Kaffee mit Ingwer und Honig (2)Dichter Innenteil

Oft hatte ich den Eindruck, dass diese Spielsachen für ihn einen besonderen Wert hatten. Illustration: © Silke Müller

Er war nicht mein Typ und ich war nicht für ihn «gesetzestreu» genug. Außerdem war da dieser Ehering, der mir entgegenglitzerte und die 16 Jahre, die er auf die Rückkehr seiner Ex-Frau wartete. Trotzdem wurden meine Tochter Jovana und ich treue Sonntagsbesucherinnen dieser kleinen Gemeinde in Fünfzehnten, mit ihm oder ohne ihn.

Es gab auch andere Sonntagslehrer, die aber waren bei weitem nicht so unterhaltsam wie Dennis. Diese kleine Gemeinde wurde unser Park, unser Wohnzimmer und Familienbesuch, wir zwei fanden ein Zuhause, die vielen Sonntage können jetzt ruhig kommen – wir haben keine Angst mehr vor euch!

Ich war froh, Jovana für paar Stunden jemand anderen im Obhut zu geben. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf, immer wieder begegneten wir diesem Holländer mit französischem Akzent. Er hörte nicht auf, Indianerpfeile, Rennautos, Bälle und anderen Kinderramsch mitzubringen, um dann wieder vorsichtig alle Teile in seinem gelben Rucksack zu verstauen.

Oft hatte ich den Eindruck, dass diese Spielzeuge für ihn einen besonderen Wert hatten, als würde er jemand mit ihnen begegnen, der Vergangenheit vielleicht und vielen kinderlosen Jahren. Ich wusste nur, dass seine drei Kinder schon groß waren und seit 16 Jahren in Frankreich bei ihrer Mutter lebten. Man konnte auch ahnen, dass diese Kinderliebe etwas mit seiner Sehnsucht zu tun hatte. Auch er war ein Vater ohne Kinder, verlassen und vergessen von seinen eigenen, und in diesen Sonntags-Augenblicken konnte er seine glücklichen Jahre beschwören, hier konnte seine bedauernswerte Vaterseele ein wenig Trost finden.

Musste er seine Kinder verlieren, um viele andere vaterlose zu gewinnen? Jovana und andere «Waisenkinder» freuten sich sehr, für einen Sonntagsnachmittag von ihm adoptiert zu werden.

Beste Freunde

So verbrachten wir vier Jahre als beste Freunde. Er öffnete mir die Türe zum Heiligen Land Israel, ich erfuhr immer mehr über den Holocaust und die jüdische Kultur, am letzten Donnerstag im Monat gab es ein Israel-Gebet bei ihm in seiner Wohnung in der Luftbadgasse. Dort spielte er uns israelische Musik vor, die mich sehr berührte. Sie hörte sich an wie Musik aus meiner Roma-Kindheit und ich fühlte mich wie zu Hause in seiner kleinen Wohnung. Isaak, sein Mitbewohner und bester Freund war auch immer dabei. Ich durfte das erste Mal Texte auf Englisch lesen und man hat mich auch verstanden. Dort bekam ich einen Kaffee mit Ingwer und Honig – das war das Beste, was ich je getrunken habe in meinem ganzen Leben.

So trafen wir uns einmal oder zweimal in der Woche, wir beteten zusammen, lasen aus der Bibel, grillten, feierten Geburtstage im Parks und aßen geschmolzenen Käse in Gutenstein bei Angelika und John, sangen, kochten zusammen und gaben Obdachlosen Trost, schmissen Schneebälle im Winter und wurden beste Freunde. Dank ihm wurde Jovana besser in Mathe. Er wurde mein bester Kumpel und für Jovana ihr liebster Onkel.

Dennis konnte genauso gut auf dem Boden mit Autos spielen wie ein leidenschaftlicher Lehrer sein, es war ihm nicht zu mühsam, stundenlang zu sitzen und immer wieder die gleiche Aufgabe zu erklären, Theologie, Mathe, Englisch und alles, was man benötigt, und das ohne Lohn, nur ein paar Kleinigkeiten für seinen Gourmet-Gaumen nahm er dafür an. Seine Bescheidenheit überraschte mich oft.

Zu den Obdachlosen

Und wenn er gerade nicht mit den Kleinen spielte am Sonntag und Bibel unterrichtete oder Nachhilfe gab, so ging er müde nach der Arbeit zu den Obdachlosen und erzählte ihnen von Jesu Liebe, um sie dann anschließend zum Essen in die Gemeinde einzuladen. Er hatte vormittags für sie vorgekocht. Am Abend las er ihnen ein paar Hoffnungsworte aus der Bibel vor, sang Lobpreislieder für sie vor und wärmte den Raum vorher gut auf.

Während sie wie kleine Kinder vom Leben geplagt, von der Welt weggestoßen in diesem kleinen Keller einen willkommenen Gastgeber fanden und ruhig saßen, machte er seine Nasenlöcher nicht zu. Ich war oft kurz davor, vom üblen Gestank zu erbrechen. Dennis nicht, seine Liebe machte ihn zu einem Überwinder.

Er besaß eine Gebetsliste, jeder Name dieser «Verlorenen Söhne und Töchter» war darauf geschrieben, um ja nicht zu vergessen, für sie zu beten. Ein wahrer Fürbitter beim Liebenden Vater, ob es einen Heiligen Dennis gab? 5 Jahre lang, an jedem Montagabend hieß es «Betesta» – das heißt ein Platz, wo Jesus einen Bettlägerigen heilte.

Wenn er nicht zu Armen ging, so beförderte er mit seinem Auto große Schachteln und trug sie ganz rauf und half beim Übersiedeln. Ich fragte mich immer, woher er so viel Kraft hatte, obwohl seit Jahren in seinem linken Arm ein Schmerz saß und er öfter eine Spritze bekommen musste.

Er war beiläufig ein Prediger, nicht einer von diesen Pastoren, die auf einer großen Bühne predigten, nein, er war ein Prediger auf den dunklen Straßen und Plätzen, wo viele ihren Kopf umdrehen beim Vorbeigehen und schnelle Schritte machen.

Witzfigur mit Autorität und Charme

Ab und zu sagte er auch etwas in der Gemeinde. Sein Erscheinungsbild war eine Mischung aus Witzfigur und einer Portion Autorität und Charme. Sein spezieller Akzent, seine Sprach-Rhetorik könnten genauso gut in einer Komödie erscheinen. Viele waren entzückt über seinen Anblick und lächelten, bevor er noch etwas sagte. Dennis wurde von Menschen angenommen oder nicht, es gab keine Mitte.

Ob seine biografische Geschichte etwas damit zu tun hatte? In Griechenland geboren, adoptiert in Holland, lange Jahre mit einer Französin verheiratet, Kalifornien als zweite Heimat und sein Traumziel – Israel.

Sein Sprachtalent sowie seine vielen Studien, sein Leben in Saus und Braus konnten seinen Charakter nicht schädigen, nur ein wenig haperte es wegen seiner Pedanterie. Und wenn er jemand mit theologischen Thesen überzeugen wollte, da entpuppte sich seine Sturheit.

Dennis war keineswegs ein Genie, nur ein Jesus-Jünger mit Bildung und Lebenserfahrung, vor allem mit einem großen Herz für die Armen, vielleicht eine leichte männliche Kopie von Mutter Teresa. Und obwohl er oft im ersten Augenblick leichtfertig erschien, war er doch eine autoritäre Person, das wussten die, die längere Zeit mit ihm verbrachten. Auch seine verstärkte Männlichkeit entpuppte sich mit der Zeit. Er hätte durchaus viele Frauen heiraten können, doch er verzichtete lieber auf sie und wartete auf seine vor 16 Jahren weggegangene Frau.

Was ich am meistens an ihm schätzte war, dass er niemals schlecht über andere sprach. Wenn jemand Gift über nicht Anwesende verstreute, würde er nur höflichst sagen: «Du musst nicht so schlecht über diese Person reden.» Er war so eine Art Anwalt für den, den man gerade unpopulär machte.

Den meisten Wert legte er auf christliche Kindererziehung. Da konnte es passieren, dass Sonntagsschüler Liegestütze machten. Wenn man ihn fragte, warum, sagte er nur ruhig: «Wer nicht gut aufpasst, muss Liegestütze machen», und lächelte dabei. Die Kinder nahmen ihm dies nicht übel, sie gingen weiter in seinen Unterricht und freuten sich.

Wie ein Pubertierender

Es gab Tage, wo er Stimmungswechsel hatte, manchmal war er bockig wie ein Pubertierender, dann wieder ein nach Freiheit Wahnsinniger, der bei Kindergeburtstagen sein Gesicht in Torten presste. An ernsten Tagen Lehrer, am Sonntag Theologe und Prediger, ein großes Kind, das sich im Anzug auf den Boden legt, ein barmherziger Samariter, erfinderische Gourmet-Koch, ein freundlicher Gastgeber und es gab diese eine sehr wichtige Rolle,

die ich später entdeckte – seine männliche Eitelkeit. Manchmal erschien mir diese Eigenschaft fast um paar Gramm schwererer als seine Leidenschaft als Jesus-Jünger.

Wie feurig er die Frohe Botschaft gutaussehenden jungen Frauen verkündete, umgeben von vielen Frauen, die er jede Minute zum Lachen brachte. Da sah man seine Flossen wachsen, wie ein Fisch im Wasser. Irgendwie erinnerte er mich in diesen Augenblicken an einen christlichen Playboy – wenn es solche biblischen Kreaturen überhaupt gab (da denke ich ein wenig an David). Dennis schaffte es oft, einen ganzen vollen Tisch mit Frauen herzlichst zu unterhalten und ja nicht zu vergessen, zwischendurch noch das Wort Gottes reinzupferchen.

Die vielen Liebesentzug-Jahre machten sich doch bemerkbar bei ihm, das sah sogar ein blinder Bartholomäus, wie sehr ihn danach dürstete.

 

Fortsetzung in AUGUSTIN Nr. 507,
der am 3. Juni erscheint

 

Teil 1

Teil 3

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