Kaffee mit Ingwer und Honig (1)Dichter Innenteil

Grafik:(c) Silke Müller

Wenn man am wenigsten vom irdischen Leben erwartet, kommt etwas Unerwartetes, etwas wonach ich mich viele Jahre sehnte.

In diesem kleinen kühlen Keller, der nach frischgelegtem Parkett roch, an einem gewöhnlichen Sonntag, genau gesagt kurz nach 13 Uhr, dort, wo mir ein paar Gesichter bereits bekannt waren, und viele überfüllte Teller darauf warteten, dass sie wieder leer wurden und ein gelangweilter Gedankenaustausch seinen Lauf nahm, genau da an diesem grauen Plastiktisch saß mir gegenüber eine etwas seltsame Figur.

Über 50, männlich, leicht spitziges Gesicht, große Ohren, haselnussfarbige Augen, kleine Stirn und gelbbrauner Teint, dünn und lang, ein verstecktes Doppelkinn, beim Lachen öffneten sich immer seine Lippen, was ihn interessant erschienen ließ … Dünne braune Haare mit außergewöhnlich kurzem Schnitt, hinter den Ohren glatt rasiert, eine dezente Kippa-Glatze. Sein braunes Sakko verriet, dass er in seinem Schrank Antiquitäten-Stücke hatte, ebenso wie seine früher dunkle, ausgebleichte Krawatte. Die Frisur so wie sein Anzug erschienen seltsam an ihm. Er erschien wie eine Kreuzung zwischen Schlagersänger, Punker und Klassiker. Sein holländisch-französischer Akzent saß wie eine Litschi auf einer Sachertorte.

 

 

Feine Manieren. Eine Augenweide war er gerade nicht, eher ein spitzer Troll am Verhungern. Obwohl sein Teller überfüllt war, besaß dieser Mann feine Manieren, seine Serviette um den Hals und sein Umgang mit dem Besteck deuteten darauf hin, dass er aus einer «besseren» Familie stammte.

Auf den ersten Blick schien er sympathisch zu sein und unterhaltsam. Bald begannen wir ein Gespräch. Da ich schneller beim Reden bin als beim Denken, erzählte ich ihm gleich, dass mir mein «himmlischer Vater» vor kurzem einen «Ehemann» als Verheißung versprach. Plötzlich veränderte er seinen Ton, machte eine ernste Miene und wurde laut: «Du musst auf deinen Mann warten!»

Alle Augen blickten zu mir, mit seinem großen dünnen Finger deutete er auf mich, ich fühlte mich wie bei einem Prozess, schuldig gesprochen für meinen langersehnten Herzenswunsch. Für dieses seltsame Mannsbild war ich gerade eine Ketzerin, es klang für ihn blasphemisch, ich war froh, dass ich im Jahr 2016 lebte …

Pharisäer. Aus war es mit Sympathie, ich war verärgert, als ob die vielen Jahre meines einsamen Lebens nicht genügten, die ich auf die Rückkehr von Martin wartete, der seit Ewigkeiten verschollen war.

Ich wendete mich im Gespräch an jemand anderen und ignorierte ihn. Was für ein seltsamer penetranter Mensch, dachte ich. Versuche ja nicht meine Träume zu zerplatzen, du gesetzestreuer Pharisäer!

Ich empfand jetzt eine Abneigung gegenüber diesem seltsamen Typen, als würde er vor dem Scheiterhaufen stehen, um mich als Abtrünnige schuldig zu sprechen, um endlich seiner Inquisition freien Lauf zu lassen. Vermutlich hätte ich um diesen Kerl jeden Sonntag ein großen Bogen gemacht und diese Geschichte hätte nie stattgefunden, wenn nicht kurz danach etwas Unerwartetes geschehen wäre.

Da lag er, diese komische Figur, die mir kurz vorher noch so missfallen hatte, in seinem eleganten Mottenanzug auf dem Boden und spielte mit meiner Tochter Jovana mit Rennautos.

 

Trostlose Sonntage. Ob diese seltsame Blüte schuld daran war, dass es uns nun jeden Sonntag um 11 in diese kleine Gemeinde zog oder waren es unsere unzähligen trostlosen Sonntage? Für die wenigen Cents, die wir hatten, konnten wir unseren Sonntagsgästen nur Spiegeleier anbieten, was für meine Landsleute nicht das Beste vom Besten war, da sie alle Fleischtiger sind, und sollte es der Fall sein, dass wir ein paar Koteletts zum halben Preis ergatterten, so hatten sie keine Zeit.

Insofern war der Sonntag der Tag, an den ich mich meistens einsam, melancholisch und elend fühlte, mit der Gewissheit, dass sich das auch auf Jovana spiegelte. Auch ihre Augen waren an diesem Tag matt und nichts konnte ihre kleine Seele erfüllen. Oft kam es mir vor, als ob wir wie zwei Waisenkinder wären, ausgesetzt in diesem Asphalt-Dschungel, mit tausenden Menschen, die nur vorbeischleifen, sich hektisch drängen und sich mürrisch im Kreis der Monotonie drehen. Meistens war es unerträglich, wenn es regnerisch, kalt und bewölkt war. Die unzähligen Filme um 1 Euro von der Caritas konnten unseren Durst nach Geborgenheit nicht löschen und die vielen Spiele lagen lieber unter Staub, als je wieder von zwei gelangweilten Händen angerührt zu werden.

 

Leeres Geldbörsel. Ich wusste nicht, was andere Mütter zu zweit mit ihren Kindern am Sonntag machen. Mein kreativer Geist schlief vermutlich gerne an diesem Tag in meinem großen, leeren Geldbörsel. An diesen Tagen fiel mir nichts Neues ein, ich hatte kaum Kraft, etwas Abenteuerliches mit diesem kleinen Wesen zu unternehmen, was ihr Spaß machen könnte. Ich hätte ihr gerne etwas angeboten, wo es keine eintönigen Klänge des Alltags spielte. Wie zum Beispiel die unzähligen Parkbesuche bei schönem Wetter – diese Ausflüge verhalfen uns noch schneller in Depression zu verfallen, wenn wir den vielen glücklichen Familien begegneten. Wir konnten uns mit einem einzigen Gedanken trösten: dass wir dieses Schicksal mit tausenden Großstadt-Siedlern teilen dürften …

Jovana hält sich mit ihrer zierlichen Hand an meinen rauen, knochigen Fingern fest seit 6 Jahren, um Sicherheit und Geborgenheit zu suchen.

Es wird öde, wie oft habe ich es ihr gewünscht, dass Martin da wäre, sie in die Luft heben, am Rücken tragen würde, mit ihr auf dem schwarzen, großen Gummireifen im Schweizer-Park schaukelte. Manchmal, wenn wir einen liebenswürdigen Vater sahen, der mit seinen Kindern herzlich spielte und das Hellblau in ihren Augen noch heller wurde und diese Sehnsucht aus ihnen hervortrat, dann schmerzte mich das so sehr, dass ich mich oft umdrehen musste, um vor ihr Tränen zu verstecken. Ich konnte ihr vieles geben, doch ihren Papa nie. Ich konnte ihr auch nicht wirklich erklären, warum ihr Vater sie in all den Jahren nur ein paar Mal besuchte. Vom Schicksal unserer elenden Armut und trostlosen Einsamkeit bezwungen, beschlossen wir dieses Gefühl der Verzweiflung los zu werden.

 

Stille Gedanken. So besuchten wir jeden Sonntag diesen kleinen Keller, ich freute mich auch meist dort meinen «Meister» zu treffen, ihm und nur ihm konnte ich alle meine Schmerzen und Ängste, Enttäuschungen und Wünsche in stillen Gedanken sagen und er hörte mir sehr aufmerksam zu, ohne den Zeigefinger zur erheben, um mich zu steinigen.

So fühlten wir uns nicht mehr wie zwei armselige Kirchenmäuse, sondern wir durften auch anderen Mäusefamilien begegnen. Der Spruch «Geteiltes Leid ist halbes Leid» oder besser gesagt «Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach» schien treffend zu sein. Ob es genug Käse für alle Mäuse gab? Dafür sorgte unser großartiger himmlischer Papa.

Mein Meister, schöne Musik, ein paar freundliche Gesichter, ein bescheidendes Essen, und dieser seltsame fremde Mann, den wir vor kurzem kennengelernt hatten, der einen kindlichen Geist besaß, wenn er nicht gerade über Scheidung und Heiratsfälle diskutierte, ja, das war etwas, was uns beiden gefiel.

Dennis wiederholte fast jeden Sonntag seine Bereitschaft, mit meinem kleinen Mädchen und ein paar anderen vaterlosen Kindern ein wenig Zeit zu verbringen. Es war nicht viel auf der Uhr, aber für die paar kleinen Herzen eine Ewigkeit der Freude. So genoss Jovana jetzt fast jeden Sonntag Onkel Dennis, er scherzte mit ihr und in ihren Augen erschien ein Glanz. Wenn er Kinderdienst hatte, so zauberte er aus seinem bunten Rucksack Verschiedenes wie Indianerpfeile, bunte Bälle, Autos und andere Kinderspielsachen hervor.

Es stellte sich bald heraus, dass Dennis kinderliebend und hilfsbereit war. Er war auch zu anderen Kindern sehr freundlich und beliebt bei Groß und Klein, vor allem bei vielen Single-Schwestern.

Mit der Zeit verstanden wir uns immer besser. Ich entdeckte bald, dass Dennis mehrere Rollen sehr überzeugt spielen konnte, gute und weniger gute. Eine davon war der fanatische Anti-Scheidungs-Revoluzzer, diese Rolle mochten wir am wenigsten. Zum Thema Ehe suchte ich lieber einen anderen Gesprächspartner. Irgendwie ahnte ich, dass sich da etwas ankündigte, etwas, das uns beiden nicht im Traum eingefallen wäre.

 

Teil 2

Teil 3