hat die Wahlwienerin, die 2002 aus Paris hierhergezogen ist, zwei Räume: den bunten Arbeitsraum mit Terrassentür Richtung Hauseinfahrt. Und einen etwas größeren, fensterlosen Raum, ihren «Fundus», in dem sie Stoffe, Kostüme und die ersten Stücke der eigenen Kollektion produziert. Um einen großen Arbeitstisch herum stapeln sich glitzernde, wollene, seidene Textilien in allen Farben auf Regalen und Kleiderständern. «Gestern erst war eine Kundin da, die einen Herrenanzug haben wollte. Ich musste durch mehrere Kleiderständer durchklettern, aber ich habe einen gefunden!», sagt Achilles-Broutin stolz und hält einen schicken, karierten Zweiteiler in die Höhe, den sie nun an den Schultern umzunähen gedenkt. «Hab’ ich alles auf Youtube gelernt.»
Vanessa Achilles-Broutin ist eine von rund siebzig Personen, die im KunstQuartier Wien Meidling in der Aichholzgasse ihre künstlerische Bleibe haben.

Paris – Meidling

Das KunstQuartier ist ein widersprüchlicher Ort. ­Martin Ritzinger, der hier sein Malerei-Atelier betreibt, vergleicht das Haus selbstbewusst mit dem Centquatre in Paris. Das ist ein Objekt von über 15.000 Quadratmetern Grundfläche, das von 1874 bis in die 1990er das erzbischöfliche und später städtische Beerdigungsunternehmen beherbergte. 1997 wurden die Hallen unter Denkmalschutz gestellt und Teil eines hochdotierten Stadterneuerungsprojekts, 2008 wurde das Centquatre als Kunstquartier neu eröffnet. «Paris profitiert davon», sagt Martin Ritzinger – und meint damit: Wien könnte vom KQWM ebenso profitieren. Dazu muss man ehrlicherweise sagen, dass in der Aichholzgasse 51 – 53 ein wenig charmanter, bautechnisch qualitätsfreier, vierstöckiger Sechzigerjahrebau steht. Warmwasser gebe es keines und «ungefähr einmal pro Jahr» sei einer der beiden Heizkessel kaputt. Über die Außendämmung wollen wir gar nicht erst sprechen. Was hätte Wien davon, diesen Bau zu schützen? Durchaus einiges.

Leistbar und langfristig

«Die vorliegende Petition hat das allgemeine Ziel, die Politik und die Zivilgesellschaft auf die prekäre räumliche Arbeitssituation von Künstler:innen aufmerksam zu machen. Nicht nur die Leistbarkeit, auch die in Aussicht gestellte Nutzungsdauer von Räumen spielen dabei eine wesentliche Rolle.» So setzt der Text auf openpetition.eu an, mit dem die Künstler:innen das KQWM in die öffentliche Debatte einbringen wollen. Ihr Ziel: Das Haus soll vor dem Abriss bewahrt und von der Stadt Wien gekauft werden. Oder die Stadt Wien soll mit ihnen gemeinsam ein passendes Ersatzobjekt suchen – und bei der Finanzierung helfen. «Wenn es das Haus nicht mehr gibt, suchen auf einen Schlag siebzig Künstler:innen ein Atelier. Das gibt der Ateliermarkt ja gar nicht her.» Franz Braun ist Maler, seine realistischen Ölgemälde verkauft er mit und noch lieber ohne Galerie um mehrere tausend Euro. Seit Anfang 2022 hat er sein Atelier gemeinsam mit der Künstlerin Charlotte Aurich im KQWM. «Ich male», sagt er, «wenn ich dazu komme.» Auf dem Kopierer, der neben seinem Schreibtisch steht, liegen noch ein paar Ausgaben der Petition. Seit Aurich und er einen Verein gegründet haben, um die Dringlichkeiten der Kunstarbeiter:innen in der Öffentlichkeit zum Thema zu machen, ist viel zu tun. «Ich bin sehr engagiert hier im Haus, damit was passiert – das macht Spaß, ist mir ein Bedürfnis und kostet viel Zeit.»
Das KQWM gibt es in dieser Form seit dreizehn Jahren. Entstanden ist es durch die Initiative und das Kapital von ­Gabriele Dirnbacher-Kühnel. Sie hatte unter viel Aufmerksamkeit zuerst ein Haus am Gaudenzdorfer Gürtel als KunstQuartier gekauft, das später verkauft und abgerissen wurde – und dann den Standort in der Aichholzgasse eröffnet. Kurz bevor Braun und Aurich eingezogen sind, kam aber auch dieses Haus wieder auf den Markt: Dirnbacher-Kühnel verkaufte an Liv Immobilien. «Es hat geheißen, es wird an einen Kunstsammler verkauft. Nur dass der Kunstsammler halt eine Immobilienfirma hat.» Und diese Firma habe früher oder später vor, den Bauplatz für Wohnungen im gehobenen Segment freizumachen. Der Abriss steht drohend im Raum – ob und wann er erfolgen soll, bleibt vorerst unklar.

100 minus 70

«Wir hoffen alle, dass wir bleiben können. Es ist mühsam, jedes Jahr darum zu zittern», sagt Vanessa Achilles-Broutin. Die Mietverträge bekommen die Künstler:innen pro Atelier und direkt von der Hausverwaltung. Sie gelten jeweils für ein Jahr. «Man kann kaum planen», sagt Clara Koch, die ein Malatelier im Haus hat. «Die Mietverträge gehen immer bis März», erzählt sie, «aber nehmen wir den Atelier- und Galerienrundgang Meidling her: Der ist im Mai. Wir können also nie sicher sagen, ob wir dabei sind.» Ein paar Türen weiter hat Marga Pérez Artigues ihren Raum. «Ich komme hier her und bin so zufrieden!», sagt sie begeistert. Das Atelier ist fein hergerichtet, jeder Designspace im 7. Bezirk könnte sich ein Scheibchen abschneiden. Pérez Artigues häkelt Handtaschen. Zu Hause wurde es zu eng, seit einem Jahr ist sie im KQWM: «Und ich möchte noch sehr lange bleiben.»
Als die Kunde vom drohenden Abriss im Herbst 2022 zum ersten Mal umging, versammelten sich die Hausnutzer:innen. Zwar wurden die Verträge wieder um ein Jahr verlängert, aber «Wir haben angefangen zu diskutieren, wie es weitergehen kann», erzählt Franz Braun. Eine Ausstellung zur Geschichte des Hauses wurde gemacht, die Petition formuliert, ein offener Brief an die Kulturstadträtin ­Veronica Kaup-Hasler geschrieben. Jetzt warten die Künstler:innen auf Antwort – geduldig und höflich. «Die Stadt macht eh was, das sehen wir auch. Zum Beispiel sollen am Otto-Wagner-Areal 100 Ateliers entstehen», sagt Braun. «Nur, wenn hier 70 Ateliers verschwinden, schaut die Rechnung schon weniger gut aus.»

 

KunstQuartier Wien Meidling
12, Aichholzgasse 51 – 53
KunstQuartier.wien

Atelier- und Galerienrundgang Meidling:
3. - 4. Mai, 13 - 19 Uhr
atelierundgalerienrundgangmeidling.wordpress.com